Flowers Forever. Blumen in Kunst und Kultur

Eine Ausstellung in der Kunsthalle - Rezension von Ulrich Kirstein
Miguel Chevalier (*1959), Extra-Natural, eine interaktive, generative Installation, keine Pflanze gleicht der anderen, die Veränderung ist stetig / Bild: UK
Das Wetter ist grau in grau, ein ungemütlicher Wind peitscht um die Häuserecken, die Bäume recken ihre blätterlosen Äste wie um Licht und Sonne flehend gegen den trüben Himmel, kein Pflänzchen traut sich weit und breit an die Oberfläche. Was empfiehlt sich da mehr, als ins Museum zu gehen und sich von einer Überfülle an Blumenmotiven überwältigen zu lassen, einzutauchen in ein buntes Meer von FlowerPower? Die Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung tut uns diesen Gefallen und führt uns ein in eine Kulturgeschichte der Blumen, die vom alten Ägypten bis in die Gegenwart reicht. Sie besteht aus Gemälden, Skulpturen, Reliefs, Fotografien, Design und Mode bis hin zu Medieninstallationen mittels künstlicher Intelligenz. Wie „abgefahren und langweilig“ sei das denn, sich mit Blumen zu befassen, bekannte Roger Diederen, Direktor der Kunsthalle und gemeinsam mit Franziska Stöhr Initiator und Kurator der Ausstellung, seine Gedanken zu Beginn des Projektes. Nur um in der Folge festzustellen, wie „spannend und faszinierend“ die Beschäftigung dann doch sei – und wie vielgestaltig, gilt es, hinzuzufügen. Immerhin 1.000 Objekte wurden gesichtet, 205 Leihgaben fanden ihren Weg in die faszinierende Ausstellung.

Die Vielfalt des Blumenmotivs

Lawrence Alma Tadema (1836 - 1912), zu seiner Zeit hoch geschätzter Künstler, zeigt den römischen Kaiser Heliogabal, der angeblich seine Gäste in einem Blütenmeer erstickt haben soll. Allerdings laut Überlieferung mit Veilchen. Da diese Blumen im Viktorianischen Zeitalter aber für Bescheidenheit standen, wählte Alma Tadema Rosen, die für Wolllust und Begierde standen. Abb.: Sammlung Perez Simon, Mexiko
Die Ausstellung ist in acht Kapitel unterteilt, die von Ökologie über Mythologie, Religionen, Kunst und Wissenschaft, Kostbarkeit, Sprachen, Repräsentation und Widerstand bis zur abschließenden Installation aus Abertausenden getrockneten Blumen der Künstlerin Rebecca Louise Law reichen, zweifellos Höhe- und Endpunkt der Ausstellung, visuell und olfaktorisch. Denn Blumen wurden nicht nur wegen ihrer Schönheit wertgeschätzt, sie dienten als Symbol und als Inhaltsstoff für Parfüm seit ältester Zeit, sie wurden als Arznei verwendet und bei religiösen Kulten eingesetzt – schmücken wir nicht noch immer unsere Kirchen zur Hochzeit, trägt die Braut einen Brautkranz und wirft den Brautstrauß?

Die Sprache der Blumen

Patricia Kaersenhout (*1966) befasste sich mit dem Werk von Maria Sibylla Merian (1647 - 1717), die während ihrer Reise nach Surinam Flora und Fauna zeichnete und in dem Werk Metamorphosis Insectorum Surinamensium herausgab. Patricia Kaersenhout wollte jedoch das Leben der versklavten Helferinnen Merians zeigen und setzte sie auf die Rückseite ausgewählter Digitalisierungen aus Merians Werk - die hindurchscheinen. Titel: Of Palimpsests and Erasure, 2021. Produziert im Auftrag des Centraal Museums Utrecht, Bild: UK.
Wir können hier nicht alle Kapitel näher beleuchten, erinnern nur daran, dass wissenschaftliche Werke bis heute Pflanzen zeichnen und nicht fotografisch widergeben, dass quer durch die Religionen Blumen wie die Lotuspflanze eine wichtige Rolle spielten und in Portugal die Nelkenrevolution ihren Namen einer Blume verdankt. Lasst Blumen sprechen – was wäre die Literatur, die Dichtung ohne Blumen? Von Ovids Metamorphosen über den Roman de la Rose des Mittelalters über die blaue Blume der Romantik bis zu den Les Fleurs de Male von Charles Baudelaire? Blumen stehen für Schönheit genauso wie für Vergänglichkeit, das Vanitas-Motiv der Stilleben ist hinlänglich bekannt, und sie werden immer wieder gezielt politisch eingesetzt.

