Rainer Zitelmann: Kapitalismus ist nicht das Problem, sondern die Lösung

Eine Rezension von Ulrich Kirstein
Bild: Buchcover FBV
Ganz trivial kann man den Unterschied zwischen Kapitalismus und Sozialismus am besten an einem Kuchen festmachen: Von dem haben sich einige wenige jeweils ein großes Stück auf den Teller genommen und sehr viele andere bekommen nur noch ein kleines Stück ab. Nun fordern die Sozialisten, dass die wenigen von ihren größeren Stücken etwas an die vielen abgeben, und die Kapitalisten streben danach, den gesamten Kuchen größer zu backen, denn dann enthalten auch die schmalen Stücke automatisch mehr vom Kuchen. Wenn man dann auch noch annimmt, dass die wenigen sehr viel mehr zur Vergrößerung beitragen, führt an Kapitalismus eigentlich kein Weg vorbei. Trotzdem, geliebt wird Kapitalismus kaum, weder von den Vielen, die von ihm profitieren, noch von denjenigen, die den Vielen immer gerne vorschreiben möchten, was sie gut zu finden haben, den Intellektuellen. Das zeigt Rainer Zitelmann in seinem jüngsten Buch „Kapitalismus ist nicht das Problem, sondern die Lösung“ prägnant in einem eigenen Kapitel auf: „Warum Intellektuelle den Kapitalismus nicht mögen“. 

Eine Zeitreise durch fünf Kontinente

Im Untertitel nennt Zitelmann sein Buch „eine Zeitreise durch fünf Kontinente“ und tatsächlich vergleicht er anhand einer Fülle von Daten – die jedoch nie ermüden –, wie sich kapitalistische Systeme behaupteten und sozialistische die Menschen in die Armut trieben und treiben. China, Afrika, Nord- und Südkorea, DDR und BRD, England und Amerika, Chile und Venezuela sowie Schweden werden so von Zitelmann „bereist“, außerdem widmet er sich ausführlich der Finanzkrise, die er nicht als Kollaps des Kapitalismus interpretiert sondern als Folge von Staatsversagen.

Der Staat(sdiener) weiß es im Zweifel nicht besser

Dr. Dr. Rainer Zitelmann ist promovierter Historiker und Soziologe und so ist seine Herangehensweise in diesem Buch eine historische – er will keine neue wirtschaftswissenschaftliche Theorie aufstellen. Dass er kein Freund sozialistischer und dirigistischer Methoden ist, wird schnell klar, wie schon dieses Zitat auf Seite 7 belegt: "Der größte Irrtum, der Sozialisten jeglicher Spielart mit den führenden Männern und Frauen der Zentralbanken vereint, ist die Überzeugung, dass einige dazu berufene Meisterdenker und -lenker (regelmäßig solche, die im Staatsdienst stehen) klüger seien und besser wüssten, was für Menschen gut sei, als die Millionen Unternehmer, Investoren und Konsumenten, deren Einzelentscheidungen in der Summe denen einer Planbehörde, einer Zentralbank oder einer anderen staatlichen Lenkungsstelle überlegen sind".

Chinas Aufholjagd

Eindrucksvoll  schildert Zitelmann beispielsweise Chinas Weg von Armut und Hunger unter dem Kommunismus eines Mao hin zur Öffnung hin zu mehr Kapitalismus und vor allem Eigenverantwortung der Menschen. Was er hier bereits feststellt, durchzieht sein gesamtes Buch: Kapitalismus ist keine Ideologie – das macht ihn für Intellektuelle so unsexy – sondern er lässt einfach die Menschen ihr Ding machen, um es mal einfach zu sagen. Deshalb funktioniert nach Zitelmann der Kapitalismus in China auch so gut, weil hier experimentiert und zugelassen und nicht von oben befohlen wird. Überhaupt ist Zitelmann der Meinung, dass eine Regierung Kapitalismus eben nicht von oben nach unten dirigieren kann, sondern er von unten nach oben wachsen muss, die Regierung muss ihn nur zulassen. Das Gegenbeispiel zu China wäre so Russland, wo der Kapitalismus zwar verordnet wurde, aber bei den Menschen nicht ankommt. Eine weitere wichtige Feststellung des Buches, belegt an Beispielen aus Afrika und Venezuela und auf den ersten Blick verblüffend: Der Reichtum an Rohstoffen ist für die Entwicklung eines Landes oftmals kontraproduktiv, fördert eher die Raffgier selbsternannter Eliten.

Wir haben nicht zu viel, sondern zu wenig Kapitalismus

Das letzte Kapitel nennt Zitelmann „Plädoyer für kapitalistische Reformen“, denn seiner Ansicht nach leben wir in Mischsystemen zwischen Sozialismus und Kapitalismus mit der Tendenz hin zu immer mehr Sozialismus. Dabei spricht sich Zitelmann gegen eine Laisse-faire-Politik aus – der Staat sei notwendig, aber müsse sich zurückhalten und sich auf die Einhaltung der Spielregeln konzentrieren. Kapitalismus funktioniere besser, und ganz ohne Theorie und Ideologie. Auch Krisen könnten durch ein Mehr von Kapitalismus besser bekämpft werden als durch ein Mehr staatlichen Einflusses. 
 
Um vom Kapitalismus zu profitieren, muss man ihn nicht verstehen, so eine wichtige These von Zitelmann. Darin steckt aber auch das Problem: Weil ihn und seine Funktionsweise viele Menschen, Intellektuelle und Politiker inbegriffen, nicht wirklich verstehen, wird ihm selten zu seinem Recht verholfen – und den Menschen damit zu Wohlstand. Das ist wohl die eigentliche Einsicht in Zitelmanns lesenswertes Buch, verbunden mit der Skepsis, dass sich das kaum ändern wird. Denn leider ist kaum damit zu rechnen, dass diejenigen, die zu mehr Einsicht in dieser Beziehung kommen sollten und müssten, dieses Buch auch lesen werden. Wir wünschen es uns trotzdem!