„Mind the gap“ bei Aktien und High Yield

Thomas Hempell, Generali Investments
Thomas Hempell / Bild: Generali Investments
Die Einigung in letzter Minute über die US-Schuldengrenze, eine robuste US-Konjunktur und ein KI-Schub für IT-Chiphersteller haben dazu beigetragen, dass Risikopapiere im Mai steigende Renditen verzeichnen konnten. Dennoch sollten sich Anleger nicht täuschen lassen und sich auf eine Rezession vorbereiten.
Nachdem die akuten Bankensorgen in den Hintergrund getreten sind und sich US-Präsident Biden zusammen mit dem Vorsitzenden des Repräsentantenhauses, McCarthy, in letzter Minute auf eine Einigung über die Schuldenobergrenze verständigt hat, haben die Märkte den Mai entspannt beendet. Globale Aktien lagen nur leicht im Minus (MSCI World -0,4 Prozent per 30. Mai) und trotzten den Zinserwartungen und einem Anstieg der 10-jährigen US-Renditen um 27 Basispunkte.

Aber Achtung: Anleger sollten verschiedene negative Faktoren im Blick behalten, die sich derzeit auftun. Die steigende Nachfrage im Dienstleistungssektor wird überschattet von zunehmenden Schwierigkeiten im verarbeitenden Gewerbe. Die Aktienmärkte wie auch die im ersten Halbjahr robusten Kredite stehen im Kontrast zu starken Anzeichen einer drohenden US-Rezession, deutlich höheren Realrenditen und Anzeichen für eine Kreditklemme.

Achten Sie auf die sich ausweitende Lücke

Die Märkte fühlen sich durch die robuste Entwicklung des Dienstleistungssektors ermutigt, die durch die starken Arbeitsmärkte und eine hohe Konsum-Nachfrage nach der Pandemie gestützt wird. Doch auch in dieser „Schönwetter-Lage“ sendet das verarbeitende Gewerbe negative Signale. Trotz der Wiedereröffnung Chinas signalisiert der globale Purchase Manager Index (PMI) des verarbeitenden Gewerbes eine weltweite Stagnation und ein Schrumpfen in Europa. Weltweit ist der Abstand zum Dienstleistungsindex so groß wie nie zuvor seit dem Ende der Finanzkrise und im Euroraum sogar auf dem höchsten Stand seit Beginn der Aufzeichnungen. Der Dienstleistungssektor mag sich noch eine Weile auf hohem Niveau halten, aber wir rechnen mit einem deutlich stärkeren Gegenwind im zweiten Halbjahr.

Anleger sollten sich nicht verführen lassen

Vor allem aber wird die stärkste Straffung der Geldpolitik seit den 1980er Jahren erst noch ihre volle Wirkung entfalten. Anleger sollten sich nicht von der nach wie vor robusten US-Konjunktur verführen lassen. In den kommenden Quartalen droht eine Rezession. Die Banken verschärfen die Kreditvergabe, was ein zuverlässiger Frühindikator für den Konjunkturzyklus ist.

Das globale Bild ist ebenfalls nicht ermutigend. Die chinesische Wiedereröffnung hat enttäuscht, bevor sie überhaupt begonnen hat. Der Welthandel befindet sich in einer Flaute. Die wirtschaftlichen Überraschungen sind auf dem Weg nach unten und erreichen zum ersten Mal seit Herbst letzten Jahres negative Werte. Die Gesamtinflation wird aufgrund von Basiseffekten und niedrigeren Energiepreisen zwar zurückgehen, aber durch den hartnäckig zugrunde liegenden Preisdruck werden die großen Zentralbanken noch länger an ihrer restriktiven Politik festhalten. Ein Schwenk der Fed ist nicht vor dem vierten Quartal 2023 und bei der EZB nicht vor Mitte 2024 zu erwarten.

Die fortgesetzte Umkehrung der Renditekurve an den Anleihemärkten scheint mit den Rezessionsängsten übereinzustimmen, aber Aktien- und High Yield-Anleger scheinen zu glauben, dass es dieses Mal anders ist. Zugegeben, die Marktpositionierung ist nach wie vor rückläufig und lässt Raum für Gegenbewegungen. Die robusten Zahlen zum US-Konsum und zur Lohnentwicklung könnten dem drohenden Gegenwind noch eine Weile trotzen. Und die niedrigen Energiepreise mildern den Gegenwind für die angeschlagenen europäischen Produzenten.

Aktien und High Yield-Kredite scheinen am anfälligsten

Die Gewinne dürften jedoch deutlicher unter dem schwächeren Wachstum und den höheren Fremdkapitalkosten leiden, und die Konsensprognosen für die Gewinne sind anfällig für Anpassungen. Die Bewertungen sind hoch - das Kurs-Gewinn-Verhältnis des S&P500 liegt auf dem Niveau des letzten Sommers, aber die realen 10-jährigen Renditen sind inzwischen von praktisch Null auf über 1,5 Prozent gestiegen, eine weitere Lücke, die man beachten sollte. Ebenso sind die Risikoprämien bei den High Yield-Spreads niedriger als zu Beginn des Jahres und trotzen damit den Anzeichen für eine viel engere Kreditvergabe, steigende Refinanzierungskosten und zunehmende Ausfälle.

Staatsanleihen und Euro-Investment-Grade-Kredite
haben ihre Attraktivität nicht verloren, vor allem dank eines attraktiven Carry. US-Treasuries profitieren ebenfalls von der Aussicht auf mittelfristig niedrigere Renditen und guten Absicherungseigenschaften im Falle eines Risikoabbaus. Wir halten Kernanleihen des Euroraums für attraktiv, bevorzugen aber kürzere Laufzeiten in Südeuropa, die weniger anfällig für eine Ausweitung der Spreads sind. Die sich abzeichnende US-Rezession und der voraussichtliche Einstieg der Fed in einen Lockerungszyklus deuten auf eine erneute Schwäche des US-Dollars in den kommenden Monaten hin.

Wir halten in unseren Portfolios an einer vorsichtigen taktischen Ausrichtung fest und untergewichten Aktien und High Yield moderat. Wir bevorzugen den Carry von Investment Grade und Staatsanleihen, während wir ein ungesichertes US-Dollar-Engagement vermeiden.
Thomas Hempell ist Head of Macro & Market Research bei Generali Investments.

Im Artikel erwähnte Wertpapiere

UC S&P 500 5.012,2299 N.A.
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