Tanzt die US-Geldpolitik wieder aus der Reihe?

Darren Williams, AllianceBernstein (AB)
Darren Williams / Bild: AllianceBernstein (AB)
Die Weltwirtschaft steht 2021 im Zeichen der Erholung – die Geschwindigkeit und das Ausmaß werden sich je nach Region jedoch stark unterscheiden. Während die Wachstumsraten des Bruttoinlandsprodukts der USA die höchsten seit vielen Jahrzehnten werden könnten, wird die Eurozone anderen entwickelten Volkswirtschaften hinterherhinken.
Das globale Wirtschaftswachstum wird sich in den nächsten Monaten beschleunigen – vorausgesetzt, dass die Impfungen gegen Covid-19 erfolgreich verlaufen und es nicht zu weiteren Ausbrüchen, neuen Mutationen und weiteren Lockdown-Maßnahmen kommt. Die Erholung könnte jedoch dazu führen, dass der Konsens der großen entwickelten Volkswirtschaften im Hinblick auf niedrige Anleiherenditen bröckelt. Vor allem die Federal Reserve (Fed) könnte sich veranlasst sehen, der Wirtschaft ihre geldpolitische Unterstützung allmählich wieder zu entziehen. Als möglicherweise problematisch sehen wir steigende Anleiherenditen, falls die Zentralbanken es nicht schaffen, ihre Reflationsnarrative zu kontrollieren. Und auch eine vorübergehend anziehende Inflation in den USA, verursacht durch einen starken Anstieg der Nachfrage bei knappem Angebot und dem größten Geldmengenwachstum seit den 1980er Jahren, könnte für Anleger zu einer bösen Überraschung werden.

Rekordwachstum in den USA

Unser Ausblick für das Konjunkturwachstum der USA war nie robuster: Die Wiedereröffnung der Volkswirtschaft bei gleichzeitigem massivem Ausmaß an fiskalischer und geldpolitischer Unterstützung schafft eine Grundlage für Wachstumsraten, die wir seit vielen Jahrzehnten nicht mehr beobachtet haben. Daher rechnen wir mit einer Steigerung des realen Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 6,5 Prozent in 2021 und 4,6 Prozent in 2022. Lang ersehnte Infrastrukturprojekte könnten dabei das Wachstum in den kommenden Jahren weiter stützen.
 
Mit der Wiederaufnahme der Wirtschaftstätigkeit und durch die Stützmaßnahmen könnten Preise steigen – eine mittelfristig anziehende Inflation erwarten wir jedoch nicht, denn die Wirtschaftsleistung bleibt weiterhin unter dem Vorkrisenniveau. Auch die Fed dürfte das ähnlich sehen – und es sollte, zumindest im Frühjahr und Sommer 2021, nicht zu einer Reaktion kommen.

Eurozone hinkt hinterher

Zwar dürfte sich auch in Europa eine wirtschaftliche Erholung einstellen – diese wird jedoch wahrscheinlich sowohl zeitlich als auch im Hinblick auf ihr Ausmaß hinter anderen Industrieländern zurückbleiben, unter anderem aufgrund des Auftauchens neuer Virusmutationen, eines schleppenden Fortschritts bei den Impfungen sowie neuer Virusausbrüche, die die Regierungen zu neuen Einschränkungsmaßnahmen zwingen. Dennoch hat das Wirtschaftswachstum in den vergangenen Monaten angenehm überrascht, getrieben durch ein starkes verarbeitendes Gewerbe sowie die Tatsache, dass die Regierungen ihre Dienstleistungssektoren stärker schützen als noch vor einem Jahr. Unterdessen bleibt der Inflationsdruck trotz kurzfristiger Ausschläge schwach – und in einer Zeit, in der US-Renditen steigen könnten, wird die Europäische Zentralbank alles tun, um die Anleiherenditen auf dem aktuellen Niveau zu verankern.

China bleibt Stabilitätsanker für globales Wirtschaftswachstum

Chinas Situation ist einzigartig: Das Land konnte seinen Wachstumstrend von vor der Pandemie wiederaufnehmen und hat dabei alle anderen großen Volkswirtschaften weit hinter sich gelassen. Wir rechnen für 2021 mit einem realen BIP-Wachstum von 9,5 Prozent. Nun kann sich die Regierung anderen „Stabilitätszielen“ zuwenden, beispielsweise der Gesamtverschuldung oder den spekulativen Exzessen an den Immobilien- und Aktienmärkten.
Ein möglicher Gegenwind könnte dadurch entstehen, dass die globale Exportnachfrage in der zweiten Jahreshälfte abflaut, da die Einführung von Impfstoffen eine Wiederaufnahme des Konsums von Dienstleistungen und eine Abkehr von Konsumgütern ermöglicht. Dies betrifft sowohl China als auch andere asiatische Länder (ohne Japan). Bis auf wenige Ausnahmen bei Ländern, wo der Tourismus einen wichtigen Wirtschaftstreiber darstellt, sehen wir aber auch hier eine positive Entwicklung: Die meisten Staaten haben die Verbreitung von Covid-19 effektiv unter Kontrolle gebracht und profitierten von der Erholung des globalen Handels. Vor allem Taiwan und Südkorea zählen hier zu den Gewinnern.

Schwellenländer-Leitzinsen noch auf Rezession kalibriert

In den Schwellenländern dämpften steigende Realzinsen in den Industrieländern und die Zurückhaltung der Fed bei der Absenkung der Renditen den Optimismus zu Beginn des Zyklus und es fand keine Verengung der Spreads von hochverzinslichen und Investment-Grade-Staatsanleihen statt. Die Währungen der Schwellenländer haben zudem gegenüber dem US-Dollar an Boden verloren, während die lokalen Schuldenmärkte durch höhere Kernrenditen und eine steigende lokale Inflation unter Druck geraten sind. Wir gehen nicht davon aus, dass ein Anstieg der Kernrenditen sich dramatisch auf die heute widerstandsfähigeren Schwellenländer auswirken wird. Dennoch dürfte die Inflationsrisikoprämie ansteigen und Schwellenländer-Assets benachteiligen.
 
Die Geschwindigkeit der Haushaltskonsolidierung bleibt zwar ein wichtiger Faktor, aber der Fokus hat sich nun auf die Geschwindigkeit der geldpolitischen Normalisierung verlagert. Die Leitzinsen in den Schwellenländern sind jedoch nach wie vor auf eine wirtschaftliche Rezession kalibriert und die Risikobilanz hat sich in Richtung höherer Leitzinsen verschoben. Und obwohl die Bewertungen lokaler Schuldtitel in den Schwellenländern allmählich interessant erscheinen, halten wir es für sinnvoll, in den Anfangsphasen der Inflation und der geldpolitischen Normalisierung geduldig zu bleiben.
Darren Williams ist Chefvolkswirt beim Asset Manager AllianceBernstein (AB),