Norbert Betz / Bild: BBAG/Killius
Der „Dax-Ausverkauf beschleunigt sich“ (Handelsblatt), „China könnte die Weltwirtschaft in den Abgrund reißen“ (Süddeutsche Zeitung), „Fed: Erhöhung des Leitzinses bald angemessen“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung) und die Ukraine-Krise dürfte durch die Lieferung von 5.000 Helmen aus Deutschland auch nicht gelöst werden. Die schlechten Nachrichten nehmen kein Ende, die Untergangspropheten kommen aus ihren Löchern – eher wohl erheben sie sich aus ihren bequemen Sesseln und erobern die Redaktionen. Tatsächlich: Seit Beginn des Jahres gehen die wichtigsten Indizes auf Talfahrt, unterbrochen von kurzen Erholungsphasen, dazu gleich mehr. Statt an der 16.000er Marke zu kratzen fiel der DAX auf unter 15.000 Punkte. Viele stellen sich jetzt die Frage: Ist es jetzt soweit, kommt der Crash, platzt die Blase, und, was ist zu tun?

Kursexplosionen

Seit der Finanzkrise kannten die Kurse, abgesehen von dem Knick im März 2020, als uns der erste Corona-Lockdown noch überraschte, nur eine Richtung: aufwärts. Zur Erinnerung: 2009 war der DAX auf 3.666 Punkte abgerutscht, seitdem lieferte er bis auf 2011 und 2018 eine positive Jahresperformance ab, oftmals im zweistelligen Bereich. In den 12 Jahren bis 2021 hat er sich mehr als vervierfacht. Eine Blase? Ja und nein. Das zeigt ein Blick auf den NASDAQ 100, der sich im gleichen Zeitraum fast verneunfacht hat, getrieben von einigen wenigen Titeln! Es gibt Tech-Aktien, die in schwindelerregende Höhen getrieben wurden, die jenseits aller fundamentalen Daten stehen. Doch sind sie eher die Ausnahme als die Regel. Die Bedingungen für Aktien bleiben, da werden auch homöopathische Zinserhöhungen der Fed nichts wesentliches ändern, positiv. Trotzdem ist es angebracht, einmal an die typischen Indikatoren zu erinnern, die sich gegen Ende einer Blasenbildung zeigen.

Wie erkennt man das Ende einer Blase?

Im Idealfall erkennen wir die letzte Phase einer Blase beispielsweise daran, dass die Börse zum beherrschenden Thema wird. Wir sprechen dann etwas despektierlich von einer „Dienstmädchenhausse“, obwohl es doch gar keine Dienstmädchen mehr gibt. Eher passt darauf das Börsenunwort des Jahres 2021, das die Börse Düsseldorf ausgelobt hat, es lautet „Taschengeld-Trader“! Vielleicht setzt sich einmal die „Taschengeld-Hausse“ durch? Hinzu kommt, dass plötzlich Publikationen Aktien, Anlageprodukte oder Märkte empfehlen, welche ihre journalistische Qualität eher in anderen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens haben, vorsichtig ausgedrückt.

Was machen die Profis?

Ein weiterer guter Anhaltspunkt sind die Verkäufe von Insidern. Insbesondere, wenn ein exorbitanter Anstieg der Börsengänge und Kapitalerhöhungen zu verzeichnen ist, wobei es stark auf die Qualität der IPOs ankommt. Denn dann machen Profis auch für Außenstehende nachvollziehbar Kasse. Es kommt zu einer kritischen Phase. Kann das Wachstumstempo in den Realmärkten nicht mehr organisch bewerkstelligt und nur noch durch überteuerten Zukauf von Marktanteilen aufrecht erhalten werden oder kommt es gar zu ersten Enttäuschungen in den Unternehmensaussichten, kommen erste Zweifel an der Fortsetzung der Party auf. Die Investoren der ersten Stunde fangen an, Gewinne mitzunehmen. Anfänglich finden sie noch genügend Zauderer, welche als Newcomer in den Markt wollen, schließlich sind und bleiben die Alternativen zur Aktienanlage rar. Aber das erhöhte Angebot gleicht die Nachfrage aus und das Momentum des Kursanstieges kommt zum Erlahmen. Es wechseln die Aktien von den starken Händen in die zittrigen Hände unsicherer und unerfahrener Anleger. Die Volatilität steigt, denn der Markt ist ein einem fragile(re)n Zustand. Kommen dann Probleme hinzu – und wir können derzeit nicht klagen, dass es mit Verschuldungsorgien, Inflation, Ukraine, China, Geldpolitik keine gäbe, treten die Kurse ihren Rückwärtsgang an, wie wir es gerade immer wieder erleben.

