EZB-Geldpolitik: weiter so!

Dr. Klaus Bauknecht, IKB Deutsche Industriebank AG
Dr. Klaus Bauknecht / Bild: IKB Deutsche Industriebank AG
Fazit: Infolge struktureller Herausforderungen wie Klimawandel und demografische Entwicklung wird der neutrale Zinssatz in der Euro-Zone in den kommenden Jahren steigen. Die Geldpolitik muss also für längere Zeit mit höheren Zinsen rechnen, auch weil sie durch die Fiskalpolitik in ihrer Effektivität eingeengt wird.

Eine langfristig höhere Inflation zu erwarten, ist hingegen unangebracht. Die Frage ist vielmehr, wie hoch der neutrale Zinssatz und damit die Leitzinsen der EZB ausfallen werden.   

Aktuell wird eine „terminal rate“ des Einlagenzinses von ca. 3,5 Prozent erwartet. Das Risiko bleibt jedoch nach oben gerichtet. Damit die EZB Mitte 2023 ihre geldpolitische Straffung beenden kann, ist eine ausreichend spürbare konjunkturelle Eintrübung erforderlich.

Klimapolitik und Demographie sind kein Grund für eine nachhaltig höhere Inflation, …

Eine mittelfristig höhere Inflation in Deutschland und der Euro-Zone zu erwarten, scheint fast schon Konsens zu sein. Demografische Entwicklungen werden hierbei häufig als Ursache angesehen. Die alternde Bevölkerung führt zu Angebotsengpässen, da es immer weniger Erwerbstätige gibt. Gleichzeitig sind immer mehr Ressourcen für die Pflege erforderlich. Die Folge ist ein Nachfrageüberhang, der zu steigenden Preisen führt. Finanziert die Notenbank solche Ungleichgewichte durch niedrigere Zinsen, kommt es zu Inflation bzw. im weiteren Verlauf zu einer Inflationsspirale. Eine alternde Bevölkerung kann außerdem zu einem niedrigeren Produktivitätswachstum führen, was das Potenzialwachstum belastet und Inflationsdruck verursacht. Der notwendige neutrale Zinssatz steigt folglich.

Ein weiteres Argument für eine länger anhaltende höhere Inflation basiert auf der Klimapolitik. CO2-Preise werden nachhaltig steigen, neue Technologien erlauben noch keine kosteneffiziente Produktion – grüner Stahl ist in der Herstellung um ein Vielfaches teurer als gewöhnlicher Stahl –, und der Abschreibungsbedarf bei Unternehmen ist hoch, was höhere Preise mit sich bringen muss, um die Profitabilität zu erhalten. All dies geht einher mit zunehmendem Kostendruck und Nachfragebedingt höheren Preise. Energiewende bzw. Klimapolitik bewirken zudem strukturelle Veränderungen auf der Angebotsseite, also einen Angebotsschock. Auch wird der technologische Fortschritt erst später zu Produktivitätssteigerung führen. Reagiert die Nachfrage nicht darauf, bzw. finanziert die Geldpolitik höhere Preise, führt auch dies zu einer stärkeren Inflationsdynamik.

Steigende Produktionskosten und daraus resultierende höhere Güterpreise schwächen zudem die Wettbewerbsfähigkeit und damit die Angebotsseite – vor allem, wenn der Rest der Welt nicht die Präferenzen für eine klimaneutrale Produktion teilt. In der Folge werden Exporte und damit die Wertschöpfung in Deutschland belastet. Auch ist von einer zunehmenden Abwanderung von Investitionen ins Ausland auszugehen.

Ein sinkendes Einkommen wirkt dagegen deflationär. Würde die EU keine Handelsbarrieren zum Schutz klimaneutraler Technologien errichten, wäre aufgrund relativer Preisentwicklungen womöglich von einem deutlichen Importanstieg auszugehen, was ebenfalls deflationär wirken würde. Doch die EU-Gesetzgebung wird dafür sorgen, dass im EU-Wirtschaftsraum nur klimakonforme Güter verkauft werden dürfen. Also steigen die Preise der lokalen sowie der importierten Güter. Die entscheidende Frage ist, ob sich infolge einer geringeren Wertschöpfung und eines niedrigeren Potenzialwachstums die Nachfrage aufgrund eines Rückgangs des Lebensstandards bzw. Einkommens ausreichend reduzieren wird, und ob im weiteren Verlauf der technologische Fortschritt relativ schnell zu Produktivitätssteigerungen und damit zur Angebotsausweitung führt. Reagiert die Angebotsseite nicht, ist die Notenbank gefragt, das Gleichgewicht kurz- bis mittelfristig herzustellen. Schließlich hat sich der neutrale Zinssatz infolge der Angebotsrestriktionen erhöht.

