Ein Bärendienst für die Aktienmarktkultur

Ulrich Kirstein mit der Presseschau am Freitag
Ulrich Kirstein / Bild: BBAG/Killius
Schon aufgrund der enormen Zahl dürfte der Höhepunkt an Finanzthemen dieser Woche ganz ans Ende gelegt sein: Der EU-Gipfel in Brüssel, der ab heute beginnt und ein 750 Mrd. Euro Hilfspaket schnüren soll. Da hat selbst die EZB-Sitzung von Donnerstag nicht viel ausrichten können, denn auch die Zentralbank hofft auf Brüssel. „Die EZB wartet erst einmal ab“, stellt die Frankfurter Allgemeine Zeitung fest. EZB-Chefin Christin Lagarde gab immerhin bekannt, dass sie das volle Volumen von 1,35 Billionen Euro ihres Corona-Notfallanleihekaufprogramms Pepp ausschöpfen will.

Dax, MDax, Dax

Die beiden Finanzmagazine Focus Money und Börse Online widmen sich dieses Mal dem DAX: der soll laut Focus Money und Börsenlegende Dr. Ehrhardt bis zum Frühjahr auf 16.000 steigen, gemeint ist wohl Frühjahr 2021. Warum? Wegen der „extremsten monetären und fiskalpolitischen Stimulierungen der Wirtschaftsgeschichte“, so der Börsen-Guru. Börse Online wiederum hält den MDAX für „den stärksten Index“ und stellt daraus auch noch „die besten Aktien“ dar. Wenig überraschend, besonders gut performten 2020 typische „Pandemie-Gewinner“ wie Hellofresh, Delivery Hero und Teamviewer, aber auch Sartorius. Auch die August-Ausgabe von Capital widmet dem Dax eine eigene Geschichte und nennt ihn „Der neue Dax“. Der Strukturwandel der deutschen Industrie mache den Index wieder spannend. Nun, spannend war die Geschichte um Wirecard schon…

Orang-Utan spielt Fledermaus

Das Investment, das sich selbst „Know-How-Magazin zur Kapitalanlage“ nennt, widmet in der August-Ausgabe nachhaltigen Investments die Titelgeschichte unter der Überschrift „Fledermaus-Effekt“ und einigermaßen verwirrend illustriert mit einem Baby-Orang-Utan. Die Lösung: Der Orang-Utan hängt kopfüber im Baum wie eine Fledermaus. Und eine Fledermaus war vielleicht schuld an der weltweiten Pandemie. Nun, vielleicht doch eher derjenige, der sie gefangen oder derjenige, der sie gegessen hat. Ebenfalls mit einer längeren Story zu nachhaltigen Investments ist Focus Money zur Stelle, denn diese hätten sich „gestärkt durch die Krise“ manövriert.

Apple zahlt nicht

„Apple kommt um Milliarden-Steuernachzahlung herum – vorerst“, so die Headline auf der Titelseite von Der Welt (Donnerstag). Es ging um Steuerzahlungen am europäischen Konzernsitz in Irland, die der irische Staat Apple erlassen hatte. Das wollte die EU Kommission so nicht stehen lassen und hatte 13 Milliarden Euro gefordert. Dies hat nun das Gericht der EU abgeschlagen, die Prozesskosten gehen zu Lasten der EU Komission. Apple Pay gilt wohl nicht für den Konzern, der Steuersatz in Irland, so die Welt, beläuft sich auf 0,005 Prozent! Nicht einmal ein Apple und ein Ei.

House of Wirecard

Sammeln wir einmal mehr typische Überschriften der Woche zum Fall Wirecard, je mehr Erkenntnisse eintrudeln, desto sprudelnder die Fantasie der Redaktionen: „Filmreifes aus Aschheim“ erkennt Börse Online, schließlich gäbe es ja bereits das „House of Wirecard“, online verfasst von Dan McCrum, jenem Journalisten der Financial Times, der den Skandal überhaupt aufdeckte. Einfach „Scheinriese“ heißt es in Capital in Anspielung an die berühmte Figur bei Jim Knopf von Michael Ende: Je näher man dem Riesen kam, desto kleiner wurde er. „Wirtschaftsprüfer in der Wirecard-Welle“ hat Georg Giersberg seinen Kommentar in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung überschrieben. Betont nüchtern die Börsen-Zeitung: In „Der Wirecard-Skandal und die Folgen“ führt die Zeitung unter anderem die Sammelklage der DSW auf und den Bundesrechnungshof, der eine Untersuchung angekündigt hat – gegen die BaFin. Schon vorher hatte die europäische Wertpapieraufsicht ESMA publiziert, dass sie den Fall und das Verhalten der BaFin untersuchen wolle.

Ab ins Büro

Die Überschrift „Mit Überschall ins Büro“ aus dem Handelsblatt weckte unser Interesse, denn mit unserem Fahrrad sind wir deutlich langsamer unterwegs. Tatsächlich rechnen das US-Start-up Boom Supersonic und ein russisches Konsortium damit, dass Geschäftsreisende nach Corona wieder fliegen werden, aber weniger Zeit im Flugzeug verbringen wollen. Also planen sie eine Concorde reloaded, einen Überschall-Geschäftsflieger. Hoffentlich nicht nur Schall und Rauch...

Bärendienst für die Aktienmarktkultur

Noch einmal und sicher nicht zum letzten Mal wenden wir uns Wirecard zu. Es geht darum, dass die „Pleitefirma mit angeschlossener Fälscherwerkstatt“, wie es Klaus Döring in seinem geharnischten Kommentar in der Börsen-Zeitung (Sonnabend) ausdrückte, noch immer im Dax ist. Dieses Recht der Anklage nimmt er sich als Chefredakteur jener Publikation heraus, die vor mehr als 32 Jahren den Index zur „weiteren Pflege in die Hände der Deutschen Börse“ gegeben habe. Und Döring nimmt kein Blatt vor dem Mund, dass ihm diese „Pflege“ als nicht sehr gedeihlich erscheint, müssen doch viele Privatanleger, die beispielsweise ETFs auf den DAX halten, noch immer in Wirecard investieren, während dort die Zocker das Wort haben. Und er appelliert am Schluss eindringlich: „Es wäre ein Armutszeugnis für den Finanzplatz und ein Bärendienst für die Aktienmarktkultur, wenn dies unter dem Vorwand irgendwelcher ‚Regeln‘ noch zwei Monate bis zum regulären Anpassungs- und Verkettungstermin im Dax so weiterginge.

Im Artikel erwähnte Wertpapiere

Deutsche Börse 181,00 -2,69%
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Sartorius I 229,00 -1,29%
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HelloFresh I 7,00 1,48%
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TeamViewer I 12,355 -1,75%
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