Am Jahresende sind wir schlauer

Ulrich Kirstein mit der Presseschau
Ulrich Kirstein / Bild: BBAG/Killius
Die meisten Anlegerinnen und Anleger dürften froh sein, dass dieses Jahr zu Ende geht. Die allermeisten Indizes werden 2022 mit einem dicken Minus abschließen, insofern bleibt uns nur, zuversichtlich und hoffnungsvoll auf 2023 zu blicken. Lange zögerten wir, ob wir der Einfachheit halber nicht in dieser doch eher nachrichtenarmen Woche unsere Presseschau mit einem „Best-off“ des Jahres beenden sollten (das wäre dann ja irgendwie etwas Positives). Aber dann wurden wir doch noch ein wenig fündig, auch wenn die Finanzmagazine (oder der Postbote) eine Pause einlegten. Wir legen diese kommende Woche ein, da gibt es dann keine Presseschau.

Ausstieg

Während einige Medien berichten, dass immer mehr Menschen weit über 67 Jahre arbeiten müssen, um finanziell über die Runden zu kommen, macht das Handelsblatt mit einer jungen Dame in einem Liegestuhl, dessen Armlehne an eine Kursrakete erinnert, auf. Dazu der passende Text: „Früher raus aus dem Job“. Und weiter: „So klappt der Ausstieg trotz Inflation und Börsenschwäche“. Von „Börsenschwäche“ hatten wir trotz einem Jahrzehnt an der Börse noch nie gehört und würden es gerne als Börsen-Unwort an die Kollegen aus Düsseldorf, die dieses wie jedes Jahr küren wollen, weiterleiten. Wir kannten nur „Blasenschwäche“ (vom Hörensagen). „Finanzielle Freiheit“ war der eigene Teil dann im Handelsblatt überschrieben. Viel verdienen, ganz wenig ausgeben, früh in Rente gehen, so der Tenor. Nun gut, wem das Arbeiten partout keinen Spaß bereitet, kann dies tun, aber Gott sei dank gibt es auch Menschen, die lieber ein- oder auf- als aussteigen wollen.

Schampus

Krieg, Krise, Inflation, nichts kann einer Branche etwas ausmachen, die man eigentlich gar nicht braucht: „Champagner lässt Konjunktursorgen abperlen“ textete die Börsen-Zeitung in Schampuslaune, denn tatsächlich erwartet die Branche Rekordergebnisse für 2022. Dabei war schon 2021 mit 320,2 Millionen Flaschen ein absolutes Rekordjahr. Je schlimmer die Zeiten, desto mehr Champagner wird getrunken, ist man versucht zu sagen. Mit 331 Millionen Flaschen rechnet der Berufsverband „Comité Champagne“ für dieses Jahr – die Menschen erfänden immer neue Gelegenheiten, um eine Flasche zu köpfen, so die Meinung der Kenner. Wie sagte Napoleon so passend: „Ohne Champagner kann ich nicht leben. Bei Siegen verdiene ich ihn, und bei Niederlagen brauche ich ihn“! Wir fürchten, dass wir ihn öfters brauchen als verdienen.

Rollen statt laufen

Für die einen sind sie ein beliebtes Fortbewegungsmittel in den Innenstädten, für die anderen vermüllen sie diese nur unnötig: E-Roller. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung bringt ein großes Interview mit Wanye Ting, Chef von Lime, unter der vielsagenden Überschrift: „Nur die falsch geparkten E-Roller werden gesehen“. Nun denn, wenn wir schier über Dinge fallen, fallen diese uns auch besonders ins Auge. Immerhin, Lime will dieses Jahr tatsächlich und zum ersten Mal profitabel sein. Seine Hauptkonkurrent sei das Auto und die Roller machen Städte CO2-freier, so Wanye Ting selbstbewusst. Dafür gebe es Untersuchungen. Wofür nicht? Wir sind da skeptisch, der Hauptkonkurrent ist unseres Erachtens eher der Fußgänger und der verbraucht deutlich weniger Emissionen als jeder E-Roller und hält auch deutlich länger.

Ende

Die Welt bringt eine Art Nachruf auf eine Nachrichtenart, die viele Menschen wahrscheinlich nur noch aus Büchern und Filmen kennen: Das Telegramm. „Nach 213 Jahren ist Schluss“ ist der Artikel überschrieben. Mit dem neuen Jahr gibt es auch keine Telegramme mehr. Noch 1969, so Die Welt, konnte Reinhard Mey einen Schlager mit einer Telegrammzeile samt dem berühmten „Stopp“ singen. Was wäre ein Western ohne Telegramm, von einem ängstlichen Mitarbeiter per Morsezeichen übermittelt? Der Bedeutungsschwund war jedoch rasant: 1978 gab es rund 13 Mio. Telegramme, 1990 noch 1,7 Mio. und 2000 nur noch 70.000. 2023, soviel wissen wir jetzt, werden es 0 sein!

Das Börsenjahr

„Nur wenige Lichtblicke für Anleger“ überschrieb das Handelsblatt einen Rückblick auf das Börsenjahr 2022. Interessant vor allem die Grafik mit der Frage: „Das wurde aus 100.000 Euro“, wenn Sie sie zu Jahresbeginn angelegt hätten. Das erstaunliche Ergebnis: An erster Stelle liegen türkische Aktien, dann hätten Sie jetzt tatsächlich über 190.000 Euro im Depot (hoffentlich aber nicht in türkischer Lira). Mit Gold hätten sie etwa 5.000 Euro gewonnen, mit Aktien aus Deutschland (DAX) fast 12.000 Euro verloren. Am miserabelsten, Sie ahnen es, waren Freunde von Bitcoin dran: Sie haben fast 75.000 Euro von ihren 100.000 Euro verloren. Da kann man nur auf „Buchverluste“ hoffen. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung machte sich Gedanken über das kommende Börsenjahr 2023 und fragte: „Wird das Aktienjahr 2023 wie 2009?“. Wie war aber 2009? Trotz Finanzkrise und Konjunktureinbruch fulminant. Aber lassen wir das bewenden und wenden wir uns dem Fazit des Artikels zu, dem wir gerne zustimmen: „Wie 2023 tatsächlich wird, werden wir erst in einem Jahr wissen". So ist es...