Vom Kursrückgang zum Kurssturz

Ab einem gewissen Niveau des Kursrückganges werden aber potenzielle Käufer irritiert und agieren zurückhaltend, während die Engagierten teilweise in Zugzwang geraten. Die einen wollen ihre verbliebenen Gewinne sichern und die Nervösen ihre aufgelaufenen Verluste nicht zu groß werden lassen. Der Markt schmiert deutlich ab und es entsteht eine Abwärtsspirale nach unten. Investments mit Hebelwirkung und auf Kredit finanzierte Engagements werden von den Banken aus dem Markt gezwungen. Sorge schlägt in Angst, Angst in Panik um. Die Kurse verlieren 30 Prozent, 50 Prozent oder mehr von der Spitze. In den Medien und unter Anlegern spricht man von einem Crash. Da die Meldungen aus der Realwirtschaft häufig zu diesem Zeitpunkt noch nicht schlecht sind, beginnen vermeintliche Schnäppchenjäger und Zauderer, welche vorher nie in den Markt gefunden haben, mit Käufen und der Markt beginnt kurzfristig nach oben zu drehen. In dieser Situation reicht schon die kleinste Zuversicht, um die Kurse wieder steigen zu lassen. Denn alle, die verkaufen wollten oder mussten, sind aus dem Markt gefegt. Wenn es in dieser Phase zu keinen objektiven Enttäuschungen kommt, entsteht häufig eine stark ausgeprägte Zwischenrallye in einem Abwärtsmarkt (eine so genannte Echoblase).

Das Ende

Da sich die geplatzte Finanzmarktblase aber auch auf die Realökonomie auswirkt, ist auch dieses Stadium sehr fragil. Die Banken finanzieren das geplante Wachstum der Firmen nun nicht mehr und rufen Kreditlinien zurück. Die Unternehmen müssen restrukturieren, Schulden zurückführen. Fehlinvestitionen und kreative Buchführungskünste werden offenbar und müssen bilanziell bereinigt werden. Schwächere Firmen sind plötzlich von der Insolvenz bedroht und ihr Scheitern wird offenbar. In dieser Phase fliegen dann auch oftmals Betrügereien auf. Wir erinnern an die Fälle wie Enron, Worldcom oder Tyco nach dem Platzen der Internet- und TMT-Blase in den USA oder Hikari Tsushin (war im Hype im Jahr 2000 die wertvollste Firma der Welt) in Japan oder an die zahlreichen Betrügereien der Firmen aus dem „Neuen Markt“, rund um die EMTV. Kündet der Milliardenbetrug des ehemaligen DAX-Konzerns Wirecard vom Ende der Blase? Welche Insolvenzen wir in Folge der Pandemie noch erleben werden, wird sich noch zeigen müssen. Skandale und Insolvenzen beenden dann jede Zwischenrally. Wirtschaftsprüfer und Banken, aber auch Kunden und Lieferanten werden gegenüber der gesamten Branche kritisch und risikoavers. Es kommt zu einer scharfen Rezession in der Realwirtschaft. Alle Exzesse des Booms müssen bereinigt werden. Insolvenzen sind an der Tagesordnung. An der Börse sind die Kurse längst unter das vorher markierte Zwischentief gefallen und fallen weiter bis die Kursgewinne nahezu komplett wieder verloren gegangen sind.

Und die Moral von der Geschicht‘?

Und nun? Entscheiden Sie selbst, bewegen wir uns in dieser Endphase einer Blase, bildet sich überhaupt eine Blase? In manchen Branchen und einzelnen Unternehmen durchaus, generell bleiben Aktien eine fast zwangsläufige Alternative gegen Inflation und Niedrigzinsen. Doch mit einer hohen Volatilität muss gerechnet werden, die Marktbewegungen werden nichts für schwache Nerven sein. Wir haben in den vergangenen Jahren einen regen Zulauf an Aktionären gewonnen, die bisher nur eines lernten an der Börse: Dass die Kurse aufwärts gehen, egal ob man in ein klassisches Unternehmen oder eine Meme-Aktie investiert. Vielleicht mag sie ein Wort von Oscar Wilde trösten und von allzu schnellen (Über-)Reaktionen abhalten: „Die Wurzel des Optimismus ist Angst“!
Norbert Betz, Leiter der Handelsüberwachung an der Börse München, setzt sich seit Jahren mit den Psychofallen an der Börse auseinander: als leidenschaftlicher Trader wie als distanzierter Marktbeobachter, als Referent (online und offline) und Autor.
Gemeinsam mit Ulrich Kirstein hat er Börsenpsychologie simplified, 2. Auflage 2015 , erschienen im FinanzBuchVerlag, geschrieben und für die Börse München das Booklet Psychofallen an der Börse. Wie wir sie erkennen und vermeiden.

Im Artikel erwähnte Wertpapiere

UC DAX 17.739,82 -0,55%
close

Populäre Aktien