Erasmus Grasser - eine faszinierende Ausstellung im Bayerischen Nationalmuseum

Ulrich Kirstein
Kreuzretabel aus Maria Ramersdorf, Erasmus Grasser und Jan Polack / Bild: Matthias Weniger
Wer war Erasmus Grasser, dem das Bayerische Nationalmuseum gegenwärtig eine eigene Schau ausgerichtet hat? Geboren um 1450 in Schmidmühlen in der Oberpfalz, ersuchte er nach nicht dokumentierten Lehr- und Wanderjahren 1475 in München um Meistergerechtigkeit. Doch im strengen Zunftwesen der Stadt wollten sich die dort in der Zunft der Maler, Schnitzer, Seidennäher und Glaser Tätigen abschotten und schalten Grasser einen "unfriedlichen, verworrenen und arglistigen Knecht", ja sie fürchteten um ihre "gute Ruhe". Gute Ruhe ist jedoch nicht unbedingt, was Künstler auszeichnen sollte, damals wie heute. Grasser hatte in München Dorothea Kaltenprunner geheiratet, die aus niederem Adel stammte, vielleicht hatte dies sein Selbstbewusstsein ein wenig zu sehr unterfüttert. Jedenfalls konnte er sich schon bald in München durchsetzen, 1477 erhielt er erste Aufträge für das neu erbaute Rathaus und wird in den Rechnungen als Meister tituliert. Schon 1480 wird er als einer der Vorsteher der Zunft bezeichnet und hat sich endgültig behauptet. Er schuf zahlreiche Holzbildwerke für Kirchen in und um München, oft in Zusammenarbeit mit dem Maler Jan Polack, betätigte sich als Steinmetz und war darüber hinaus auch als Architekt tätig, so unter anderem am Turm von St. Peter und für die Pfarrkirche in Schwaz in Tirol. 1518 starb Grasser.

München wird zu der bayerischen Residenz

München machte sich um 1500 auf, um zur ganz Bayern dominierenden Residenzstadt zu werden. Denn erst Herzog Albrecht IV. (+1508) hatte 1506 die Primogenitur durchgesetzt, das heißt, dass immer der älteste männliche Nachfolger über ganz Bayern herrschen durfte. Bis dahin hatte es mehrere Teilungen Bayerns mit Ingolstadt und dem reichen Landshut als weiteren Zentren der Herrschaft erbittert miteinander streitender Brüder gegeben. Im Vergleich zu den freien Reichsstädten Augsburg, Nürnberg oder Regensburg war München jedoch immer noch klein. Nun sollte es den Herrschaftsanspruch des Herzogs und das Selbstverständnis der Bürger untermauern, begünstigt durch die sprudelnden Einnahmen aus dem Salzhandel.

Einzigartige Schau

Mit dem Bau der Frauenkirche und des – nunmehr – Alten Rathauses samt reich ausgestattetem Tanzsaal sowie der Ausstattung von etwa St. Peter holte München nach, was die Reichsstädte vorgemacht hatten. Der Baumeister Jörg von Halspach mit der Frauenkirche, der Maler Jan Pollack und insbesondere der Bildhauer Erasmus Grasser prägten dabei die Epoche. Ihnen gelangen kunsthistorisch außerordentliche und bis heute auch Laien faszinierende Kunstwerke. Dem Bildhauer Erasmus Grasser, einer breiten Mehrheit meist weniger bekannt als seine heute im Münchner Stadtmuseum aufbewahrten zehn Moriskentänzer, widmete das Bayerische Nationalmuseum nun gemeinsam mit dem Diözesanmuseum Freising eine kleine, aber mehr als feine Ausstellung. Denn obwohl die meisten Werke Grassers in und um München in Kirchen und Museen aufbewahrt werden, galten viele als nicht transportfähig. Umso erstaunlicher, dass nun doch fast eine Gesamtschau seiner Werke gelang und der Besucher gleich von fünf seiner Moriskentänzer empfangen wird.

