Eine vorsichtige Entscheidung - Zum Zinsentscheid der EZB

Stimmen von Carsten Mumm, Marija Kolak, Junius Karsten und Simone Mocuta
Bild: EZB Frankfurt
Für die einen überraschend, für die anderen stringent, hat die EZB die Zinsen zum zehnten Mal in Folge erhöht. Nicht nur Börse für Donnerstag hat sich mit dem Entscheid befasst, auch zahlreiche Volkswirte und Marktteilnehmer, wir geben eine kleine Auswahl:

Nicht die allgemeine Markterwartung: Carsten Mumm, Privatbank DONNER & REUSCHEL

Auch wenn die Leitzinsanhebung nicht die allgemeine Markterwartung war, ist sie aus Sicht der EZB doch der logische Schritt. Nach wie vor ist der Inflationsdruck deutlich zu hoch und wird es auch noch einige Zeit bleiben. Dazu passend wurden die neuen Inflationsprojektionen für 2023 und 2024 sogar leicht nach oben angepasst. Wenn die Zielsetzung bei 2 Prozent liegt, für 2024 aber 3,2 Prozent Teuerung erwartet werden, besteht keinerlei Spielraum für eine weniger restriktive Gangart.
 
Dass der Markt nur kurzfristig im Sinne fallender Aktienkurse reagiert hat, dürfte darauf zurückzuführen sein, dass die Projektion der Kernrate der Inflation parallel leicht nach unten angepasst wurde – der breite Inflationsdruck also zumindest langsam sinkt, wohl auch weil erstmals seit Ende 2022 die Unternehmensgewinne weniger zur Inflation beigetragen haben. Zudem heißt es weiter, dass bis mindestens Ende 2024 die Fälligkeiten im Rahmen des PEPP-Wertpapierkaufprogramms neu angelegt werden. Der Abbau der Bestände wird also nicht beschleunigt und die Formulierung dass „die EZB-Leitzinsen ein Niveau erreicht haben, das – wenn es lange genug aufrechterhalten wird – einen erheblichen Beitrag zu einer Rückkehr der Inflation auf den Zielwert leisten wird“, legt nahe, dass die Spitze des Zinserhöhungszyklus erreicht sein könnte. Trotzdem bleibt die EZB wenig überraschend bei der datenabhängigen weiteren Ausrichtung der Geldpolitik. Zinssenkungen bleiben außerhalb der aktuell möglichen Sichtweite. Damit dürfte die gesamtwirtschaftliche Dynamik zinsinduziert in den kommenden Monaten erheblich gebremst werden. Euro und Zinsen für Bundesanleihen bei längeren Laufzeiten dürften durch diese Perspektive eher schwächer tendieren.

Angemessen: BVR-Präsidentin Marija Kolak

Die heute von der Europäischen Zentralbank (EZB) beschlossene Erhöhung des Hauptrefinanzierungssatzes um 25 Basispunkte auf 4,5 Prozent ist aus Sicht des Bundesverbandes der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR) angemessen. Die anhaltend hohe Inflation erfordert ein entschlossenes Gegensteuern der Geldpolitik erfordert. Nach dem zehnten Erhöhungsschritt in Folge ist nun die Zeit für eine Zinspause gekommen, wie es auch die EZB andeutet. Es ist aber zu früh, einen Zinsstopp auszurufen. Die Geldpolitik muss die Inflationsentwicklung genau beobachten und bereit bleiben, notfalls mit weiteren Zinserhöhungsschritten nachzulegen.

Die hohen Leitzinsen bremsten die Konjunktur im Euroraum bereits sehr deutlich, auch wenn das Wirtschaftswachstum im Euroraum anders als in Deutschland noch positiv ausfalle. Sie dürften aufgrund ihrer dämpfenden Wirkungen auf Investitionen und Konsum in den kommenden Monaten auch die Inflation spürbar verringern.

Vorsichtig: Junius Karsten, J. Safra Sarasin

Die EZB hat die Leitzinsen um 25 Basispunkte angehoben und darauf hingewiesen, dass das Niveau der Leitzinsen nun wahrscheinlich ausreichend restriktiv sei, um die Inflation mittelfristig auf das Zielniveau zu senken. Obwohl die Tür für eine weitere Zinserhöhung nicht völlig verschlossen ist, interpretierten die Märkte die Entscheidung in diesem Sinne und begannen, eine erste Zinssenkung bis März einzupreisen. Infolgedessen gaben die Anleiherenditen nach und der Euro schwächte sich ab, was beides für die Inflationsbekämpfung nicht förderlich ist, weshalb wir von eine Zinspause befürwortet (und vorausgesagt) hatten.
 
Am 21. September wird die SNB entscheiden müssen, ob eine geldpolitische Pause nicht zu besseren Ergebnissen führen würde. In den USA wird sich die Fed auf ihrer nächsten Sitzung höchstwahrscheinlich für keine Zinserhöhung entscheiden. In Anbetracht der relativ guten Wirtschaftsdaten und der anhaltenden Inflation wird sie an ihrer geldpolitischen Ausrichtung festhalten. Der FOMC wird in seinem aktualisierten Dot Plot wahrscheinlich eine letzte Zinserhöhung bis zum Jahresende vorsehen, auch wenn wir nicht glauben, dass er sie letztendlich durchziehen wird.

Keine Überraschung: Simona Mocuta, State Street Global Advisors

Die EZB setzte heute eine weitere Zinserhöhung um 25 Basispunkte durch und erhöhte den Hauptrefinanzierungszins auf 4,50 Prozent und den Einlagenzins auf 4,00 Prozent. Der Schritt war weder eine Überraschung noch eine beschlossene Sache: Die Wahrscheinlichkeit einer weiteren Zinserhöhung lag in den Tagen vor der Entscheidung bei über 50 Prozent, nachdem sie zu Beginn des Monats bei 25 Prozent gelegen hatte. Die Argumente für eine weitere Straffung der Geldpolitik und für eine Pause - wenn nicht sogar für ein vollständiges Ende des Straffungszyklus - haben sich in letzter Zeit vor dem Hintergrund der Beinahe-Stagnation und der sichtbaren Fortschritte bei der Inflation ziemlich ausgeglichen. Im Moment ist der EZB-Rat der Ansicht, dass die Waage immer noch zugunsten weiterer präventiver Maßnahmen kippt. Da sich die Leitzinsen jedoch tief im restriktiven Bereich befinden und die frühere Straffung immer noch auf die Wirtschaft durchschlägt, sollte dies unserer Meinung nach die letzte Anhebung in diesem Zyklus sein.