… entscheidend ist allein die Geldpolitik

Inflation ist in erster Linie eine Frage der geldpolitischen Ausrichtung. Scheut die Notenbank Anpassungen beim Lebensstandard, und soll die Geld- bzw. Fiskalpolitik expansiv bleiben, werden Angebotsschocks zu Inflation führen. Am Ende sind es aber nicht Demografie, Energiewende oder Klimapolitik, die entscheidend sind, sondern die Bereitschaft der Geldpolitik, bei Angebotsengpässen einen notwendigerweise höheren Gleichgewichtszins zu etablieren. Oftmals ist es jedoch einfacher, den Schein einer Entlastung aufrecht zu halten. Doch die Lösung ist nicht, eine höhere Inflation zuzulassen, denn sie wird sich nicht auf einem höheren Niveau stabilisieren. Weil die Geldpolitik zu expansiv ist, um den realen Konsum aufrecht zu halten, wird sich ein anhaltender Inflationszyklus einstellen. In Folge wird die Inflation immer weiter zunehmen. Der Gedanke, die Inflation verweile mittelfristig stabil auf einem höheren Niveau als 2 Prozent, ist deshalb nicht schlüssig. Entweder Geld- und Fiskalpolitik scheuen realwirtschaftliche Anpassungen, und die Inflation steigt immer weiter – eine Entwicklung, die in den USA zwischen Mitte der 60er bis Anfang der 80er Jahre zu beobachten war –, oder die Notenbank reagiert und strebt ein neues Gleichgewicht mit einem höheren Zinsniveau an. Auch in den USA musste die Fed Anfang der 80er Jahre mit drastischen Zinsanhebungen reagieren.
Dass eine ständig steigende Inflation nur Nachteile mit sich bringt, ist bekannt. Deshalb ist davon auszugehen, dass die Notenbank langfristig ein Zinsniveau anstreben wird, das ausreichend hoch ist. Sicherlich mag es Phasen geben, in denen selbst mehrere Jahre lang Abweichungen vom definierten Inflationsziel möglich sind. Dies hat jedoch nichts mit fehlender Handlungsbereitschaft seitens der Notenbanken zu tun, als vielmehr mit dem langen und komplizierten Transmissionsmechanismus der Geldpolitik. Weil die Geldpolitik nur indirekt wirkt, besteht die Gefahr, dass Notenbanken über- und untertreiben. Dabei sollte aber kein Zweifel bestehen, dass die Geldpolitik letztendlich effektiv ist. Die Frage ist nur, wie stark der neutrale Zinssatz im Schatten struktureller Herausforderungen angestiegen ist. Entscheidend ist nicht, ob die Inflation in den kommenden Jahren höher liegen wird, sondern welcher Zinssatz nötig ist. Da Herausforderungen wie die Klimapolitik die Angebotsseite belasten, ist in den kommenden Jahren ein höherer realer Zinssatz notwendig. Langfristig liegt die Lösung jedoch in einer Ausweitung der Angebotsseite. Eine höhere Produktivität durch technologischen Wandel und die Ausweitung der Erwerbstätigkeit sind der beste Schutz gegen Inflation.

Abb. 1 zeigt, dass sich der reale Zinssatz in den USA in der Phase steigender Inflation zwischen den 60er und 80er Jahren erhöht hat. Das Niveau reichte aber nicht aus, um das Gleichgewicht in der Wirtschaft zu halten. In den 80er Jahren war der reale Zinssatz deutlich höher, was für eine niedrigere und vor allem stabile Inflationsrate sorgte. Nun besteht aktuell erneut die Gefahr, dass zwar der Zinssatz erhöht wird, aber bei weitem nicht so stark und für nicht so lange, wie notwendig wäre – gerade, weil der Zinssatz in der Euro-Zone lange Jahre relativ niedrig bzw. sogar negativ war. Anders ausgedrückt: Angesichts all der strukturellen Herausforderungen ist in der Euro-Zone von anhaltend höheren Zinsen auszugehen. Doch ist mit steigenden Zinsen nicht die Schuldentragfähigkeit einiger Euro-Länder gefährdet? Da mit einer höheren Inflation auch die Volatilität zunimmt, ist nicht nur von höheren Zinsen, sondern auch von einer ansteigenden Inflationsprämie auszugehen. Die Schuldentragfähigkeit ist demnach ebenfalls in Gefahr, da reale Renditen infolge höherer Inflationsprämien zulegen werden. Deutlich höhere Zinsen am kurzen Ende sichern jedoch durch eine beständig niedrige Inflation niedrige Renditen am langen Ende. Eine stabile Schuldentragfähigkeit braucht also höhere Zinsen am kurzen Ende der Zinskurve – sprich eine straffere Geldpolitik, damit die Finanzierungskosten der Staaten nicht aus dem Ruder laufen. Das Problem ist die fiskalische Autonomie.

