Die jüngste Prognose der ‚Inevitable Policy Response‘-Initiative (IPR) zu globalen klimapolitischen Maßnahmen, die in den wichtigsten Volkswirtschaften bis 2050 umgesetzt werden sollen, kommt zu dem Schluss, dass die Welt das Ziel des Pariser Abkommens, den Temperaturanstieg auf ‚deutlich unter 2°C‘ zu begrenzen, wahrscheinlich erreicht. Außerdem würden weitere Anstrengungen in Richtung 1,5°C unternommen, sobald die Temperaturen ihren Höchststand erreicht haben. Die Prognose stützt sich auf die Beobachtung von über 300 klimapolitischen Maßnahmen in den letzten zwei Jahren sowie auf den Input von über 100 Experten für Klimapolitik aus 12 Ländern.
Was sind die wichtigsten Erkenntnisse?
- Durch schnellere politische Entscheidungen sind in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften etwa 90 Prozent und in den Schwellen- und Entwicklungsländern etwa 40 Prozent der politischen Maßnahmen in Gang gesetzt worden, die die IPR-Prognosen unterstützen.
- Was die Emissionen angeht, so konzentrieren sich mehr als zwei Drittel der weltweiten politische Defizite auf drei Bereiche: Kohlekraft in China, Kohlekraft in Indien und die Gesamtpolitik in Russland.
- Boden- und Flächennutzung wird zum entscheidenden Treiber für die Dekarbonisierung werden, da in Übereinstimmung mit der neuen Prognose der IEA (Internationale Energieagentur) die Nutzung fossiler Brennstoffe in diesem Jahrzehnt ihren Höhepunkt erreicht und Elektrofahrzeuge bis 2050 ca. 90 Prozent der weltweiten Verkäufe ausmachen. Bis 2050 werden mehr als 20 Prozent der Treibhausgasemissionen vor allem mit Rind- und Lammfleisch zusammenhängen, obwohl dies nur etwa 10 Prozent der Nahrungsaufnahme ausmacht. Eine veränderte politische Dynamik in Brasilien und Indonesien wird voraussichtlich zu einem effektiven Ende der Entwaldung in beiden Ländern bis 2030 führen.
- Soziale, geopolitische und natürliche Rahmenbedingungen werden zu einem wichtigen Bestandteil des Wandels. Infolgedessen wird China zwar bis 2045 nahezu keine Emissionen aus der Kohleverstromung erreichen, aber 400 GW Kohlekraft in strategischen Reserven vorhalten. Die Einführung der CO2-Abscheidung und -Speicherung durch Bioenergie (BECCS), die in anderen Szenarien eine wichtige Rolle spielt, wird bis 2050 auf 1 Gt CO2-Abscheidung begrenzt. Angesichts des Drucks auf die Flächennutzung und wettbewerbsfähigerer Alternativen in den meisten Sektoren (mit Ausnahme der Luftfahrt und der Papier- und Zellstoffindustrie) erscheint BECCS nicht als bedeutende langfristige Lösung.
Wie passt das IPR 2023 Forecast Policy Scenario (FPS) mit dem Pariser Abkommen zusammen?
- Der FPS prognostiziert konzertierte politische Maßnahmen als Reaktion auf die zunehmenden Klimaauswirkungen, die zu Netto-Null-CO2-Emissionen bis 2060 und Netto-Null-THG-Emissionen bis 2080 führen, was im Einklang mit Art. 4 des Pariser Abkommens steht.
- Es wird erwartet, dass die Temperaturen ihren Höhepunkt zwischen 1,7°C und 1,8°C erreichen werden, was dem Ziel ‚deutlich unter 2°C‘ des Pariser Abkommens in Art. 2.1c. entspricht.
- Angesichts der Risiken, die mit einer Überschreitung des 1,5°C-Ziels verbunden sind, wird vorausgesagt, dass die Politik ihre Anstrengungen fortsetzen wird, mit dem Potenzial, dies untere Temperaturgrenze von 1,5°C bis zu den 2120er Jahren durch CO2-Abbau zu verwirklichen.
IPR prognostiziert, dass sich die politischen Maßnahmen weiter beschleunigen werden, was zum Teil durch die ‘Global Stocktake‘- und ‘Ratchet‘-Politikzyklen des Pariser Klimaabkommens bis 2030 vorangetrieben wird. Die Untersuchung zeigt jedoch, dass die politischen Maßnahmen nicht mit den Entwicklungspfaden übereinstimmen, die die Erwärmung auf die im Pariser Abkommen festgelegte Untergrenze von 1,5°C begrenzen. Nur 3 Prozent der globalen politischen Maßnahmen – basierend auf ihrer relativen Bedeutung für die Emissionen – bewegen sich derzeit in Richtung 1,5°C-Ziels.
Boden- und Flächennutzung ist eine entscheidende Komponente für das Erreichen von Netto-Null. Vor allem Rind- und Lammfleisch wird für den Wandel von entscheidender Bedeutung sein. Es wird bis 2050 für mehr als 20 Prozent der THG-Emissionen verantwortlich sein, obwohl es nur etwa 10 Prozent unserer kalorienbezogenen Nahrungsaufnahme ausmacht. Ebenso zeigt die Prognose ein effektives Ende der Entwaldung bis zu den 2030er Jahren und eine erhebliche Wiederaufforstung im Zusammenhang mit den umfassenderen Zielen, die im Rahmen des Post-2020 Global Biodiversity Framework ausgehandelt wurden. IPR hat eine spezielle Studie zu Bioenergie lanciert, um diesem wichtigen Bereich Rechnung zu tragen, der die Bereiche Energie und Flächennutzung miteinander verbindet.
