„Des Pudels Kern“ – über Akzeptanz und Definition nachhaltiger Geldanlage

Rachel Whittaker, Robeco
Rachel Whittaker / Bild: Robeco
Nachhaltige Geldanlage war immer von Diskussionen um Begriffe und Definitionen geprägt. Sogar bei der grundlegendsten, scheinbar einfachsten Frage: Was ist eine nachhaltige Anlage? Vor zehn Jahren wurde Sustainable Investing (SI) eher als ein „Prozess“ angesehen. Heute liegt der Fokus auf Eigenschaften von Unternehmen. Das bedeutet: SI ist eher ein „Sachverhalt“. Eine Bestandsaufnahme.
Was ist eigentlich Sustainable Investing (SI)? Ein Prozess oder ein Sachverhalt? Mehr als 50 Jahre nach Entstehen des modernen verantwortungsbewussten Investierens herrscht weiter Uneinigkeit darüber. Trotz bester Bemühungen der Regulierungsbehörden. Auch wir können hier keine universelle Lösung anbieten. Wir können lediglich darauf zurückzublicken, wie wir mit dieser Herausforderung im Zeitverlauf umgegangen sind. Und daran erinnern, warum wir dies überhaupt tun.
 
Wenn etwas Neues entsteht, fehlen häufig allgemein akzeptierte Begriffe und Definitionen. Die Debatte im Bereich SI ist also recht normal. Nehmen Sie dieses Beispiel: Selbst die „einfache“ doppelte Buchführung – erstmals konzipiert im 15. Jahrhundert von dem Mathematiker Luca Bartolomeo de Pacioli – brauchte 400 Jahre, um zu den heutigen IFRS- oder GAAP-Standards zu gelangen. Und doch gibt es noch Firmen, die Bilanzen fälschen und Prüfer hinters Licht führen. Das zeigt, dass selbst eine vermeintlich einfache, stark standardisierte Finanzbuchhaltung und Rechnungsprüfung nicht alle Probleme löst.

Das frühe SI

In den ersten Jahren hatten die verschiedenen Branchenverbände und Social Investment Forums (SIF) eine gewisse Autorität, die Anlegern dabei half zu definieren, was SI ist. Diese Organisationen versuchten gemeinsam, die Ideen der Vordenker im SI-Bereich zu bündeln, selbst als sich die Branche in den frühen 2000er Jahren rasant entwickelte.
 
Als im Jahr 2012 die Global Sustainable Investment Alliance (GSIA) gegründet wurde, war ihr erster Bericht im Jahr 2014 eine bahnbrechende Studie über den globalen SI-Bereich. Sie brachte etwas Klarheit in das Feld, indem sie alle SI-Ansätze in eine von sieben Kategorien einordnete.  Diese Unterscheidung trug dazu bei, einen nachvollziehbaren Rahmen für den schnell wachsenden Markt entsprechender Fonds zu schaffen. Es war klar, dass unterschiedliche Ansätze unterschiedliche Werte und Renditeerwartungen widerspiegeln. Und dass unterschiedliche Ansätze miteinander kombiniert werden können, um für verschiedene Anleger geeignet zu sein. In diesem Kontext war SI definitiv ein Prozess.

Entwicklung gesetzlicher Vorgaben hält oft nicht Schritt

Ein Nachteil der Definition dieser verschiedenen Ansätze war jedoch, dass sie Anlagestrategien legitimierte, die sich mehr auf ihr Renditepotential als auf ihr Nachhaltigkeitsprofil konzentrierten. Wenn es eine so große  Vielzahl an Ansätzen gab, verdienten diese alle gleichermaßen das Attribut „nachhaltig“? Nach einigen Jahren betrachteten einige Investoren regionale SIFs Fonds, die lediglich ein paar grundlegende Ausschlüsse umsetzen, nicht länger als nachhaltig. Diese verzichteten auf höhere Standards und überließen die Entscheidung den Anlegern, obwohl immer häufiger gefordert wurde, die Auswirkungen auf die reale Welt besser zu ermitteln.
 
In dieser Gemengelage traten die europäischen Regulierungsbehörden auf den Plan, sorgfältig beäugt von denen in anderen Regionen. In der Folge verloren die Branchenverbände einen Teil ihrer Autorität, wenn auch nicht immer ihren Einfluss. Wenngleich die Regulierungsbehörden gute Absichten verfolgen, bleibt die Entwicklung gesetzlicher Vorgaben häufig hinter den Innovationen von Branchen zurück. Eine frühzeitige Festlegung von Regeln kann zu ungewollten Komplikationen führen, sodass selbst Vorreiter und Vordenker Schwierigkeiten haben, die Anforderungen zu entschlüsseln und gleichzeitig den Bedürfnissen ihrer Kunden gerecht zu werden.

Das Teilen von Best Practices

Die Branchenverbände unterstützen ihre Mitglieder bei der Bewältigung dieser Herausforderungen, fördern das Teilen bewährter Praktiken und teilen den Regulierungsbehörden ihre Ansichten über die Wirksamkeit vorgeschlagener Vorschriften mit, die auf der umfassenden Erfahrung in der Zusammenarbeit mit Anlegern und Asset Managern beruhen. Sie aktualisieren auch weiterhin ihre eigenen Systematiken zur Ermittlung nachhaltiger Assets, um die neuesten Erkenntnisse zu berücksichtigen.
 
So änderte das US-amerikanische SIF seine methodischen Definitionen. Das führte dazu, dass sich seine Schätzung zum Volumen nachhaltig verwalteten Vermögens von 17,1 Billionen US-Dollar im Jahr 2020 auf 8,4 Billionen US-Dollar im Jahr 2022 halbierte. EUROSIF erwägt ähnliche Änderungen. Vor allem, weil die Integration von ESG-Aspekten immer noch ein Eckpfeiler von Sustainable Investing ist, aber heute nicht mehr als alleiniges Merkmal eines nachhaltigen Investments angesehen wird.
 
In den 2020er Jahren konzentrieren wir uns viel stärker darauf, die spezifischen Attribute eines nachhaltigen Investments zu definieren oder mit einer sehr detaillierten Nachhaltigkeits-Taxonomie zu arbeiten. Der Schwerpunkt liegt also weniger auf dem Prozess und mehr auf dem Ergebnis. Heute stellt SI häufiger einen Sachverhalt dar.

Ein relativ neuer Bereich, der Geduld erfordert

Im Unterschied zu anderen Bereichen im Finanzwesen (insbesondere der doppelten Buchführung) ist Sustainable Investing ein relativ neues Feld. Man verzettelt sich leicht in den Definitionen und Erwartungen, vor allem in einer Phase, in der die Regulierungsbehörden Fristen für die Erarbeitung von Lösungen setzen. Doch selbst beim besten Willen: Es wird noch länger dauern, bis wir zu einer weltweit akzeptierten und verstandenen Terminologie und Definition kommen.
 
Ist es am Ende wichtig, wie schnell wir zu einer vollständigen Übereinstimmung gelangen? Das wichtigste Instrument des Anlegerschutzes ist die Transparenz, und das wichtigste Ziel von SI ist es, die Finanzbranche in die Lage zu versetzen, das Naturkapital unseres Planeten, die Grundlage allen wirtschaftlichen Wachstums und Wohlstands, zu erhalten. Wir sind uns vielleicht nicht alle über den Weg dorthin einig, aber wir haben ein gemeinsames Ziel.
Rachel Whittaker ist Head SI Research bei Robeco.