Die Tulpomanie

Das Gemälde Satire auf die Tulpenmanie von Jan Brueghel dem Jüngeren (1601 - 1678) vergleicht das Gebaren der betuchten Investoren mit dem von Affen, die reich gewandet Tulpenzwiebeln feil bieten, auf blühende Tulpen verweisen und ihr erspekuliertes Geld zählen. Nun gut, ein Äffchen am Bildrand pinkelt auf eine Tulpe, will es uns den wahren Wert verdeutlichen...Bild: Frans Hals Museum, Harlem.
Als Börsianer kennen wir den ersten dokumentierten Hype um Tulpenzwiebeln im 17. Jahrhundert. Er wird immer gerne dann zu Rate gezogen, wenn es um Börsenpsychologie und die blinde Gier der Investoren geht, die ohne Nachzudenken in Dinge (fast) ohne Wert investieren. Ein Verhalten, das uns heute genauso nahe liegt wie im 17. Jahrhundert und gegen das alle gelehrigen Bücher und mahnende Stimmen nichts nützen. Damals jedenfalls waren viel Menschen so überwältigt von den neuartigen bunten Blumen, den Tulpen, dass der Wert der Zwiebeln ins schier Unermessliche stieg, zeitweise entsprach er dem Preis eines Hauses. Kein Wunder, dass diese Manie schnell zusammenbrach, riesige Vermögen einstürzten wie Kartenhäuser. Dass auch damals mit Spott nicht gespart wurde, zeigen die beiden Bilder von Jan Brueghel und Hendrick Gerritsz Pot in der Ausstellung.
Hendrick Gerritsz Pot (1580 - 1657) gibt uns mit Floras Narrenwagen ebenfalls einen Hinweis auf die 1637 geplatzte Tulpenblase: Hier steht die römische Göttin Flora in einem mit einem Segel angetriebenen Wagen und verteilt Tulpen. Ihre Begleitung: Drei Narren, die für Gier, Lüge und Trunksucht stehen. Des Weiteren eine Frau, die ihr Geld zählt, während einer weiteren Dame der Vogel der Hoffnung entfliegt. Im Gefolge des seltsamen Narrenschiffs wohl jene Investoren, die ihr Geld mit Tulpenzwiebeln mehren wollten...Frans Hals Museum Haarlem, Bild: UK

Blumen, Blumen, Blumen

Eindrucksvoll für den politischen Symbolgehalt von Blumen steht die Rauminstallation von Kapwani Kiwanga (*1978) The Marias von 2020. Im grellgelben Raum zeigt uns Kiwanga die Blüte des Pfauenstrauchs in zwei unterschiedlichen Blühstadien. Der Hintergrund: Der Pfauenstrauch oder Caesalpinia pulcherrima wurde von den Sklavinnen als natürliches Abtreibungsmittel verwendet, wenn sie einmal mehr von ihren Sklavenhaltern vergewaltigt worden waren. Beschrieben wurde diese Wirkung bereits von Maria Sybilla Merian. Bild: UK
Bemerkenswert ist eigentlich vor allem, dass es sich um die erste Ausstellung handelt, die der Bedeutung von Blumen in Geschichte, Wissenschaft und Kunst von der Antike bis heute nachgeht – dabei liegt das Thema doch nahe und welche wesentlich schwieriger abbildbare Themen wurden nicht bereits in Ausstellungen gegossen? Passend zum bunten Thema sind die einzelnen Räume farbenfroh gestaltet, werden die Werke ins rechte Licht gerückt, mit der elegant zurückhaltenden, zum Betrachter sprechenden, aber nie aufdringlichen Architektur von Martin Kinzlmaier.

Lesestoff mit Leselust

Zweifellos der Höhepunkt ist die von Rebecca Louise Law ((*1980) entworfene Installation Calyx, produziert im Auftrag der Kunsthalle und gewirkt aus über 100.000 getrockneten Blüten, die Münchner Bürger monatelang in der Kunsthalle vorbeigebracht hatten. Etwa 180 Freiwillige hatten sich zum Blumenbinden dafür eingefunden...Bild: UK
Der reich bebilderte und voll Flower Power präsentierte Katalog zur Ausstellung bringt uns nicht nur die gezeigten Werke näher, sondern führt Gespräche beispielsweise mit dem Kunsthistoriker Andreas Beyer, dem Direktor des Naturkundemuseums BIOTOPIA Michael John Gorman und Gudrun Kadereit, Inhaberin des Prinzessin Therese von Bayern-Lehrstuhls für Systematik, Biodiversität und Evolution der Pflanzen. Er ist opulent gestaltet und macht Lust zum Lesen, ja, man möchte ihn gar nicht mehr aus der Hand legen (was man nun wirklich nicht jedem Ausstellungskatalog attestieren kann). In der Kunsthalle zum Mitnehmen kostet er 35 Euro - kaum soviel wie ein Blumenstrauß (Warum es so günstige Blumen im Discounter wird im Übrigen auch im Katalog besprochen!)
 
Bleibt uns nur, der Ausstellung möglichst viele Besucherinnen und Besucher und jenen einen möglichst großen Genuss kombiniert mit einer guten Portion Nachdenklichkeit zu wünschen. Die vorige Ausstellung, die dem in Deutschland eher weniger bekannten französischen Künstler J.R. gewidmet war, zählte laut Roger Diederen 135.000 Besucher. Mit wie vielen er für Flowers Forever rechnet, wollte der Direktor im Vorhinein nicht verraten - wir sind gespannt.
FLOWERS FOREVER. Blumen in Kunst und Kultur
3.2.–27.8.2023
Selbstverständlich werden eine Audio-Tour genauso angeboten wie Führungen und Kinderführungen, außerdem gibt es ein variantenreiches Begleitprogramm.
Alle weiteren Details erfahren Sie hier auf der Website der Kunsthalle