Profanes Hauptwerk - die Moriskentänzer

Die zehn Moriskentänzer für den Tanzsaal im Alten Münchner Rathaus sind zweifellos das bedeutendste, zumindest das am meisten rezipierte Werk von Erasmus Grasser. Zum einen, weil es aus dieser Zeit kaum vergleichbare profane Werke gibt oder sich erhalten haben, zum anderen, weil die extrem bewegten, vollrund modellierten und phantasievoll gekleideten Figuren Anlass zu vielerlei Diskussionen boten. Ihre Rezeptionsgeschichte - bald nach ihrer Aufstellung unterhalb des Tonnengewölbes im Rathaussaal verlor sich das Wissen um ihre eigentliche Bedeutung - könnte ganze Bücher füllen (wie vom Autor dieser Zeilen einmal versucht), würde hier aber zu weit führen. Interessant vielleicht nur, dass die Figuren zwar eine hohe Wertschätzung über die Zeiten hinweg erfuhren, aber es bis ins 20. Jahrhundert hinein dauerte, bis der Moriskentanz als Ursprung der Verrenkungen erkannt wurde. Dabei tanzen professionell von Stadt zu Stadt ziehende Tänzer unter nur in Maßen harmonischer Musik in höfisch anmutender Verkleidung um eine Dame, die demjenigen, der sich am heftigsten gebärdet, einen Preis übergibt. Wir kennen die Darstellung eines Moriskentanzes beispielsweise vom Goldenden Dachl in Innsbruck. Eigentlich gelten die Figuren als nicht transportfähig, längst sind im Alten Rathaus nur Repliken aufgestellt und die Originale erfahren im Münchner Stadtmuseum je nach Zeitgeist und wissenschaftlicher Betrachtung je neue Aufstellungen. Ihnen gleich zu Beginn der Ausstellung gegenüber zu treten, ist sicherlich ein Highlight.

Mehr als nur Moriskentänzer

Nur allzu deutlich wird dem Besucher der Ausstellung jedoch, dass Erasmus Grasser sehr viel mehr ist als der Schnitzer der kongenialen Moriskentänzer. Hier können nicht alle Werke aufgezählt werden, schließlich soll ja zum Besuch der Ausstellung motiviert und nicht zuviel verraten werden, aber auf die über 90 Figuren für das Chorgestühl der Frauenkirche soll doch hingewiesen werden. Einige der bedeutendsten Werke dieses Zyklus aus Aposteln, Propheten, Heiligen und Päpsten zeigt die Ausstellung. Bei aller Gleichförmigkeit eines solchen Programms zeigen die einzelnen Halbfiguren durch individuelle Gesichtszüge mit fleischigen Nasen, schweren Augenlidern und asketisch eingefallenen Wangen. Oftmals scheinen die nebeneinander angebrachten Heiligen so entrückt oder ins Gespräch vertieft, dass man als Betrachter gar nicht stören möchte. Einige haben ihren Finger noch in die Bibel geklemmt, um sie nach kontemplativem Nachdenken rasch wieder aufschlagen zu können.
Ein weiteres Hauptwerk Grassers ist zweifellos die überlebensgroße Figur des sitzenden Apostelfürsten Petrus aus St. Peter, die in der Ausstellung ihrer barocken Umkleidung enthoben und mit den ursprünglich vorgesehenen Retabeln von Jan Pollack wieder vereint ist. So kann hier ein vielschichtig erzählerisches Gesamtkunstwerk erfahren werden, auf engstem Raum. Aber auch die Altäre für Kirchen wie Ramersdorf, Reichersdorf oder Schliersee zeigen eine hohe kunsthandwerkliche Qualität in der Ausführung und eine individuell wie einfühlsame Behandlung der gezeigten Charaktere. Erst kürzlich wurde Grasser eine Figur des heiligen Erasmus aus dem Museum in Erding zugeschrieben. die Versuchung ist groß, die fleischig-energischen Gesichtszüge des Namenspatrons von Grasser als Selbstporträt aufzufassen.
 
Die Ausstellung beschränkt sich auf das Wesentliche, die Architektur ist zurückhaltend. Eine wenig wird versucht, mit Musikinstrumenten und anderen Gegenständen auch die Zeit um 1500 nahe zu bringen, was naturgegeben nur bedingt gelingen kann.

Fakten

Die Ausstellung "Bewegte Zeiten. Der Bildhauer Erasmus Grasser" ist noch bis 29. Juli im Bayerischen Nationalmuseum in der Prinzregentenstraße zu besichtigen. Das Enddatum ist fix, denn eines der Hauptwerke, der aufwändig restaurierte Kreuzaltar aus Ramersdorf, soll zum Patrozinium der Kirche am 15. August (Mariae Himmelfahrt) wieder an seinen Ursprung zurück - schließlich handelt es sich bei einem Altar noch immer um einen Sakralgegenstand und nicht nur um Kunst. Der Eintritt kostet mit 12 Euro und damit in etwa so viel wie eine Kino-Karte, das Erlebnis dürfte wesentlich intensiver ausfallen. Der reich bebilderte und fundierte Katalog aus dem Hirmer-Verlag ist für 39 Euro an der Museumskasse zu erhalten.