Raphaël Gallardo und Kevin Thozet / Bild: Carmignac
Die Industrieländer haben sich als bemerkenswert widerstandsfähig gegenüber dem starken Anstieg der Realzinsen seit 2022 erwiesen (der mit einer Normalisierung der Zinssätze in Japan im Jahr 2024 seinen Höhepunkt erreichen dürfte). Wir glauben jedoch nicht daran, dass die neutralen Zinssätze ‚für immer höher‘ sein werden. Vielmehr wurde die Übertragung des Zinsschocks auf die Volkswirtschaften durch temporäre Faktoren verlangsamt, die im Laufe des Jahres 2024 auslaufen werden. Eine ‚sanfte Landung‘ dürfte sich daher im ersten Halbjahr 2024 fortsetzen, gefolgt von einer Rezession im zweiten Halbjahr, angeführt von den USA.
In den USA und in Europa wird der Rezessionsprozess vor allem durch den Druck auf die Gewinnmargen vorangetrieben und zeigt sich bereits in der Zunahme dauerhafter Arbeitsplatzverluste sowie der Insolvenzen von Unternehmen und Haushalten. Seine Dynamik wurde jedoch durch äußere Faktoren gebremst. Auf der Unternehmensseite wurden die Gewinnmargen durch überschüssige Liquidität und einen Anstieg der Zuwanderung geschützt, der einen Arbeitskräftepuffer darstellt. Bei den privaten Haushalten wurden die Sparquoten durch Bargeldüberschuss und Vermögenseffekte aufgrund der durch die quantitative Lockerung verzerrten Bewertung von Vermögenswerten künstlich niedrig gehalten.
Die Finanzmärkte sind sich des zugrundeliegenden Konjunkturrisikos kaum bewusst, da die Neuverschuldung nach der COVID-19-Krise im ‚Hantelformat‘ mit Staatsanleihen und intransparenten Private-Debt-Kanäle erfolgte. Diese Zweiteilung erhöhte die Widerstandsfähigkeit in der Anfangsphase des Abschwungs, wird aber die Flexibilität der Politik und die Bereinigung der Bilanzen behindern, sobald die Rezession einsetzt.
Die zunehmende Zuwanderung und die Komprimierung der finanziellen Risikoprämien haben zu einer weichen Landung beigetragen, aber sie haben die Krise des unerschwinglichen Wohnraums verschärft, die Vermögensungleichheit und die Identitätspolitik angeheizt – alles Missstände, die den populistischen Ideen im aktuellen Wahlzyklus zugutekommen dürften (z. B. Trump, Wilders). Dies wird die Umsetzung inflationärer Maßnahmen als Reaktion auf die sich abzeichnende Rezession beschleunigen (steuerliche Großzügigkeit, Protektionismus, Grenzschließungen).
In China wird die ungelöste Immobilienkrise das Vertrauen im In- und Ausland auf niedrigem Niveau halten. Das jüngste Konjunkturpaket und die geopolitische Entspannung mit den USA dürften ausreichen, um das Wachstum im ersten Halbjahr 2024 bei 4 Prozent zu stabilisieren.
Eine erneute Beschleunigung im zweiten Halbjahr 2024 setzt voraus, dass die Führung ihren graduellen Ansatz zugunsten einer Strategie aufgibt, die eine Umstrukturierung aller mit dem Wohnungsbau zusammenhängenden Schulden (einschließlich derjenigen der lokalen Gebietskörperschaften und des Local Government Financing Vehicle, LGFV), die Verstaatlichung von Verlusten, die Rekapitalisierung der Banken und die Ankurbelung des Konsums kombiniert. Ein solcher politischer 'Quantensprung' ist aus politischen Gründen schwer umzusetzen.
Die langsame Landung der Wirtschaft in der ersten Jahreshälfte 2024 und die zunehmenden Rezessionssorgen im weiteren Jahresverlauf erfordern von aktiven Managern, dass sie in der Lage sind, ihre Portfolios schnell umzuschichten; für andere bedeutet dies den Aufbau asymmetrischer Portfolios.
Die Erwartung von 4 Prozent Leitzinsen für die absehbare Zukunft steht im Widerspruch zu einer sich verlangsamenden Konjunktur und einer zyklischen Disinflation. Um dieses Dilemma zu umgehen, kann man eine Long-Duration-Position bei Staatsanleihen aufbauen und gleichzeitig vermeiden, auf den Zeitpunkt künftiger Zinssenkungen zu wetten und sich zu sehr der Unsicherheit der Laufzeitprämie auszusetzen.
Die Märkte sind in der Tat recht optimistisch und erwarten Zinssenkungen bereits im Frühjahr, was die kurzfristigen Laufzeiten gefährdet. Darüber hinaus hängt die Entwicklung der langfristigen Renditen von der Verschuldung zur Finanzierung des Defizits ab, die jedoch nicht unbegrenzt von den Geldmärkten aufgefangen werden kann, da außerhalb der USA offenbar wenig Interesse am Kauf langfristiger Anleihen zu bestehen scheint. Infolgedessen erscheinen die fünfjährigen Laufzeiten besonders attraktiv. Und im Euroraum dürften die Leitzinsen angesichts des anämischen Wachstumsumfelds niedriger ausfallen.
Die Verlangsamung in Zeitlupe, die im zweiten Halbjahr in eine Rezession münden wird, bedeutet, dass die Kreditmärkte in den kommenden Quartalen ihren Spitzenplatz bei den risikobereinigten Renditen behalten werden. Kredite bieten nicht nur ein sehr attraktives Carry, sondern auch die Möglichkeit, Überraschungen nach unten zu verdauen. In diesem wirtschaftlichen Umfeld sind die bevorzugten Sektoren (Finanzwerte, Energie und strukturierte Kredite) Emittenten, die angesichts des Endes der ‚Freigeld-Ära‘ an hohe Kapitalkosten gewöhnt sind. Im weiteren Jahresverlauf werden die Anleger entweder bereit sein müssen, ein gewisses Maß an Volatilität zu akzeptieren, oder sie müssen in der Lage sein, ihr Portfolio gegen die zunehmende Risikoaversion zu schützen.
Nach dem Höhenflug der ‚Magnificent 7‘ bei
Aktien (
Apple,
Amazon,
Alphabet,
Nvidia,
Meta,
Microsoft und
Tesla) sind die Voraussetzungen für eine Ausweitung der Performance-Treiber gegeben. Konzentrierte Renditen erfordern eine
gewisse Vorsicht und die Umsetzung eines Hantelansatzes zur Diversifikation abseits der populärsten Namen ist sinnvoll. Dies bedeutet einerseits eine Allokation in defensive Sektoren über das Gesundheitswesen und Basiskonsumgüter und andererseits ein gewisses höheres Renditepotenzial durch Schwellenländer.
Die Schwellenländer sind in der Tat geeignet, ein solches Streben nach Diversifizierung zum Ausdruck zu bringen, unterstützt durch einen niedrigeren US-Dollar und der erwarteten Stabilisierung der chinesischen Wirtschaft in den kommenden Quartalen. Gelegenheiten könnten sich in zuvor ausverkauften Märkten wie Asien oder Lateinamerika ergeben, wo die Handelsbilanzen gut ausgerichtet sind.
Raphaël Gallardo ist Chefvolkswirt und Kevin
Thozet ist Mitglied des Investmentausschusses des unabhängigen
Vermögensverwalters
Carmignac.