Die Sehnsucht nach dem Abenteuer – das Goldene Vlies heißt heute Krypto

Norbert Betz
Norbert Betz / Bild: BBAG/Killius
Eine der spannendsten Sagen des klassischen Griechenlands ist die Eroberung des Goldenen Vlieses durch Jason. Da sich Sagen und Mythen mit den Urtrieben und -ängsten der Menschen befassen, lassen sie sich gut auf die Gegenwart übertragen, um daraus Handlungsanweisungen abzuleiten – und sie sich zu merken. Beim Goldenen Vlies geht es neben der reinen Abenteuerlust um Gier, Neid, Rache, Missgunst und Cleverness. Eigenschaften, die wir in ähnlicher Form auch beim Wertpapierhandel an den Tag legen, wenn auch mit deutlich unblutigeren Folgen!

Alles dreht sich um Krypto

Derzeit dreht sich das Anlagekarussell rund um das Thema „Krypto“, mit kometenhaften Kursanstiegen für diese mit Hilfe der Blockchain-Technologie geschürften „Währungen“. Gestern ging Bitcoin durch die Decke, heute Ethereum, zwischendurch eine Art Witz, Dogecoin, vielleicht kommt demnächst Catcoin, immerhin gibt es mehr als Katzen als Hunde in unseren Haushalten. Dann gibt es wieder herbe Rückschläge aufgrund ein oder zwei Tweets aus bekanntem Hause. Die Marktkapitalisierung von Bitcoin liegt derzeit bei 0,5 Billionen Euro, bei Ethereum sind es etwa 0,2 Billionen Euro, beide wiesen noch im Mai den doppelten Wert auf. Da lockt das große Abenteuer, das schnelle Geld, der rasche Reichtum ganz ohne Strapazen. Wir sind fasziniert vom Streben nach sagenhaften Schätzen und stechen wagemutig und ohne Rücksicht auf Verluste in ungewisse Gewässer, um wie Jason, Kolumbus oder Pizarro unsere Schätze, oftmals aber nur unsere Erfahrungen, zu mehren. Es fällt uns schwer, nicht mit ins Boot zu steigen und Vernunft walten zu lassen.

Reichtum und Risiko

Jason benötigte nur ein kleines Schiff, die Argo, eine Mannschaft tapferer Männer und die Hilfe der Königstochter Medea, um das Goldene Vlies, das Fell des sagenhaften Widders Chrysomeles, aus Kolchis, dem heutigen Georgien, aus den Klauen eines Drachen zu klauen. Es ist ihm nicht bekommen: Im Rosenkrieg um Medea verlor er Frau und Kind und nahm sich später das Leben. Soweit soll es bei Bitcoin & Co nicht kommen, doch Wagemut wird an der Börse eher selten belohnt und Höhenflüge einzelner Assetklassen führen nicht zwangsläufig zu schnellem Wohlstand. Auf einen Helden kommen viele, die untergehen, an der Börse wie in den Sagen. Doch berichtet wird vor allem über die Gewinner und nicht über die vielen, vielen Verlierer!
 
Bitcoins brauchen kein Depot und keinen Drachen, die Blockchaintechnologie macht sie sicher. Doch sind sie deshalb eine sichere Geldanlage oder einfach nur reine Abenteuerlust? Ihre Befürworter blenden negative Nachrichten aus und konzentrieren sich auf die eigene Community und deren überschäumende Meldungen. Dabei sein ist alles.

Währung und Zahlungsmittel

Das Goldene Vlies war ein Solitär und deshalb bestens zur Wertsteigerung geeignet. Auch Bitcoin ist limitiert, auf 21 Millionen Stück – im Gegensatz zu unserem Papiergeld, das durch Notenbanken und Banken in schier unbegrenzte Höhen geschossen wird. Was also ist riskanter? Voraussetzung für ihren Wert ist jedoch, dass es als „Geld“ akzeptiert wird, heute, morgen und übermorgen. Wie schnell sich das ändern kann, zeigt Elon Musk von Tesla: er hat sein großzügiges Angebot, seine Autos mit Bitcoin bezahlen zu können, schnell wieder zurückgenommen und dabei ökologische Gründe hervorgehoben oder vorgeschoben – das ist Ansichtssache. Wer nimmt schon gerne eine Währung entgegen, die stärker schwankt als eine griechische Galeere im Sturm? Wie lange sich staatliche Notenbanken das Treiben ansehen, ist ebenfalls ungewiss, lassen sich mit Kryptowährungen doch dunkle Geschäfte ohne Risiko, weil anonym, finanzieren. Bei Jason griffen die Götter hin und wieder ein, bei Krypto reichen Politiker und Notenbanker mit ihrer irdischen Macht.
 
Die Sage um das Goldene Vlies hatte einen sehr reellen Hintergrund: Kolchis oder Georgien war in der Antike tatsächlich ein goldreiches Land. Mit Hilfe von Schaffellen haben Goldschürfer das Gold aus den Flüssen gewaschen. Es ging also um Reichtum, um Gier, wie bei den Kryptos, bei denen jedoch kein Fell reicht, um es zu schürfen, sondern ein hoher Energieaufwand notwendig ist. Immerhin hatte Jason etwas Reales in der Hand, und auch wir plädieren für Sachwerte – Aktien, Fonds, ETFs, die es inzwischen auch auf Kryptos gibt, etwas Gold zur Absicherung – im Depot. Abenteuer und Geldanlage passen nicht zusammen.
Der Artikel erschien zuerst im Nebenwerte-Journal.
Norbert Betz ist Leiter der Handelsüberwachung der Börse München und Spezialist für das Thema Börsenpsychologie. Seit Jahren warnt er in Büchern und Vorträgen vor Börsenfallen aller Art.