Sustainable Investing ist keineswegs tot

Masja Zandbergen, Robeco
Masja Zandbergen / Bild: Robeco
Kriegsbedingt stand Sustainable Investing (SI) 2022 kurzfristig unter großem Druck. Unserer Ansicht nach werden jedoch drei langfristige Faktoren – angeführt vom Klimawandel – SI weiterhin große Bedeutung verleihen. Inwiefern diese dazu beitragen können, kurzfristige Belastungen zu bewältigen, erlären wir im neuen Teil der Textreihe „SI Dilemma“.
Man kann sagen, dass 2022 für Sustainable Investing ein „annus horribilis“ war. Durch den Krieg in der Ukraine und den damit einhergehenden Anstieg der Energie- und Lebensmittelpreise
kam es zu einer hohen Gesamtinflation. Das veranlasste die Zentralbanken dazu, die Leitzinsen anzuheben. Beides war ungünstig für nachhaltige Strategien. Denn diese sind typischerweise in wachstumsorientierten Unternehmen investiert und weniger in Energie-, Rohstoff- und Substanzwerten, die sich in der Krise gut entwickelten. Viele Stimmen sagten, dass dies das Ende des Wachstums nachhaltiger Investments bedeute. Doch tatsächlich handelt es sich eher um eine kurzfristige Störung, die letztlich vorübergehen wird.

Vier Herausforderungen

Ehrlicherweise muss man sagen, dass Sustainable Investing im Jahr 2022 eindeutig mit einigen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte.
 
Erstens führte die Energiekrise zu einer wieder verstärkten Nutzung fossiler Brennstoffe, darunter auch Kraftwerkskohle, da die Gaspreise in die Höhe schnellten, unter anderem aufgrund der Sanktionen gegen Russland. Aktien aus dem Energiesektor entwickelten sich sehr gut, während Wachstumstitel ins Hintertreffen gerieten, da Investoren akuten Notwendigkeiten den Vorzug vor Nachhaltigkeitsaspekten gaben.
 
Zweitens ist Sustainable Investing insbesondere in den USA auf Gegenwind gestoßen. Das Thema ESG ist hochpolitisch geworden, wobei sich die Anti-ESG-Bewegung besonders lautstark bemerkbar machte. Die unmittelbaren Auswirkungen dieser Bewegung beschränkten sich auf mit öffentlichen Geldern finanzierte Anlagen in von den Republikanern geführten Bundesstaaten, in denen die Anti-ESG-Stimmung dominierte. Die Mehrzahl der Anlagestrategien war nicht direkt betroffen, aber tendenziell indirekt über Reputation und politische Assoziierung. Diesen Effekt sollte man wahrscheinlich nicht unterschätzen.
 
Drittens wird Greenwashing mittlerweile als noch größeres Risiko angesehen, da einige bedeutende Asset Manager dem Vorwurf ausgesetzt sind, ihr SI-Profil zu schönen. Das hat dazu geführt, dass einige von ihnen globalen Initiativen wie der Net Zero Asset Manager Alliance ihre Unterstützung entzogen haben. Es kam aber auch zu „Green Bleaching“ (auch bekannt als „Grey Washing“), was umgekehrt bedeutet, dass die tatsächliche Nachhaltigkeit von Anlagestrategien untertrieben wird. Auch das ist keine gute Entwicklung.
 
Nicht zuletzt hat eine neue EU-Verordnung die Beweislast für den Grad der Nachhaltigkeit eines Anlageprodukts auf die Strategien und Mandate selbst verlagert. Dagegen haben Anlageprodukte, die ESG-Aspekte nicht zu integrieren versuchen, viel weniger zu tun. Das erscheint kaum angemessen.

Drei langfristige Faktoren

Sustainable Investing erhält jedoch ganz klar Unterstützung durch drei langfristige Faktoren.
 
Erstens sind Nachhaltigkeitsaspekte – vor allem das Thema Klimawandel – für Unternehmen und damit auch Anleger zunehmend finanziell relevant. Der Erfolg bei der Einführung nachhaltiger Alternativen zu traditionellen, nicht nachhaltigen Produkten wirkt sich auf Geschäftsabläufe und Endmärkte aus.
 
Das ist beispielsweise bei der Stromproduktion zu beobachten, dank des Wachstums im Bereich Erneuerbare Energien, aber auch in der Automobilindustrie und der Lebensmittelbranche. Tatsächlich wirkt sich das Thema Nachhaltigkeit heute auf die eine oder andere Weise auf die meisten Branchen aus, während Anleger es vor zehn Jahren ignoriert haben dürften. Mittlerweile jedoch kann es nicht länger ignoriert werden.
 
