Endlich wieder Zinsen? Des einen Freud, des anderen…

Claus Walter, Freiburger Vermögensmanagement GmbH
Claus Walter / Bild: Freiburger Vermögensmanagement GmbH
Nicht jeder freut sich über die Zinswende, denn sie produziert Gewinner und Verlierer. Darum sollten Anleger jetzt einen Frühjahrsputz im Portfolio einplanen.
Im Prinzip ist es eine gute Sache, wenn es für Geld auf dem Sparkonto wieder wenigstens etwas Ertrag gibt. Natürlich sollten gerade langfristig denkende Anleger dabei nicht den Hauptgrund dafür aus dem Blick verlieren: Inflation. Ohne die hätte die europäische Zentralbank keine historisch rasante Zinswende vollzogen und noch ist es hier zu früh für Manöver in ruhigeres Fahrwasser. Bundesbankchef Joachim Nagel bestätigte gerade trotz der jüngsten Probleme im Bankensektor: „Unser Kampf gegen die Inflation ist noch nicht vorbei.“
 
Für den normalen Sparer bedeutet das, dass Bankeinlagen von Festgeld über Sparbuch bis zum Tagesgeld negative Realrendite einbringen. Anders ausgedrückt, selbst die besten Neukundenlockangebote der Direktbanken um die 2,5 Prozent pro Jahr für ein paar Monate gleichen unter dem Strich die Geldentwertung noch lange nicht aus. Denn in den ersten Monaten des Jahres lag die Inflationsrate weiterhin deutlich über dem Zweiprozentziel der Europäischen Zentralbank jenseits acht Prozent. Wer Vermögen aufbauen will, um zum Beispiel in ein oder zwei Jahrzehnten einen angenehmen Ruhestand zu verbringen, wird zum realen Werterhalt kaum an strategischen Aktienbausteinen vorbeikommen. Aber auch dabei gilt es genau hinzusehen, welche Branchen mit dem momentanen Umfeld gut zu Recht kommen. Auch in bestehenden Depots macht es Sinn, über einen Frühjahrsputz nachzudenken.

Finanzierungen werden schwerer

Denn steigende Zinsen haben einen ganz offensichtlichen Nachteil: Kredite werden teurer. Zusätzlich dürften die Schwierigkeiten rund um den kalifornischen und eidgenössischen Bankensektor die Risikobereitschaft bei der Vergabe von Finanzierungen reduzieren. Diesen Trend spüren zum Beispiel die Häuslebauer hierzulande bereits seit einigen Monaten. Einen Baukredit zu bekommen, wird nicht nur immer kostspieliger, sondern auch die Vergabe ist oft ein langer Weg. Was im Kleinen für den Bauherren gilt, gilt auch im Großen für kapitalintensive Geschäftsmodelle. Das trifft zum Beispiel die Immobilienbranche aber auch Start-Ups, die darauf angewiesen sind, immer wieder Geld für den Ausbau des Geschäftsmodells zu besorgen. Deswegen mögen es solche Wachstumstitel gar nicht, wenn Kapital teurer wird, was sich in den letzten Wochen an vielen Aktienkursen ablesen ließ. Auf der anderen Seite freut sich auch so mancher über das steigende Zinsumfeld. Je nach Geschäftsmodell litten zum Beispiel Versicherer oder Tagesgeldanbieter unter der langen Nullzinsphase, jetzt blühen manche wieder auf. Das liegt nicht zuletzt auch an der Zinswende, denn seit Februar liegt zum Beispiel der Einlagenzins der EZB bei 2,5 Prozent, zu dem können die Institute Geld sicher über Nacht parken. Wenn sich also Bestandskunden über eine Erhöhung der Zinssätze ihrer Hausbank für kurzfristig verfügbare Einlagen auf 0,75 oder vielleicht sogar in seltenen Fällen 1,5 Prozent freuen, freut sich der Anbieter noch mehr. Denn er kann quasi risikolos Gewinn einstreichen.

Depotanalyse mit Weitblick statt Panik

Also jetzt alles weg vom Sparkonto in Aktien von Versicherungskonzernen und Banken investieren und Google, Amazon und Co. raus aus dem Depot? So einfach ist es leider nicht, denn es kommt auf den Einzelfall an. Wir als Vermögensverwalter schauen uns immer die komplette Finanzstruktur unserer Kunden an. Zum Beispiel macht es durchaus Sinn, eine Reserve für unerwartete Ausgaben auf dem Tagesgeldkonto zu haben, auch wenn es hier keine positive Realverzinsung gibt. Ohne Frage gibt es in den Aktien des Finanzsektors derzeit wieder mehr Chancen durch die Zinswende, aber wie die Nachrichten der letzten Wochen gezeigt haben, selbst bei noch so traditionsreichen Namen gilt es, genau die Risiken zu analysieren. Genauso sollten bei Wachstumstiteln trotz kurzfristigen Bremsspuren durch das Kreditgeschäft nicht die langfristigen positiven Perspektiven unterschätzt werden. Durch die Zinswende hat sich nicht alles komplett verändert, aber das eine oder andere Vorzeichen durchaus. Deswegen empfehlen wir jetzt eine Inventur des Portfolios, bei der die Balance zwischen Chancen und Risiken der eigenen Finanzstruktur neu bewertet wird. Anpassungen können dann mit der nötigen Sorgfalt, Ruhe und Weitblick vorgenommen werden. So lässt sich auch in turbulenten Zeiten wie heute über die Jahre Vermögen aufbauen und erhalten.
Claus Walter ist Gründer und geschäftsführender Mehrheitsgesellschafter der Freiburger Vermögensmanagement GmbH.
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