Das Beste (nicht nur) zum Jahresende

Ulrich Kirstein mit der Presseschau
Gebannt gespannt blickten wir alle auf die Entscheidungen der Notenbanken diese Woche und obwohl die Ergebnisse im Großen und Ganzen wie erwartet ausfielen – die Fed und die EZB erhöhten um jeweils 0,5 Prozentpunkte – gefiel es den Anlegerinnen und Anlegern nicht besonders, wie unschwer an den Kursen zu erkennen war: „EZB gibt sich hart – Börsen knicken ein“, fasste das die Börsen-Zeitung zusammen und überschrieb ihren Kommentar dazu noch deutlicher: „Kalte Dusche von EZB und Fed“. Aber sollen wir nicht kalt duschen? Deutlich positiver wurde wahrgenommen, dass die deutsche Wirtschaft nächstes Jahr wohl weniger stark schrumpft als vermutet, die „Rezession wird milder ausfallen als erwartet“, tröstet uns das Handelsblatt. Aber was bedeutet schon milde?

Vor Gericht

Ansonsten lesen sich viele Schlagzeilen der Woche wie aus einer juristischen Hauspostille oder Aktenzeichen XY. Das Handelsblatt machte zum Beispiel mit „Der große Tag der Ermittler“ auf. So steht der ehemalige Wirecard-Vorstand genauso vor Gericht wie wohl bald eine Vizepräsidentin des EU-Parlaments, bei der und in ihrem Umfeld massenweise Bargeld aufgetaucht war – dabei soll doch künftig laut EU-Kommission 10.000 Euro Bares reichen. „Korruptionsaffäre erschüttert Brüssel“ schrieb dazu das Handelsblatt, erschüttert wird wohl eher das Parlament. Und dann war da noch das Urteil im Cum-Ex-Prozess: „Acht Jahre Haft für ein ‚Steuergenie‘ ohne Reue“, titelte die Frankfurter Allgemeine Zeitung – als ob wir von einem Steuergenie altruistische Anwandlungen erwarten würden. Und zum Schluss wäre da auch noch Sam Bankman-Fried, kurz SBF, Gründer der Pleite gegangenen Kryptobörse FTX, der auf den Bahamas festgenommen wurde: “US-Behörden klagen FTX-Gründer an“, lesen wir in der Börsen-Zeitung, manche Anleger dürften in das Klagen einstimmen. Beim Blick auf die Bilder fiel uns auf, dass zwischen Skandal und Sandal(e) eigentlich nur ein Buchstabe liegt…

Mächtig

Wir können uns nicht entsinnen, an dieser Stelle jemals über Superlative sinniert zu haben. Räusper. Dann lassen Sie uns einmal in die Vollen gehen: „Die mächtigsten Trends 2023“ (Focus Money). „Die höchsten Gewinne mit der großen Kursziel-Analyse. Die genialsten Gewinne. .... Die sichersten Gewinne mit Fonds und ETFs, ...“ (Börse Online). „Das Beste für Ihr Geld“ (Capital). „Die besten Geldideen 2023“ (EURO. Das Magazin für Wirtschaft und Geld). Nur ein Adjektiv hat es geschafft, nicht gesteigert zu werden, es bleibt bei der großen und nicht der größten Kursziel-Analyse. Dafür legt EURO am Sonntag mit „Die besten Dividenden-Aktien 2023“ nach. Und mit, klar, den „höchsten Renditen“, weil, auch klar, es die „sichersten Zahler“ sind! Gestolpert sind wir noch über einen Zusatz auf dem EURO-Titel: „Lesen. Verdienen.“ Fassen wir das weiter, als es gemeint sein dürfte, so verdienen sehr viele Autorinnen und Autoren, auch gelesen zu werden. Vielleicht ein Tipp zu Weihnachten? Ganz ohne Superlativ kommt hingegen AnlegerLand 2023 aus, ein Sonderheft von AnlegerPlus. Auf den ersten Blick ganz ohne Superlativ kommt AnlegerLand 2023 aus, ein Sonderheft von AnlegerPlus. Es nimmt dem Kanzler einen Begriff aus dem Mund und schreibt groß auf den Titel: „Zeitenwende“. Wobei das ja irgendwie auch einem Superlativ gleichkommt.

