Die tragische Realität des Übergangs zur Energiewende

Hans Stegeman,Triodos IM
Hans Stegeman / Bild: Triodos IM
Haben sich die Preisschocks für fossile Brennstoffe als treibende Kraft hinter einer Beschleunigung der Energiewende erwiesen? Das Bild scheint gemischt: Es gibt sicherlich Rückschläge, aber auch Anzeichen dafür, dass der Übergang gestartet ist.

So hat sich laut The Economist die Energiewende im vergangenen Jahr um fünf bis zehn Jahre beschleunigt, und es besteht ein breiter Konsens darüber, dass die Krise dazu beiträgt, den Übergang zu Energieeffizienz und sauberer Energie zu beschleunigen.

Rückwirkung des Systems

Die Umstellung von russischem Öl und Gas auf andere Energiequellen bedeutete für viele europäische Länder steigende Energiepreise und eine knappe Energieversorgung. Dies führte dazu, dass der Kohleanteil am globalen Energiemix wieder anstieg, was wiederum zu höheren Kohlenstoffemissionen führte. Darüber hinaus war die Substitution von fossilen durch erneuerbare Energien begrenzt, wobei russische fossile Brennstoffe beispielsweise durch amerikanisches, saudi-arabisches oder norwegisches Öl und Gas ersetzt wurden. Unter anderem deshalb wurde das Jahr 2022 zu einem Rekordjahr für Treibhausgasemissionen, die weltweit um 1 Prozent anstiegen, während die Kohlenstoffemissionen um 7 Prozent sinken sollten, um das Pariser Abkommen zu erfüllen. Außerdem war 2022 das Jahr der großen Öl- und Gaskonzerne: Sie erwirtschafteten Rekordgewinne und erhielten somit viel Geld, um (weiterhin) in die Erforschung fossiler Energien zu investieren. Und zu allem Überfluss verdoppelten sich die staatlichen Subventionen für den Verbrauch fossiler Energien.

Erste positive Anzeichen des Übergangs

Dennoch sollten wir uns von der nebligen Realität des Übergangs nicht blenden lassen. Denn weniger sichtbar ist, dass die Energieintensität der Weltwirtschaft im vergangenen Jahr um etwa zwei Prozent zurückgegangen ist. In Europa war der Rückgang mit fast zehn Prozent sogar besonders stark (wobei der Erdgasverbrauch um stolze 12 Prozent zurückging).

Dieser kurzfristige "Erfolg" war eine Kombination aus politischen Maßnahmen zur Senkung der Energienachfrage einerseits und dem Verhalten der Energieverbraucher andererseits. Obwohl sie durch eine Reihe von Maßnahmen unterstützt wurden, die von Land zu Land unterschiedlich waren – z.B. obligatorische Begrenzung von Klimaanlagen in Bürogebäuden und obligatorisches Ausschalten der Beleuchtung bei Nacht in Geschäften und Büros – führten die höheren Preise im Allgemeinen zu einem bewussteren Umgang mit Energie. Es besteht also kein Zusammenhang zwischen den ergriffenen Maßnahmen (freiwillige, obligatorische und sektorale) und der daraus resultierenden Verringerung des Energieverbrauchs. Abgesehen von dem relativ milden Herbst scheinen die durch die höheren Preise ausgelösten Verhaltenseffekte die beste Erklärung für den Rückgang der Energieintensität zu sein.

Auch auf der Angebotsseite entwickelt sich der Übergang weiterhin positiv. Trotz der höheren Zinssätze hat sich die Amortisationszeit von Investitionen in erneuerbare Energien angesichts der hohen Energiepreise erheblich verkürzt. Dies wird zu einer weiteren Beschleunigung der erneuerbaren Energien in den kommenden Jahren führen. Darüber hinaus tragen der Inflation Reduction Act in den USA, der Flickenteppich staatlicher Subventionen in Europa und die chinesischen Pläne für massive Zuschüsse und staatliche Beihilfen ebenfalls zu dieser Beschleunigung bei, wobei in den kommenden Jahren Milliarden für die Subventionierung von Technologien und die Schaffung von Märkten zur Verfügung stehen werden.

Doch der Nebel bleibt

Gleichzeitig sind die politischen Maßnahmen alles andere als effizient. Es macht keinen Sinn, fossile Brennstoffe zu besteuern und sie gleichzeitig zu subventionieren. Ebenso wenig ist es sinnvoll, dass das Emissionshandelssystem EU-ETS nur für etwa 40 Prozent aller Emissionen gilt. Gleichzeitig braucht Europa eine Kohlenstoffgrenzsteuer (Carbon Border Adjustment Mechanism), um gleiche Wettbewerbsbedingungen für die europäische Industrie zu schaffen, solange der Rest der Welt fossile Brennstoffe nicht höher besteuern will. Und warum sollten die USA und die Eurozone bei der nachhaltigen Unterstützung von Unternehmen miteinander konkurrieren? Das hat den Beigeschmack eines Übergangs der reichen Länder, bei dem die ärmeren Länder nicht mithalten können.

Die kommenden Jahre sind entscheidend

Selbst die Beschleunigung der Energiewende reicht nicht aus, um den Temperaturanstieg auf 1,5 Grad im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter zu begrenzen. Es muss noch viel mehr getan werden, und die kommenden Jahre sind dafür entscheidend.

Was die Energieeffizienz betrifft, so können wir hoffen, dass sich Verhaltensänderungen durchsetzen und sich Investitionen in Energie-Effizienz (Isolierung, energieeffizientere Produktion) in den kommenden Jahren auszahlen werden. Bei der Versorgung mit sauberer Energie werden öffentliche Investitionen, Innovationen und die Ausweitung bestehender Märkte entscheidend sein, aber die Zeichen stehen gut.

Zwei Bereiche geben Anlass zur Sorge

  • Der erste ist der Finanzsektor. Obwohl ein großer Teil des Finanzsektors, wie die Net Zero Banking Alliance (NZBA), Zusagen gemacht hat, ist es fraglich, ob diese Zusagen zu einer Beschleunigung der Energiewende führen werden. Banken und Vermögensverwalter finanzieren nach wie vor Aktivitäten, die nicht auf Netto-Null im Jahr 2050 ausgerichtet sind. Es muss mehr getan werden, um den Finanzsektor auf den richtigen Weg zu bringen und genügend privates Kapital für die Energiewende bereitzustellen.
  • Eine zweite Sorge ist, dass wir uns nur auf die Angebotsseite von Energie und Effizienz konzentrieren. Die heutige Tragödie besteht darin, dass die zusätzliche Kapazität an erneuerbaren Energien die fossilen Brennstoffe weltweit nicht ersetzt, sondern nur das Wachstum der Energienachfrage auffängt.
Wenn wir unser ausschließlich auf Wachstum ausgerichtetes Wirtschaftssystem und die dazugehörende Wirtschaftstheorie nicht grundsätzlich hinterfragen, werden wir die in Paris vereinbarten Ziele voraussichtlich nicht erreichen. Eine unbequeme Wahrheit, aber eine, nach der wir handeln müssen.
Hans Stegeman ist Chief Investment Strategist bei Triodos Investment Management (IM)