Die Euro-Zone hat dank ihrer gelebten fiskalischen Autonomie und einer immer geringeren Relevanz fiskalischer Regeln eine strukturelle Baustelle. Diese wurde in den letzten Jahren und Krisen unter anderem durch die Einführung von z. B. EU-Anleihen verschärft. So wünschte sich jüngst Italien mehr EU-Anleihen, um die höheren Energiepreise zu dämpfen bzw. dadurch einen niedrigeren Preis zu subventionieren. Dies würde inflationär wirken, weil der Staat versucht, trotz notwendiger Anpassungen den hohen Lebensstandard zu bewahren. In Folge fließt mehr Geld in die Realwirtschaft und sorgt für Nachfrage- bzw. Inflationsdruck. Reagiert die Fiskalpolitik auf höhere Zinsen mit Konsolidierung, kann dies die geldpolitische Effektivität erhöhen und das langfristige Zinsniveau senken. Unterstützen die Staaten die Geldpolitik nicht, wird die Effektivität der Geldpolitik geschwächt. Die Inflationsgefahr ergibt sich also weniger durch die Klimapolitik, als vielmehr durch eine Fiskalpolitik, die durch höhere Staatsausgaben notwendige Anpassungen der Notenbank verwässert.

Kernpunkte der EZB-Pressekonferenz

  • Drei Fragen beschäftigen aktuell die Märkte: Wie viele Zinserhöhungen werden die Notenbanken noch vornehmen, wie hoch wird das Zinsniveau sein, bevor die erste Zinssenkung kommt, und wann wird diese einsetzen? Gerade die dritte Frage treibt die Märkte im Schatten der Konjunktureintrübung in den USA. Weiterhin wird eine erste Zinssenkung der Fed noch in diesem Jahr erwartet.
  • Hinsichtlich der EZB lag der Fokus der Märkte weniger auf dem, was sie an geldpolitischen Änderungen vornehmen wird; denn bereits im Dezember hatte sie die konkreten nächsten Zinsschritte angekündigt. Die Märkte interessierte deshalb vor allem die mögliche Höhe der Zinsanhebung im Mai und wie die EZB den Abbau der APP-Anleihebestände konkret gestalten will.
  • Wie angekündigt, hat die EZB ihre Zinssätze um weitere 50 bp angehoben. Der Einlagenzinssatz liegt nun bei 2,5 Prozent, der Leitzins bei 3,0 Prozent. Zudem bestätigte sie einen weiteren Zinsschritt von 50 bp in der nächsten Sitzung im März.
  • Insgesamt bekräftigt die EZB ihre im Dezember signalisierte Bereitschaft zu einer anhaltenden geldpolitischen Straffung und geht für die März-Sitzung von einer weiteren Erhöhung um 50 Basispunkte aus. Die EZB lässt keinen Zweifel daran, dass das Ende der Straffung noch nicht abzusehen ist. Ein Niveau des Einlagenzinses in der Spitze von 4 Prozent bleibt plausibel.
  • Zudem wurden die Modalitäten für die Verringerung der Wertpapierbestände im Zusammenhang mit dem APP-Programm beschlossen. Das APP-Portfolio wird von Anfang März bis Ende Juni 2023 monatlich im Durchschnitt um 15 Mrd. Euro verringert. Das anschließende Tempo des Portfolioabbaus wird im Zeitverlauf festgelegt. Die Tilgungsbeträge werden zum Teil wieder angelegt, weitgehend im Einklang mit der derzeitigen Praxis.
  • Das Signal der EZB: Die geldpolitische Straffung hält so lange an, bis der Inflationsdruck sich deutlich gedreht hat. Mit einer möglichen Pause bei den Zinserhöhungen oder sogar mit einer Zinssenkung ist deshalb selbst bei einer sich eintrübenden Konjunktur nicht zu rechnen – es sei denn, der Inflationsdruck geht deutlich zurück. Eine erste Zinssenkung scheint vor diesem Hintergrund erst im Jahr 2024 wahrscheinlich.
  • Der Euro-Devisenkurs sollte gegenüber dem US-Dollar weiter Auftrieb erhalten. Dies sollte mit der weiteren Erwartung erster Zinssenkungen der Fed ab Mitte 2023 noch verstärkt werden.
Dr. Klaus Bauknecht ist als Chefvolkswirt der IKB Deutsche Industriebank AG verantwortlich für die volkswirtschaftlichen Analysen, Prognosen und Einschätzungen der Bank und schreibt dort auch im eigenen IKB-Blog. Zudem lehrt der promovierte Volkswirtschaftler an der Nelson Mandela University in Südafrika. Zuvor arbeitete er in verschiedenen leitenden Positionen anderer Banken und im südafrikanischen Finanzministerium. Er schreibt zu aktuellen und übergeordneten Konjunktur-, Volkswirtschafts- und Marktthemen.
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