2024 dürfte die Geldpolitik auf Wachstumsförderung setzen

Tobias Friedrich, Santander Asset Management
Tobias Friedrich / Bild: Santander Asset Management
  • Der Zinserhöhungszyklus der Notenbanken dürfte beendet sein
  • Die schwächeren Rahmenbedingungen dürften den Fokus von Inflationsbekämpfung auf Wachstumsförderung verlagern
  • Zinssenkungen dürften ab dem 2. Halbjahr beginnen

Anzeichen einer wirtschaftlichen Verlangsamung werden sichtbar

Angesichts der Hartnäckigkeit des Inflationsschocks haben die Märkte ihre Erwartung an ein Szenario „höher für länger“ angepasst. Weltweit haben die Zentralbanken die Zinssätze angehoben, um das Wirtschaftswachstum einzuschränken und den Inflationsdruck zu dämpfen. Allerdings scheint sich die Welle der Zinserhöhungen abzuflauen – die Frage ist nicht mehr „wie hoch“ die Zinssätze angehoben werden, sondern „wie lange“ sie auf dem aktuell hohen Niveau gehalten werden sollten. Einige Schwellenländer wie beispielsweise Chile und Brasilien haben bereits begonnen, ihre Zinssätze zu senken. Wenn sich bestätigt, dass die Leitzinsen den Höhepunkt erreicht haben, würde dies eine Unsicherheitsquelle für Investoren beseitigen und die Perspektiven für zinssensible Anlageklassen wie festverzinsliche Wertpapiere klarer machen.
 
Unsere Annahme, dass die Zinssätze ihren Höchststand erreicht haben, wird durch den bevorstehenden langsamen Wirtschaftsabschwung gestützt. Obwohl das BIP-Wachstum im dritten Quartal in den USA stark war, registrieren wir vermehrt Anzeichen einer Wachstumsverlangsamung. Die Auswirkungen der geldpolitischen Straffung werden deutlicher werden und das Wachstum dürfte daher im Jahr 2024 niedriger ausfallen als noch im Jahr 2023. Obwohl eine Rezession vermieden wird, wird die Wirtschaft im Jahr 2024 zeigen, dass sie nicht immun gegen die Auswirkungen steigender Zinssätze ist.

Fiskalische Unterstützung in den USA lässt nach

Insbesondere fiskalische Programme wie das Inflationsbekämpfungsgesetz sowie das Next-Generation-EU-Programm während und nach der Corona-Pandemie konnten die Wirtschaft lange Zeit unterstützen. In den USA waren die Konjunkturprogramme besonders großzügig und die Unterstützung für Familien führte zu einem erheblichen Sparüberschuss, um den Kaufkraftverlust infolge der Inflation abzufedern. Darüber hinaus haben viele Haushalte und Unternehmen die niedrigen Zinssätze vor 2022 genutzt, um ihre Hypotheken zu festen Zinssätzen umzufinanzieren. Zur Erinnerung: In den USA ist es weit verbreitet die Konditionierung einer Baufinanzierung flexibel zu halten und einen variablen Zinssatz zu vereinbaren. Die fiskalische Unterstützung lässt jedoch von Quartal zu Quartal nach, die angesammelten Ersparnisse schwinden, Subventionsprogramme laufen aus und immer mehr Darlehen werden zu viel höheren Zinssätzen prolongiert.
 
Wir glauben, dass eine weitere Abschwächung des Wachstums in den kommenden Quartalen als Nebeneffekt der Fortschritte bei der Kontrolle der Inflation unvermeidlich ist. Die höheren Zinssätze haben ihre Wirkung nur langsam entfaltet. Dennoch: Der geldpolitische Transmissionsmechanismus der höheren Zinsen wird einhergehen mit einer Abschwächung des Arbeitsmarktes, einer Einschränkung der Investitionspläne und einer Zunahme der Zahl der Unternehmen und Familien, die Schwierigkeiten haben, ihren finanziellen Verpflichtungen  nachzukommen. Diese größere Sichtbarkeit des Schwungverlusts der Wirtschaftstätigkeit wird den Schwerpunkt der Zentralbanken von der Inflation auf das Wachstum verlagern und Zinssenkungen insbesondere in der zweiten Hälfte des Jahres 2024 möglich machen.

Die Geldpolitik dürfte im zweiten Halbjahr einen neuen Fokus bekommen

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Wirtschaft im Jahr 2024 weiterhin eine Disinflation erleben wird, wobei sich die hohen Zinssätze auf Investitionen und Ausgaben auswirken werden. Wir erwarten, dass sich die Geldpolitik spätestens in der zweiten Jahreshälfte ändern wird und die Industrieländer dem Beispiel der Schwellenländer folgen und die Zinssätze senken werden. Die Zinsobergrenzen dürften damit erreicht sein. Die Geldpolitik wird sukzessive von Inflationsbekämpfung auf Wachstumsförderung umschwenken.
Tobias Friedrich ist Senior Manager Markets and Clients bei Santander Asset Management