Dieselgate - Transparenz in der Krise oder Krise der Transparenz?

Von Judith Fischer
»Transparenz und offene Kommunikation sind innerhalb und außerhalb der Volkswagen AG für uns selbstverständlich«. Diesen Satz entnahm ich der Internetseite des VW-Konzerns. Dass dies nicht immer so war, zeigte eine Krise, die als »Dieselgate« die Medien im Herbst 2015 beherrschte und das Unternehmen schwer erschütterte – und die in immer neuen Wellen bis heute anhält.

Alles begann 2005 mit einer großen Diesel Offensive der USA. VW fand keine Möglichkeit, die Stickstoffoxid-Normen beim Motortyp EA 189 mit legalen Mitteln und im vorgegebenen Zeit- und Kostenrahmen einzuhalten. Eine Software schaffte Abhilfe: Sie sorgte dafür, dass die gefragten Werte bei der Prüfung des Autos deutlich niedriger, auf der Straße aber wesentlich höher als die Norm waren. Später stellte sich heraus, dass auch in Europa bei 800.000 Fahrzeugen betrogen worden war. Das Unternehmen musste eingestehen, dass es sich nicht um einen Fehler handelte, der vertuscht werden sollte, sondern um eine ganze Fehlerkette, die nicht durchbrochen worden war.

Alles kommt auf den Tisch

Nach Bekanntgabe der Manipulationsvorwürfe, am 21. September 2015 verlor das Unternehmen knapp 17 Milliarden Euro an Börsenwert. Es wurde viel diskutiert – vor allem über Verantwortlichkeiten. Manager räumten ihre Schreibtische. Neue kamen mit großen Versprechen im Gepäck: »Ich habe mich von Anfang an dafür eingesetzt, dass wir die Geschehnisse schonungslos und vollständig aufklären. Dabei machen wir vor nichts und niemandem Halt. Das ist ein schmerzhafter Prozess, aber er ist für uns ohne Alternative. Für uns zählt einzig und allein die Wahrheit. Das ist die Voraussetzung für die grundlegende Neuausrichtung, die Volkswagen braucht«, sagte Matthias Müller, der damals neu ernannte Vorsitzender des Vorstands der Volkswagen Aktiengesellschaft. »Alles kommt auf den Tisch, nichts wird unter den Teppich gekehrt«, meinte auch der neue Aufsichtsratsvorsitzender Dieter Pötsch.

Totale Aufklärung und völlige Transparenz – das versprach VW damals. Werte, die unter dem Schadstoff-Skandal schwer gelitten haben. Denn hier dominierten eher Begriffe wie Verschleierung, Betrug, Manipulation. Und doch würde wohl jeder Kommunikationsexperte in der Krise genau dazu einer solchen Transparenzoffensive raten. So etwa  Stefan Bratzel von der Fachhochschule der Wirtschaft in Bergisch Gladbach: »Der Kunde vergisst schnell, wenn vernünftig aufgearbeitet worden ist«. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel betonte Ende November 2015: »Es wird jetzt viel davon abhängen, wie VW mit diesem Sachverhalt umgeht. Wenn transparent aufgeklärt wird, dann kann man eine solche Sache auch überwinden«.

Vertrauen zurückgewinnen

Und wie geht VW mit dem Sachverhalt um? Laut einer Mitteilung des Konzerns vom 10. Dezember 2015 seien 450 externe und interne Experten damit beschäftigt, aufzuklären. Koordiniert werden die Untersuchungen von einem Sonderausschuss des Aufsichtsrates. Außerdem habe der Konzern beschlossen, die Emissionstests in Zukunft unabhängig zu überprüfen. »Damit tragen wir hoffentlich dazu bei, Vertrauen zurückzugewinnen«, meinte Pötsch. Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt versicherte außerdem: »Wir achten darauf, dass sowohl die Aufklärung, als auch die Transparenz, als auch die Schadensbehebung, als auch die vollumfängliche Berücksichtigung der Kundeninteressen auch so stattfindet. Und ich habe keinen Zweifel gegenüber Volkswagen daran gelassen, dass wir dies ständig aufmerksam begleiten werden und nicht nachlassen, bis der ganze Fall aufgeklärt ist.«

