Norbert Betz / Bild: BBAG/Killius
Wir lassen uns von negativen Nachrichten stärker in den Bann ziehen, als dass wir auf positive Meldungen reagieren. Bad News are good News gilt immer. Auf die Börse trifft das im besonderen Maße zu, wir lassen uns als Anleger von schlechten Nachrichten mitreißen. Anders sind Panik und Kursstürze nicht zu erklären. Der Mainstream neigt zur Katastrophe: Ob beim Klima oder der Zuwanderung, bei Energie oder Globalisierung, Staatsverschuldung oder Demografie – gerne wird vom Schlimmsten ausgegangen und nicht nur Ornithologen halten nach Schwarzen Schwänen Ausschau. Das verleitet uns zu Fehl- und Kurzschlüssen. Denn an der Börse ist es wichtig, nicht mit dem Strom zu schwimmen, sich nicht vom Mainstream unterkriegen zu lassen, seine eigene Meinung zu bilden und gegen alle Einflüsterungen zu behalten.

Menetekel oder Chance?

Klingt der Verkauf der Wärmepumpensparte des Traditionsunternehmens Viessmann nicht wie ein Menetekel über den Untergang des Industriestandortes Deutschland? Massenflucht statt grünes Wirtschaftswunder? Ja und nein. Immerhin ist der Käufer das nicht minder traditionsreiche, börsennotierte und finanzstarke US-Unternehmen Carrier Global, das Viessmann zwölf Milliarden Euro, teilweise auch in Aktien, geboten hat. Damit wird das nordhessische Familienunternehmen Teilhaber im Wachstumsfeld Wärmepumpen. In den USA gibt es günstige Energie, weniger Regulierung – ein Feld, das der Viessmann-Chef mit als Grund für den Verkauf genannt hatte – und weniger Steuern, der Weg zur Massenfertigung ist frei. Nicht zuletzt ist der Deal ein Beweis, wie innovativ und technologisch versiert der deutsche Mittelstand ist. Das sollte Hoffnung für die Zukunft geben.

Informationspflicht für Anleger

Die Berichtssaison ist bereits am Abklingen, es folgt die Zeit der Hauptversammlungen, viele als Präsenzveranstaltungen, andere finden online statt. Großkonzerne wie mittelständische börsennotierten Unternehmen haben und geben den Blick frei auf ihre Bilanzen - doch die Berichterstattung konzentriert sich meist auf einige, wenige Großkonzerne. KMUs, wenn sie keine Horrormeldungen bereit halten, fahren meist unterhalb der Aufmerksamkeitsschwelle in den Medien. Journalisten und Analysten drängen nicht auf ihre Pressekonferenzen. Neben Fachzeitschriften sind Anleger auf die eher spröden Adhoc-Meldungen angewiesen, die sie im Internet suchen müssen. Die Börse München bietet ihren knapp 70 im Mittelstandssegment m:access gelisteten Unternehmen auf Fachkonferenzen die Möglichkeit, sich zu präsentieren - hier gibt es eine Übersicht über die Termine. Privatanleger können sich bei den hybriden Konferenzen kostenlos per Internet zuschalten. Trotzdem, die Informationsbeschaffung ist viel zeitaufwendiger als bei Großkonzernen, und sie setzt eigenes Engagement voraus. Aber Informationen aus erster Hand sind die Grundvoraussetzung für jedes Aktienengagement bei Small Caps.

Der Mittelstand behauptet sich

Doch jenseits aller aufgebauschten Katastrophenmeldungen ist zu erkennen, dass sich der Mittelstand trotz aller Belastungen der vergangenen Jahre behauptet. Die meisten Unternehmen haben Corona, den Ukrainekrieg, die Russlandsanktionen und die raschen Zinserhöhungen der Zentralbanken besser überstanden als von vielen Untergangspropheten vorausgesagt. Sie werden auf die Herausforderungen der Zukunft flexibel und angemessen reagieren. Allein der von der EU und der Bundesregierung eingeforderte Transformationsprozess hin zur Nachhaltigkeit und Dekarbonisierung vor dem Hintergrund steigender Energiepreise stellt eine große Belastung dar – aber eben auch eine Chance für den Innovationsprozess. Echtes Unternehmertum steckt den Kopf nicht in den Sand, es kann allerdings sein, um im Bilde zu bleiben, dass einige Körperteile die Landesgrenzen überschreiten. Das braucht Investoren jedoch nicht zu belasten, eher im Gegenteil.
Dieser Text ist in leicht veränderter Form zuerst im Nebenwerte-Journal erschienen.
Norbert Betz, Leiter der Handelsüberwachung an der Börse München, setzt sich seit Jahren mit den Psychofallen an der Börse auseinander: als leidenschaftlicher Trader wie als distanzierter Marktbeobachter, als Referent (online und offline) und Autor.
Gemeinsam mit Ulrich Kirstein hat er Börsenpsychologie simplified, 2. Auflage 2015, erschienen im FinanzBuchVerlag, geschrieben. Für die Börse München außderdem das Booklet Psychofallen an der Börse. Wie wir sie erkennen und vermeiden. (2. Auflage 2021)

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