Papiergeld

Kommen wir zurück zum „wahrscheinlich größten Skandal der EU“ (laut Handelsblatt). Das Geschehen um die Korruptionsvorwürfe ist einigermaßen verwirrend. Die Ermittlungsbehörden „filzen Räume im EU-Parlament“ schreibt die Süddeutsche Zeitung. Kommen danach die Tatortreiniger? Sicher scheint zu sein, dass Katar mindestens eine EU-Parlamentarierin und Vizepräsidentin bestochen haben soll, außerdem noch gemeinnützige Organisationen. Die haben wohl das gemein etwas überinterpretiert. Profitiert hingegen soll Qatar Airlines haben, so textete die hier eher selten genannte Bild-Zeitung: „EU-Schmiergeld-Skandal: Scheich-Airline droht KATARstrophe“. Das Wort dürfte auch unsere Fußballmannschaft buchstabieren. Immerhin lernten wir, dass es sich nicht um „die“ Vizepräsidentin handelte, sondern nur um „eine“ – denn das EU-Parlament bringt es auf sage und schreibe 14 (!) Vizepräsidentinnen und Vizepräsidenten. Dazu kommen noch „fünf Quästoren“, wir haben uns auf der Website des Parlaments informiert. Dort ist auch zu lesen, dass es immerhin drei Wahlgänge gebraucht hatte, bis alle 14 gewählt worden waren. Sie bilden mit den Quästoren und dem Präsidenten das Präsidium, das unter anderem für das „reibungslose Funktionieren des Parlaments“ zuständig ist. Nun, reibungslos lässt sich ja vielseitig interpretieren.

Bewegung

Reformstau, Überbürokratisierung, alternde Gesellschaft, mehr Rollatoren als Tretroller, selbst Demonstranten kleben sich inzwischen fest – Deutschland kann geradezu als ein Hort der Unbeweglichkeit gelten. Dem will die Bundesregierung nun Abhilfe verschaffen, nein, nicht durch ein Reformpaket und straffe Deregulierung, sondern durch einen Bewegungsgipfel! Nun gab es den ersten dieser Art, einberufen von Innenministerin Nancy Faeser. Aber, es geht nicht um unsere Gesellschaft, nur um einen allerdings nicht unwichtigen Teil davon: Kinder sollen sich mehr bewegen! Eine interessante Formulierung aus dem Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: Faeser solle sich „an die Spitze der Bewegung setzen“ - wortwörtlich ist es eher schwierig, sich sitzend zu bewegen, um etwas zu bewegen bei den Kids. Ob sie jetzt von Klassenzimmer zu Klassenzimmer eilt, war auch nicht zu erfahren. Immerhin gab es auch eine Gipfelerklärung, ohne dass sich jemand der Beteiligten bewegen musste, aber lassen wir das…

Neujahrsgruß

Es ist die hohe Zeit der Weihnachts- und Neujahrsgrüße, manche weichen auch auf den neutralen Wunsch zu einem frohen Fest aus, um sich konfessionell nicht festzulegen, aus dem Sankt-Martins-Tag wurde ja auch das Laternenfest. Man denkt, überlegt, wägt, welcher Spruch zur Gesamtlage am besten passen könnte, der Optimismus mit einem Schuss Skeptizismus krönt und uns erhaben getragen ins neue Jahr mitnimmt. Und dann lesen wir das in der Börsen-Zeitung: „Wir glauben nicht an ein frohes neues Jahr“!? Das Zitat stammt von Markus Steilemann, dem Präsidenten des Branchenverbandes VCI, und wir fragen uns, was auf den Weihnachtskarten des VCI dieses Jahr wohl stehen könnte: "Kommen Sie bloß irgendwie rüber" oder gleich: „Auf ein schlechtes neues Jahr"?