Warum die US-Zinsen stärker sinken könnten als erwartet
Die Lockerung der Geldpolitik wird meist als Maßnahme zur Unterstützung des Arbeitsmarktes gesehen. Das mag stimmen. Wir denken aber, es gibt noch einen anderen Grund – nämlich, das Risiko eines Liquiditätsengpasses abzuwenden. Die fiskalpolitische Lockerung wiederum wird oft allein als Steuerentlastung für Unternehmen betrachtet, um Investitionen und Wachstum zu fördern. Das ist ebenfalls richtig, doch gibt es auch eine außenpolitische Komponente im Zusammenhang mit Zöllen und geopolitischem Einfluss. Mit anderen Worten: Es ist notwendig, die Kosten von Zöllen auszugleichen, um außenpolitische Ziele zu finanzieren. Kurz gesagt: Es geht nicht nur um reine wirtschaftliche Zusammenhänge. Es gibt tiefere Gründe, die zu einem längerfristig lockeren geld- und fiskalpolitischen Umfeld führen können. Das wiederum könnte einen unterschätzten Schub für die Vermögenspreise mit sich bringen und erklären, warum die Bewertungen weniger hoch sind, als viele denken.
Beginnen wir mit der US-Notenbank Federal Reserve (Fed). Die Notwendigkeit von Zinssenkungen geht über den Arbeitsmarkt hinaus. Sie betrifft auch die quantitative Straffung (Quantitative Tightening, QT) und das Risiko eines Liquiditätsengpasses. Das heißt: Die Fed könnte die Zinsen senken, um den Arbeitsmarkt zu stützen – das ist richtig. Die Sorge um die Liquidität bei einer schrumpfenden Bilanzsumme – also durch QT –, könnte aber ein weiteres, womöglich stärkeres Motiv sein.
Der Preis des Geldes
Der Leitzins muss als Preis des Geldes betrachtet werden, die Bilanzsumme als Menge des Geldes beziehungsweise Liquidität. Wenn die Bilanz der Fed schrumpft, wird die Geldpolitik implizit straffer. Bleiben die Leitzinsen unverändert und die Bilanz schrumpft weiter, handelt es sich explizit um eine Straffung – und das könnte ein Teil der Erklärung sein, warum die Fed vergangene Woche die Zinsen gesenkt hat. Ein Hinweis darauf sind die zuletzt gestiegenen Repo-Sätze. Am 15. September – dem Stichtag für Unternehmenssteuern – lagen sie bei 4,42 Prozent gegenüber 4,4 Prozent für Reserveguthaben. Das zeigt erste Liquiditätsengpässe.
Warum ist das der Fall? Wenn die Bilanz der Fed schrumpft, sinken die Reserven. Dadurch steigt der Preis des Geldes, während die Menge sinkt – ein doppelter Schlag. Indem der Preis gesenkt wird, lässt sich das Gleichgewicht wiederherstellen und das Risiko eines Engpasses verringern. Wenn Beobachter im Zusammenhang mit der jüngsten Zinssenkung also von einer Absicherung gegenüber einem schwächeren Arbeitsmarkt sprechen, dann stimmt das vermutlich. Die zusätzliche Absicherung besteht darin, die Anfälligkeit für einen Liquiditätsengpass zu verringern. Warum ist das wichtig? Weil es die Fed dazu bringen könnte, die Zinsen stärker zu senken, als reine Wirtschaftszusammenhänge vermuten lassen.
Rückenwind durch Steuererleichterungen
Neben der Geldpolitik spielt auch die Fiskalpolitik eine wichtige Rolle. Betrachten wir die Außenpolitik und die Finanzierung von Zöllen durch fiskalpolitische Maßnahmen. Die Zölle waren aus Marktsicht einer der zentralen Risikofaktoren für Unternehmen, Gewinnmargen und Inflation. Man dachte, dies bedeute Gegenwind, bisher war das aber nicht der Fall. Die Gewinne überraschen weiterhin positiv, die Investitionen der Unternehmen steigen und die Inflation zeigt sich in den Daten nur schwach.
Der Rückenwind kommt durch Steuererleichterungen aus dem One Big Beautiful Bill Act (OBBBA). Am 15. September – dem bereits erwähnten Stichtag für Unternehmenssteuern – verbuchte die Regierung einen Zahlungsrückgang der Unternehmen um 104 Milliarden US-Dollar. Die Zolleinnahmen betrugen 94 Milliarden. Es bleibt also ein positiver Saldo. Das sind die Vorteile des OBBBA – sie sollen die potenziellen Belastungen aus den Zöllen ausgleichen. Ein weiterer Rückenwind ist die Deregulierung. Übermäßige Regulierung wirkt wie eine Steuer auf Unternehmen, Deregulierung entspricht also einer Steuererleichterung.
Insgesamt überwiegen die positiven Aspekte für Wirtschaft und Vermögenspreise. Das könnte erklären, warum sich Risikoanlagen zuletzt so gut entwickelt haben. Wie lange kann das anhalten? Wir denken: länger, als viele erwarten. Der Grund ist die Verbindung von Außen- und Wirtschaftspolitik. Eine starke Konjunktur und hohe Vermögenspreise sind nötig, um außenpolitische Ziele zu finanzieren.
Für unsere Allokation bedeutet das: Wir erweitern unseren Anlagehorizont und betrachten die Treiber hinter den Vermögenspreisen sowie die Bewertungen. Insgesamt sind wir weiterhin optimistisch gegenüber risikoreicheren Anlagen positioniert. Wir sehen keine extremen Bewertungen und die Ausfallrisiken im Credit-Bereich dürften gering bleiben.