Viel Papier aber keine Ergebnisse

Von Transparenz ist bisher noch nicht so viel zu spüren gewesen. Mit dem Hinweis auf laufende Untersuchungen gibt sich das Unternehmen weiterhin verschlossen nach innen und nach außen. VW räumt zwar Fehler ein, wichtige Fragen bleiben aber unbeantwortet. War’s das jetzt oder können wir mit immer neuen Enthüllungen rechnen? Welche Autos überprüft VW im Moment? Welche sind garantiert unbedenklich? Wie viel höher waren die Werte der enttarnten Modelle? Am 22. April klärte VW über den Stand der Untersuchungen zur Diesel-Thematik auf und verwies darauf, dass 65 Millionen Dokumente digital ausgewertet und 450 Interviews geführt worden seien.
 
Aber, Ergebnisse, die immer noch Zwischenergebnisse seien, wurden zu diesem Zeitpunkt nicht veröffentlicht. Die Affäre ist also alles andere als beendet und wird Rechtsanwälte, Beschäftigte, Kunden und Medien noch weiterhin in Atem und Brot halten.

Strategie 2025

Am 14. Juni 2016 stellte Volkswagen auf einer Pressekonferenz die Strategie 2025 vor. Matthias Müller kündigte den größten Veränderungsprozess in der Firmengeschichte an, den Wandel eines der besten Autobauers der Welt zum führenden Anbieter nachhaltiger Mobilität in der Welt.
 
Und in den USA zeichnet sich tatsächlich ein Ende des Abgasskandals ab: Richter Charles Breyer bestätigte den mit den US-Behörden geschlossenen Vergleich in Höhe von bis zu 14,7 Milliarden US-Dollar. Damit sollen die Zivilklagen beigelegt werden, ohne dass es tatsächlich zum Prozess kommt. Zwischen 5.100 und 10.000 US-Dollar pro Fahrzeug erhalten die Kunden, gestaffelt nach Baujahr. Noch aus steht allerdings ein solcher Vergleich für die Besitzer von Dieselautos mit größeren Motoren.

Dafür haben jetzt allerdings einige Staats- und Pensions- und Publikumsfonds in Deutschland Klage eingereicht - unter anderem auch der Bayerische Finanzministier Markus Söder für den bayerischen Pensionsfonds.

Nach der Auswertung des ersten Halbjahres 2016 verkaufte Volkswagen in diesem Zeitraum mehr Autos als der große Konkurrent Toyota. An der Spitze lagen dabei Westeuropa und China – trotz Diesel.

Und Dieselgate "bereichert" jetzt unseren Wortschatz und hat es unter VW-Abgasskandal zu einem voluminösen Wikipedia-Artikel gebracht.

Studentische Profis
Die Duale Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) im idyllischen Ravensburg bietet mit einem voll ausgestatteten Fernseh- und Hörfunkstudio optimale Möglichkeiten, um praxisnah und berufsbegleitend zu studieren. Im Wintersemester 2015/2016 besuchten die Studentinnen und Studenten im Studiengang »Medien- und Kommunikationswirtschaft/Unternehmenskommunikation und Journalismus« den Kursus »Investor Relations/Börsen-Kommunikation«. Kursleiter Ulrich Kirstein, Pressesprecher und Leiter Öffentlichkeitsarbeit der Börse München, gab den Kursteilnehmern die Aufgabe, Artikel für Südseiten zum Thema »Transparenz« zu verfassen. Dabei kamen höchst unterschiedliche Beiträge zusammen - Vorgaben gab es nicht.
Die Studentinnen und Studenten sind, wenn sie nicht in Ravensburg studieren, bei Unternehmen, Pressebüros oder Verlagen tätig. Die Artikel, die mal persönlicher, mal objektiver gehalten sind, werden in unregelmäßigen Abständen veröffentlicht.