Begehrtes Flüssiggas: Mit LNG unabhängiger von Russland werden

Adrian Roestel, Huber, Reuss & Kollegen
Adrian Roestel / Bild: Huber, Reuss & Kollegen
Der Überfall Russlands auf die Ukraine hat Deutschland vor Augen geführt, wie abhängig unsere Energieversorgung von Russland ist – vor allem beim Gas. Gut die Hälfte unserer Erdgasimporte stammen aus Russland, die weiteren Hauptlieferanten sind Norwegen (30 Prozent) und die Niederlande (12 Prozent).
 
Mit großer Anstrengung versucht die Bunderegierung nun, diese Abhängigkeit möglichst schnell und stark zu reduzieren, so dass Deutschland auch ohne Öl und Gas aus Russland über ausreichend Energie verfügt. Neben dem Ausbau der Erneuerbaren Energien kommt dabei Flüssiggas (LNG) eine Schlüsselrolle zu. Mit dem Emir von Katar hat Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) vor wenigen Tagen eine langfristige Energiepartnerschaft vereinbart. Eine feste Lieferzusage ist das zwar noch nicht, aber deutsche Unternehmen können nun in vertiefte Vertragsverhandlungen für den Kauf von LNG einsteigen. Ähnliche Vereinbarungen mit anderen Staaten und Herstellern sollen folgen.

Was ist flüssiges Gas

Hazira LNG-Terminal in Gujarat, Indien. Bild: Shell
Doch was ist LNG eigentlich? Und warum ist es für die Versorgungssicherheit von Deutschland so wichtig? LNG steht als Abkürzung für Liquified Natural Gas, also verflüssigtes Erdgas. Es ist farblos, ungiftig und wird durch große Abkühlung von Erdgas auf eine Temperatur von ca. –162 bis –164°C gewonnen. Neben dem Hauptbestandteil Methan enthält Erdgas weitere Bestandteile wie schwere Kohlenwasserstoffe, Stickstoff, Kohlendioxid, Wasser oder Schwefelverbindungen. Diese werden vor der Verflüssigung größtenteils entfernt, was zur Folge hat, dass LNG fast reines Methan mit einem Gehalt von ca. 98 Prozent enthält und damit als sauberster fossiler Treibstoff gilt.
 
Um LNG zu produzieren, wird in der Regel das Erdgas in Röhren von der Förderstätte zu einer, an einem Hafen gelegenen Gasverflüssigungsanlage transportiert. Zum Teil wird das geförderte Erdgas auch bereits auf hoher See in der Nähe der Förderplattformen durch große LNG-Schiffe produziert. Dadurch wird die Erschließung von küstenfernen Erdgaslagerstätten erleichtert.

Hoher Energiebedarf

Aufgrund des hohen Energiebedarfs bei der LNG-Herstellung – bis zu 25 Prozent des Energiegehaltes von Erdgas werden für die Verflüssigung benötigt – macht der Transport von LNG per Schiff erst ab einer Strecke von 2500 Kilometern wirtschaftlich Sinn. Bei kürzeren Strecken ist es klüger, Erdgas als Compressed Natural Gas (CNG) über Pipelines zu transportieren.
 
Der weltweite Transport von LNG auf See erfolgt in großen Spezialschiffen hin zu speziellen Terminals an der Küste, an denen es entweder in tiefkalter flüssiger Form zum weiteren Transport zwischengespeichert oder durch Erwärmung regasifiziert und in das jeweilige Erdgasnetz eingespeist wird. Da Flüssiggas nur ein Sechshundertstel des Volumens von klassischem Erdgas aufweist, ist es ideal für Lagerzwecke – und deshalb so wichtig für unsere künftige Energieversorgung.

Wofür wird LNG genutzt?

Die Einsatzgebiete von LNG sind vielfältig. Es kann als Kraftstoff im Schwerlastverkehr und Schiffsverkehr genutzt werden oder in der Industrie, zum Beispiel zur Erzeugung von Prozesswärme (z.B. in der Glasproduktion oder Lebensmittelverarbeitung). Blockheizkraftwerke und Gasturbinen können mit LNG betrieben werden, um Strom zu produzieren. Und die bei einer Regasifizierung abgegebene Kälte kann zu Kühlzwecken genutzt werden.
 
Der weltweit größte Exporteuer von LNG ist Katar, der Wüstenstaat liefert mehr als 25 Prozent des weltweiten LNG-Verbrauchs. Auch deshalb war Habeck nach Katar gereist. Die USA bauen die Exportinfrastruktur für LNG jedoch massiv aus und könnten Katar als weltweit größten Exporteur bis 2024 ablösen.

LNG-Häfen in Europa...

An Europas Küsten befinden sich momentan 37 LNG-Terminals. Diese Importkapazität kann momentan etwa 40 Prozent des europäischen Gasbedarfs decken. Besonders unabhängig hat sich Litauen aufgestellt – was sich angesichts des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine jetzt bezahlt macht. Bereits 2014 hatte das baltische Land unter erheblichem Kostenaufwand ein schwimmendes LNG-Terminal gemietet und in der Hafenstadt Klaipeda installiert. Mit dessen Kapazität können heute die anderen beiden baltischen Staate sowie Finnland mitversorgt werden. Selbst bei einem Totalausfall russischer Gaslieferungen wäre die Versorgung gesichert. Allein die Existenz dieser Anlage ist ein wichtiger Baustein der nationalen Sicherheit Litauens.

...und in Deutschland?

Anders sieht es dagegen in Deutschland aus. Obwohl wir den höchsten Gasverbrauch der EU haben, steht an unseren Küsten kein einziges LNG-Terminal. Allerdings haben deutsche Versorger Importkapazitäten in Rotterdam langfristig gebucht und die Infrastruktur zu anderen Importhäfen außerhalb Deutschlands besteht bereits. Als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine hat die Bundesregierung nun angekündigt, dass der geplante Bau von zwei eigenen LNG-Terminals in Wilhelmshaven (Niedersachsen) und Brunsbüttel (Schleswig-Holstein) nun mit Hochdruck vorangetrieben werden soll. Auch für den Standort Stade in Niedersachsen existieren bereits Planungen. Die Bauzeit für ein solches Terminal beträgt drei bis vier Jahre. Die Anlage in Wilhelmshafen könnte bis in den Winter 2023/2024 einsatzbereit sein, Brunsbüttel und Stade wohl erst 2026. Da die Bundesregierung generell die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen verringern will, sollen die LNG-Anlagen bereits „wasserstoffready“ gebaut werden. Die neuen Terminals werden somit auch in der Lage sein, klimafreundlichen Wasserstoff umzuschlagen.

Interessant für Investoren

Zwar ist LNG durch den schrecklichen Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine nun in die Schlagzeilen gerutscht. Doch auch jenseits dieser furchtbaren Umstände ist das Thema für Investoren interessant. Weltweit wächst der Bedarf an LNG, gerade weil es sich in seiner hochkomprimierten Form so gut lagern lässt und sich Staaten dadurch unabhängiger hinsichtlich der Energieversorgung machen können. In den USA oder Australien gibt es börsennotierte LNG-Spezialisten, die als Investments in Frage kommen. Auch Schifffahrtsbetreiber oder Anlagenbauer bieten sich als mögliche Investments an. Langfristig agierende Vermögensverwalter sind daher gut beraten, in qualitativ hochwertige Unternehmen aus diesem Bereich zu investieren.
Adrian Roestel ist Leiter Portfoliomanagement bei Huber, Reuss & Kollegen