Ich merke auch sehr deutlich, dass die Ansprüche und Erwartungen von Kunden und Gesellschaft an den Umgang der Finanzbranche mit Nachhaltigkeitsaspekten steigen. Der jüngste Global Climate Survey von Robeco hat nicht nur gezeigt, dass der Klimawandel für sieben von zehn institutionellen Investoren bereits ein zentrales Thema ihrer Anlagepolitik ist, sondern auch, dass für 66 Prozent der Befragten das Thema Biodiversität in den nächsten zwei Jahren ein wichtiger oder zentraler Faktor in ihrer Anlagepolitik sein wird (aktuell ist dies nur bei 48 Prozent der Befragten der Fall). Dies ist ein enormer Anstieg gegenüber den 16 Prozent, für die Biodiversität vor zwei Jahren ein bedeutender Aspekt war, und gegenüber den 5 Prozent, für die sie von zentraler Bedeutung war. Die Umsetzung dieser Schritte steht noch ganz am Anfang. Doch es ist klar, dass die Kapitaleigner Druck auf ihre Asset Manager dahingehend ausüben werden, diese Aspekte in ihre Investitionsstrategien zu integrieren.

Wo die Regulierung helfen kann

Und schließlich das bereits erwähnte kurzfristige Ärgernis, aber auch eine langfristig treibende Kraft: die Regulierung. Die EU liefert das Vorbild, während Asien und Lateinamerika es ihr nachtun. Auch wenn die Gegnerschaft zu Sustainable Investing in einigen US-Bundesstaaten viel Aufmerksamkeit in den Medien erregt, geht die Gesetzgebung auf Bundesebene in Richtung Unterstützung für ESG.
 
Spätestens Ende dieses Jahres wird die US-Wertpapieraufsicht (SEC) ihre endgültigen Vorgaben hinsichtlich klimabezogener Angaben von Unternehmen erlassen. Ziel ist es, dass Anleger von den Unternehmen mehr Informationen über klimabezogene Risiken erhalten, die mit großer Wahrscheinlichkeit wesentliche Auswirkungen auf ihr Geschäft haben werden. Diese neuen Unternehmensangaben wären in den USA eine Premiere. Vor allem werden sie wahrscheinlich vorschreiben, dass Unternehmen in ihren Jahresabschlüssen über Treibhausgasemissionen und die Auswirkungen klimabezogener Risiken auf einzelne Posten berichten.
 
Somit kommt es für die meisten institutionellen Investoren nicht mehr in Betracht, das Thema Nachhaltigkeit zu ignorieren oder nicht umzusetzen. Je nach dem, wo ihre Kunden auf ihrem Weg zu mehr Nachhaltigkeit stehen, integrieren sie schrittweise wesentliche ESG-Aspekte in ihre Investments, setzen ihre eigenen Sichtweisen in punkto Nachhaltigkeit um und suchen nach Möglichkeiten, um in Richtung tatsächlicher positiver Effekte voranzukommen.

Kundeninteresse weiter hoch – SI ist keineswegs tot

Das Kundeninteresse ist weiterhin hoch. Selbst in diesen herausfordernden Zeiten bleibt das Thema Nachhaltigkeit bei fast allen unseren Kunden weit oben auf der Tagesordnung. Betrachtet man einen kürzeren Zeitraum – das erste Quartal 2023 – haben ESG-Strategien weltweit wieder besser abgeschnitten. Gleichzeitig liegen die Mittelzuflüsse nach wie vor über denen bei traditionellen Strategien. Bei Robeco stieg der Anteil maßgeschneiderter Nachhaltigkeitsstrategien am gesamten verwalteten Vermögen im Jahr 2022 gegenüber dem Vorjahr von 20 auf 22 Prozent. Noch größer ist der Anstieg im Vergleich zum Jahr 2017 mit einem Anstieg um 6 Prozentpunkte.
 
Ich beschäftige mich schon seit nunmehr 20 Jahren mit ESG-Integration und nachhaltigen Investments. In diesen zwei Jahrzehnten kam es immer wieder zu Phasen kurzfristiger Störungen – sie alle wurden überwunden. Von daher ist meine Überzeugung unvermindert stark: Sustainable Investing schwimmt im Auf und Ab der Finanzmärkte und wird weiter fortbestehen.
 
P.S. „Überzeugung“ ist das Wort, mit dem ich meinen SI-Ansatz in unserem neuen Buch „Nachhaltigkeit quantifizieren“ beschreibe, in dem auch meine Teenager-Tochter Hannah zu Wort kommt. Man sagt, dass es bei nachhaltigen Anlagen darum geht, Sorge für die nächste Generation zu tragen – hier ist meine!
Mehr zu dem (englischsprachigen) Buch finden Sie hier.
Masja Zandbergen ist Leiterin für die Integration von Nachhaltigkeit bei Robeco