Michaël Nizard und Nabil Milali, Edmond de Rothschild AM

Die EU stimmt unter Druck dem unausgewogenen Zollabkommen zu

US-Präsident Donald Trump und die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, kündigten am Sonntag, dem 27. Juli, den Abschluss eines umfassenden Handelsabkommens zwischen den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union an. Das Abkommen soll eine Zolleskalation verhindern, die den Austausch zwischen den beiden Parteien seit mehreren Monaten bedroht.

Der Kompromiss, den Trump als ‚historischen Erfolg‘ darstellt, sieht einen pauschalen Zollsatz von 15 Prozent auf die Mehrheit der europäischen Exporte in die USA vor. Betroffen sind wichtige Sektoren wie die Automobilindustrie, Pharmazeutika und Halbleiter. Im Gegenzug verpflichtet sich die EU zum Kauf von Waren im Wert von hunderten Milliarden Dollar aus den USA, insbesondere in den Bereichen Energie und Rüstung.

Stabile, aber hohe Zölle

Auf den ersten Blick scheint das Abkommen das Schlimmste zu verhindern. Tatsächlich hatte Washington damit gedroht, ab dem 1. August zusätzliche Zölle von bis zu 30 Prozent auf eine breite Palette europäischer Waren zu verhängen. Die festgelegte Schwelle von 15 Prozent stellt somit einen Kompromiss zwischen der Zollaggressivität des Weißen Hauses und den Deeskalationsbemühungen Brüssels dar. Doch diese scheinbare Entlastung verdeckt ein bestehendes Ungleichgewicht. Die europäische Industrie – allen voran die deutsche – fürchtet einen dauerhaften Wettbewerbsnachteil. Ein Zollsatz von 15 Prozent auf Autoexporte würde Einschätzung des Bundesverbands der Deutschen Industrie zufolge einen harten Schlag bedeuten. Bisher unterlagen importierte europäische Autos einem Zollsatz von 27,5 Prozent. Viele hatten jedoch auf eine schrittweise Rückkehr zu den Vor-Trump-Niveaus von etwa 2,5 Prozent gehofft (Quelle: Bloomberg). Davon ist jetzt keine Rede mehr.

Noch schlimmer: Die im Jahr 2023 eingeführten Zollsätze von 50 Prozent auf europäischen Stahl und Aluminium gelten weiterhin, obwohl mehrere Gruppen eine Quotenregelung mit niedrigeren Zollsätzen erwartet hatten. Zudem bestehen weiterhin Zweifel an den sektoralen Zöllen auf die Pharma- und Halbleiterindustrie. Zwar hatte Ursula von der Leyen zuversichtlich angekündigt, dass diese im Abkommen berücksichtigt würden. Eine Bestätigung aus Washington fehlt jedoch bislang. Solange dies nicht erfolgt ist, bleiben diese Zölle ‚in Prüfung‘ und könnten mit höheren Sätzen belegt werden. Das würde den durchschnittlichen Zollsatz angesichts des bedeutenden Gewichts dieser Branchen bei den Exporten in die USA noch weiter erhöhen.

Im Gegenzug: massive europäische Ausgabeverpflichtungen zugunsten der Vereinigten Staaten

Um Washington entgegenzukommen, verpflichtet sich die EU, Energieprodukte im Wert von 750 Milliarden US-Dollar innerhalb von drei Jahren aus den USA zu beziehen. Dies entspricht einem jährlichen Volumen von 250 Milliarden US-Dollar. Damit wäre ein vollständiger Ausstieg aus den russischen Energieimporten, insbesondere Gas, möglich. Hinzu kommen Investitionen in die amerikanische Wirtschaft im Umfang von 600 Milliarden US-Dollar sowie Verpflichtungen zum Erwerb amerikanischer Militärausrüstung in Höhe von ‚hunderten Milliarden‘, wie Donald Trump angibt. Brüssel hat diese Angabe bislang weder bestätigt noch dementiert. Diese Investitionen sind daher zum jetzigen Zeitpunkt keine verbindlichen Zusagen. Ähnlich verhält es sich beim mit Japan geschlossenen Abkommen: Tokio gibt voraussichtlich nur 1 bis 2 Prozent der angekündigten Summen tatsächlich aus und sichert den Rest lediglich durch Garantien japanischer Finanzinstitute ab. Das Abkommen mit Brüssel ist alles andere als perfekt – insbesondere, da der einheitliche Zoll für einige Industriesektoren Herausforderungen mit sich bringt. Dennoch hebt Ursula von der Leyen den Erhalt eines 'vorhersehbaren und strukturierten' Zugangs zum US-Markt, dem wichtigsten Handelspartner der Europäischen Union, hervor.