Höchststand der Erwärmung erfolgt um 2050
Der Prognose zufolge wird die Erwärmung bis in die 2030er Jahre die Marke von 1,5°C überschreiten, ihren Höchststand aber um 2050 mit 1,8°C über dem vorindustriellen Niveau erreichen. Die hier entwickelte Prognose ist eine optimistischere Aussicht, als von vielen erwartet wird. Letztes Jahr stellte der UN-Synthesebericht über die Verpflichtungen der Regierungen im Rahmen des Global Stocktake (GST) fest, dass die derzeitigen Zusagen zu einer Erwärmung von 2,5°C führen würden.
Wie in diesem Bericht deutlich gemacht wurde, würde eine Erwärmung über die im Pariser Abkommen festgelegte Untergrenze von 1,5°C hinaus die systemischen Risiken erhöhen, einschließlich irreversibler Auswirkungen auf Ökosysteme. In der IPR-Prognose wird betont, dass diese Effekte die politischen Entscheidungsträger zu umfangreichen Investitionen in Technologien mit negativen Emissionen veranlassen werden. Sie prognostiziert, dass diese in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts 5 Gt CO2/Jahr einsparen könnten, wodurch die Temperaturen bis zum Ende des Jahrhunderts auf unter 1,7°C sinken würden und sich um das Jahr 2120 wieder auf unter 1,5°C verringern könnten.
Auf gutem Weg
Jakob Thomä, Projektleiter bei Inevitable Policy Response:
Es ist zwar noch eine weite Strecke bis zu den Paris-Zielen, aber wir sind auf einem guten Weg. Die pessimistische Einschätzung, dass das Ziel von 1,5°C verfehlt wird, sollte nicht die Tatsache überschatten, dass die Intensivierung der politischen Maßnahmen während der vergangenen zwei Jahre das entscheidende Klimaergebnis von 1,8°C Erwärmung immer wahrscheinlicher macht.“
„Es gibt keinen Grund zur Selbstzufriedenheit. Aber vielleicht ist es trotz der zunehmenden Erkenntnisse über das systemische Risiko, das mit der Überschreitung von 1,5°C einhergeht, Zeit für etwas Optimismus im Vergleich zu früheren Temperaturprognosen.
Mark Fulton, Gründer von Inevitable Policy Response:
Klimabedingte soziale Kipppunkte und die Pariser Stocktake-Ratchet-Zyklen in diesem Jahrzehnt werden den Druck auf die politischen Entscheidungsträger erhöhen, ein Ergebnis von deutlich unter 2°C zu erreichen. Dies wird enorme Auswirkungen auf Investoren und die Anlagemärkte haben.
Nathan Fabian, Chief Sustainable Systems Officer, Principles for Responsible Investment:
Diese neue IPR-Prognose für das Jahr 2023 zeigt, dass der wirtschaftliche Übergang zum Netto-Null-Energieverbrauch in vollem Gange ist. Sie schafft Klarheit darüber, wo, wann und wie die politischen Maßnahmen als Reaktion auf die wachsenden Klimarisiken in diesem Jahrzehnt und darüber hinaus beschleunigt werden dürften. Wir empfehlen institutionellen Anlegern, die Ergebnisse der Studie sorgfältig zu prüfen und die Auswirkungen auf ihre Strategien zu berücksichtigen.
Wodurch sich das FPS von anderen Szenarien unterscheidet
Das prognostizierte Politikszenario des IPR unterscheidet sich konzeptionell von den Szenarien der IEA oder des IPCC. Anstatt rückwärts von einem hypothetischen Ergebnis (Netto-Nullpunkt bis 2050 im Falle des NZE-Szenarios der IEA) oder einem hypothetischen Niveau von Klimamaßnahmen (fortgesetzte Entwicklung der fossilen Brennstoffe im SSP5-8.5-Szenario des IPCC) zu arbeiten, wird die IPR-Prognose ‚von unten nach oben‘ aufgebaut. Sie wird angetrieben durch eine "evidenzbasierte Prognose" wahrscheinlicher politischer Entwicklungen und ihrer Auswirkungen auf Treibhausgasemissionen und Temperatur. Bei der IPR-Prognose sind die Netto-Null- und Temperaturergebnisse das Produkt der Prognose und nicht umgekehrt.
Über Inevitable Policy Response (IPR):
Das IPR ist ein Konsortium für Prognosen zum Klimawandel, das institutionelle Anleger auf die Portfoliorisiken und -chancen vorbereiten will, die mit einer prognostizierten Beschleunigung der politischen Maßnahmen zum Klimawandel verbunden sind. Um Märkte und Investoren zu unterstützen, erstellt das IPR detaillierte Modelle der Auswirkungen prognostizierter Maßnahmen auf das Energiesystem, das Nahrungsmittel- und Landnutzungssystem und die Realwirtschaft. Weitere Informationen
finden Sie hier.
Die Analyse Inevitable Policy Response (IPR) wird von Energy Transition Advisers und dem in Deutschland ansässige Theia Finance Labs koordiniert. IPR wurde 2018 von den Principles for Responsible Investment (PRI) mit dem Ziel in Auftrag gegeben, institutionelle Anleger auf die Portfoliorisiken und -chancen vorzubereiten, die mit einer prognostizierten Beschleunigung der politischen Reaktionen auf den Klimawandel verbunden sind.
IPR wurde von der Gordon and Betty Moore Stiftung über The Finance Hub finanziert, die gegründet wurde, um nachhaltige Finanzen zu fördern. Außerdem war die ClimateWorks Stiftung an der Finanzierung beteiligt. IPR wird von der PRI durch Sachleistungen unterstützt.