Mathias Binswanger: Geld aus dem Nichts

Eine Rezension von Ulrich Kirstein
Bild: Wiley-Verlag/Cover/Ausschnitt
»NICHTS AUSSER DER LIEBE, HAT SO VIELE LEUTE VERRÜCKT GEMACHT, WIE DAS GRÜBELN ÜBER DAS WESEN DES GELDES«
Mit diesem Zitat des englischen Politikers Benjamin Disraeli aus dem 19.  Jahrhundert steigt Mathias Binswanger in sein Buch »Geld aus dem Nichts. Wie Banken Wachstum ermöglichen und Krisen verursachen« ein. Obwohl er einem das Grübeln abnimmt, erinnert man sich beim Lesen seines Werkes ab und zu daran und ist versucht, sich vielleicht doch besser mit dem Thema Liebe zu  befassen. Denn der merkwürdige Prozess, wie Banken aus dem Nichts Geld erschaffen, und dieser Prozess völlig unreguliert abläuft, bereitet denn doch Kopfzerbrechen. Und die Feststellung von Binswanger, Professor für Volkswirtschaftslehre in der Schweiz, dass selbst die wenigsten Mitarbeiter einer Bank sich bewusst sind, dass ihr Arbeitgeber auch Geldschöpfung betreibt, trägt auch nicht unbedingt  zu unserer Beruhigung bei. Und selbst, noch ein Zitat, die Deutsche Bundesbank schreibt in ihrer Broschüre »Geld und Geldpolitik« von 2007: »Der Geldschöpfungsprozess erscheint wie Zauberei«. Folgen wir Zauberlehrlinge also den Ausführungen von Professor Binswanger und suchen zu ergründen, wie und warum sich unser Geld von selbst vermehrt, ohne dass wir mehr davon in der Tasche haben.

Der Einfluss der Notenbanken

Im Prinzip ist es ganz einfach: Werden von den Banken mehr Kredite ausgegeben als zurückgezahlt, erhöht sich die Geldmenge. Oder wurde Ihnen schon einmal ein Kreditgesuch abgelehnt, weil die Bank kein Geld hatte? Banken zahlen den Kredit an ihre Kunden mit Sichteinlagen (Forderungen gegenüber der Bank), die eben nicht erst vorher von Sparern hinterlegt worden sein müssen. Dieses Geld wird virtuell als Bankguthaben gutgeschrieben. Wird nun ein Kredit zurückgezahlt, verringert sich die Geldmenge  um den entsprechenden Betrag, da das Geld dann wieder vom Guthaben des Bankkunden abgebucht wird, so Binswanger im ersten Kapitel des Buches, das sich mit dem Thema, »wie Geschäftsbanken Geld schaffen« befasst. In einer wachsenden Wirtschaft ist es längerfristig immer der Fall, dass mehr Kredite ausgegeben als zurückgezahlt werden.
Tatsächlich physisch in Erscheinung tritt Geld ja nur dann, wenn wir es in Form von Banknoten abheben oder aus dem Automaten ziehen – und das ist immer nur ein Bruchteil des Geldes. Anhand von Kontobewegungen und Bilanzen verdeutlicht Binswanger diesen Prozess und macht ihn für den Leser anschaulich. Neben den Geschäftsbanken erschaffen aber auch die Zentralbanken Geld. Da sie die Bedingungen definieren können, zu denen die Geschäftsbanken zusätzliche Reserven beziehen können, nehmen sie direkten Einfluss auf die Geldschöpfungstätigkeit der Banken.

Das Geld der Goldschmiede

In einem sehr interessanten und ausführlichen zweiten Teil gibt Binswanger einen historischen Überblick über die etwa 400 Jahre, seitdem Geld »erschaffen« wird. »Entdeckt“ wurde das Papiergeld durch englische Goldschmiede, die ursprünglich nur Gold ihrer Kunden »verwahrten« und dafür Scheine ausgaben. Bis die Kunden und die Goldschmiede erkannten, dass es leichter ist, direkt mit den ausgestellten Scheinen zu bezahlen statt immer Gold abzuholen. Als sie dann noch praktischerweise diese Scheine in kleinere Einheiten teilten, war das Papiergeld kreiert.
Ein eigenes Kapitel ist dem Schotten John Law gewidmet, der Anfang des 18. Jahrhundert in Frankreich das Papiergeld einführte und das ganze Land zu kurzfristigem Wohlstand und totalem Chao führte – obwohl, oder gerade, weil seine Ideen äußerst modern anmuteten. Auch die Gründung der wichtigsten Zentralbanken und den »langen Abschied vom Gold« erläutert Binswanger ausführlich.

Kontrolle oder nicht

Nachdem er im dritten Teil darauf aufmerksam machte, dass der Prozess der Geldschöpfung nicht unerheblich zum Wirtschaftswachstum beigetragen hat, obwohl viele Ökonomen das nicht wahrhaben wollen, erklärt er im vierten Teil den Zusammenhang zwischen Geldschöpfung und spekulativen Blasen. Im fünften und letzten Teil schließlich stellt er die eher rhetorische Frage, ob es Reformen überhaupt braucht.
Im Prinzip, so Binswanger, lavieren Zentralbanken permanent zwischen einer unflexiblen aber wirksamen Steuerung und flexibler, aber leider ziemlich wirkungsloser Lenkung. Wirtschaftskrisen mögen damit noch einigermaßen bekämpft werden können, eine tatsächliche Kontrolle über die Geldschöpfung ist so jedoch »fast ganz abhanden gekommen«, so Binswanger.
Grundsätzlich gibt es zwei diametral verschiedene Reformbestrebungen zum Thema Geld: Die Kontrolle durch die Zentralbanken oder durch ein neues Kontrollorgan müssen verstärkt und eine Rückkehr zum Goldstandard angestrebt oder aber alle Kontrollen sollten aufgehoben werden. Binswanger überprüft die gängigen Reformvorschläge auf Basis der Erkenntnisse aus seinem Buch und weist sie als untauglich zurück. Er hält nichts von grundlegenden Änderungen, die nur zu neuen Problemen führen. Aber Binswanger lässt keinen Zweifel daran, dass Reformen notwendig sind, da Geldschöpfung ohne Kontrolle zu ständigen Krisen und Instabilität führt. Dabei will er aber in kleinen Schritten, beispielsweise beim Anreizsystem für Banker, ansetzen. Nicht die Ausrichtung auf maximales Wachstum, sondern auch die damit zusammenhängenden Risiken gilt es, im Auge zu behalten.
Das Buch ist geradezu eine Pflichtlektüre für Banker, aber auch für Anleger. Ob letztere danach allerdings ruhiger schlafen können, mag dahingestellt bleiben. Aber, den Kopf in den Sand zu stecken hilft nichts, sich ausreichend zu informieren ist die einzige Möglichkeit, um die richtigen Entscheidungen treffen zu können.