Kurzfristige Markterleichterung, aber verzögerte makroökonomische Effekte und politische Zerwürfnisse in Europa möglich

Unmittelbar nach der Bekanntgabe des Abkommens reagierten die europäischen Aktienmärkte positiv und eröffneten mit Kursgewinnen. In einigen Exportsektoren, wie der Automobilindustrie, sind jedoch bereits jetzt Gewinnmitnahmen zu beobachten. Der paneuropäische Stoxx-600-Index legte zum Handelsstart um ein Prozent zu und erreichte damit ein Viermonatshoch. Die Investoren begrüßen die kurzfristige Beseitigung von Unsicherheiten. Doch mittelfristig äußern mehrere europäische Spitzenpolitiker Zweifel an der politischen und wirtschaftlichen Tragfähigkeit des Kompromisses. Während der deutsche Bundeskanzler Friedrich Merz das Abkommen als ‚nützlichen Schritt zur Vermeidung einer destruktiven Konfrontation‘ begrüßte und die italienische Ratspräsidentin Giorgia Meloni froh war, ‚die Spirale der direkten Konfrontation vermieden zu haben‘, fiel die Kritik in Frankreich, vertreten durch den Minister für europäische Angelegenheiten, deutlich schärfer aus.

Europäische Bruchlinien treten hervor

Tatsächlich treten die europäischen Bruchlinien wieder hervor: Deutschland und Italien als bedeutende Exporteure stehen an vorderster Front der Zollsteigerungen und verfolgen kompromisslos eine Einigung, während Frankreich, das in diesen Sektoren weniger vom amerikanischen Markt abhängig ist, teilweise Ausnahmen für seine sensiblen Industrien (Luxusgüter, Luftfahrt, Verteidigung) durchsetzen konnte. Trotz offizieller Verlautbarungen, die Raum für Gegenmaßnahmen gegen Washington ließen, waren die europäischen Hauptstädte angesichts des Konflikts mit Donald Trump eher zurückhaltend und sahen sich gezwungen, die Kommission zu diesem kleineren Übel zu drängen. Das Abkommen muss allerdings noch von jedem Mitgliedstaat ratifiziert werden, wobei ein Scheitern im Parlament zum jetzigen Zeitpunkt nicht ausgeschlossen werden kann.

Verringert Europas Wachstum

Aus wirtschaftlicher Sicht dürfte das Abkommen das Wachstum in Europa um fast 0,4 Prozent verringern. Dies ist auf eine schwächere externe Nachfrage und einen Unsicherheitseffekt zurückzuführen, der einige Zeit benötigen wird, um sich wieder abzubauen. Diese Schätzung könnte jedoch deutlich korrigiert werden, sollten für die Pharmaindustrie noch erheblich höhere Zölle verhängt werden. Im Gegenzug wäre die Wirkung auf die Inflation mit etwa -0,1 Prozent negativ, was für die Europäische Zentralbank sehr beruhigend wäre und sie dazu veranlassen dürfte, ihren zuletzt besonders restriktiven Kurs aufzugeben.

In den USA zeichnet sich allmählich das endgültige Ergebnis des Handelskriegs ab, da mit verschiedenen Handelspartnern Vereinbarungen abgeschlossen werden. Deutlich wird, dass das Resultat einen drastischen Anstieg des durchschnittlichen Zollsatzes bedeutet – von 2,5 Prozent vor dem 2. April auf heute fast 16 Prozent. Die Folgen sind umso signifikanter, da amerikanische Unternehmen den Großteil dieser zusätzlichen Kosten tragen, etwa 55 Prozent davon auf die Verbraucher abwälzen und den Rest in ihren Gewinnmargen verkraften müssen. Die Auswirkungen werden sich in den kommenden Monaten weiter fortsetzen, wobei sowohl das Wachstum als auch die Inflation betroffen sein werden. Dies zwingt die Federal Reserve zu einer vorsichtigen Haltung. All diese Faktoren geben Anlass, an den Aktienmärkten kurzfristig vorsichtig zu bleiben – vor allem angesichts der derzeit sehr hohen Bewertungsniveaus.

Nabil Milali

Nabil Milali ist Portfolio Manager, Multi-Asset & Overlay bei Edmond de Rothschild AM, ein Investmenthaus, das auf Private Banking und Asset Management spezialisiert ist. Zum internationalen Kundenkreis zählen Familien, Unternehmer und institutionelle Investoren. Die Edmond de Rothschild Gruppe ist auch in den Bereichen Corporate Finance, Private Equity, Immobilien und Fund Services tätig. Als familiengeführtes Unternehmen besitzt Edmond de Rothschild die notwendige Unabhängigkeit, um mutige Strategien und langfristige Anlagen vorschlagen zu können, die in der Realwirtschaft verankert sind. Die Gruppe wurde 1953 gegründet und verfügte per Ende Dezember 2023 über ein verwaltetes Vermögen von rund 163 Milliarden Schweizer
Franken, 2.600 Mitarbeiter und 28 Niederlassungen weltweit

Michaël Nizard

Michaël Nizard ist Head of Multi Asset & Overlay bei Edmond de Rothschild AM, ein Investmenthaus, das auf Private Banking und Asset Management spezialisiert ist. Zum internationalen Kundenkreis zählen Familien, Unternehmer und institutionelle Investoren. Die Edmond de Rothschild Gruppe ist auch in den Bereichen Corporate Finance, Private Equity, Immobilien und Fund Services tätig. Als familiengeführtes Unternehmen besitzt Edmond de Rothschild die notwendige Unabhängigkeit, um mutige Strategien und langfristige Anlagen vorschlagen zu können, die in der Realwirtschaft verankert sind. Die Gruppe wurde 1953 gegründet und verfügte per Ende Dezember 2023 über ein verwaltetes Vermögen von rund 163 Milliarden Schweizer
Franken, 2.600 Mitarbeiter und 28 Niederlassungen weltweit