Kunst oder Mode? Viktor&Rolf. Fashion Statements in der Kunsthalle München

Ulrich Kirstein
On Stage / Bild: UK
Schließen sich Kunst und Mode nicht aus? Kunst will nicht modisch, sondern zeitlos sein, Mode ist ein flüchtiges Gut und ehe man sich versieht, hat einen die nächste Modewelle überrollt. Trotzdem beeinflussen sich Kunst und Mode, Künstler und Designer inspirieren sich gegenseitig, manchmal verschwimmen die Grenzen. Wie bei den beiden niederländischen Modedesignern Viktor und Rolf, die aus Mode Kunst machen oder vielleicht doch eher aus Kunst Mode. Deshalb ist es nur zielführend, dass ihre Mode jetzt quasi museal in der Kunsthalle München ausgestellt wird.
 
Während normalerweise neben dem Laufsteg nur eine kleine, ausgewählte Schar die flüchtig auf dem Laufsteg präsentierte Mode wahrnehmen darf, bleibt uns Betrachtern in der Kunsthalle München Zeit und Muße, uns in einzelne Kreationen und ganze Ensembles zu vertiefen und immer neue Details zu entdecken. Demokratischer sei diese Form der Präsentation auf jeden Fall, so die beiden in Amsterdam wirkenden Modekünstler Viktor Hosting und Rolf Snoeren. Für sie bedeutet die Ausstellung nach eigener Aussage so etwas wie eine „Postmoderne der eigenen Werke“, die ihnen ermöglicht, durch ihre Schaffenszeit zu spazieren.
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Der glamourös gestaltete "Ballsaal" in der Ausstellung, der auf einen Blick eine Vielzahl üppig gestalteter und oftmals mit plakativen Sprüchen verzierte Kreationen preisgibt, in deren Details die Betrachter versinken können.

Von Puppen und Opern

Mehr als 100 Kreationen von Viktor&Rolf haben die Kuratoren Thierry-Maxime Loriot (Montreal) und Franziska Stöhr (Kunsthalle) aus dem Archiv der Designer in Amsterdam, aber auch aus Privatsammlungen zusammengetragen. Sie zeigen sie in neun Kapiteln: Upside Down, Fashion Artists,Russian Dolls, Fashion Statements, Puppen, Zen Garden, Performing Fashion, Konzeptuelle Düfte, Upcycling Couture und Auf der Bühne. Wir können hier nicht auf detailliert auf alle eingehen, besonders eindrucksvoll wirkt der verspiegelte Ballsaal mit roten Plüschsofas und Tüllkleidern en mass. Darin finden sich ihre Fashion Statements, die von „No“ bis zu „I love you“ reichen und Social-Media-Slogans entlehnt sind oder sein könnten. Auf der Bühne, das wir hier als Titelbild zeigen, weist auf ihre Arbeiten für den Opernregisseur Robert Wilson hin: So entwarfen sie die Kostüme für die Oper Der Freischütz von Carl Maria von Weber in Baden-Baden. Auf Nachfrage, ob weitere Opern geplant sind, zeigten sie sich daran nicht uninteressiert, aber konkrete Pläne gibt es (leider) nicht.
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Die Fashion Artists mit einer Performance of Sculptures wecken Assoziationen an unterschiedliche Kunstwerke, eine Art begehbare Skulpturen.

Kunst und Akribie

Nicht zu unterschätzen ist die hohe handwerkliche Qualität und Akribie der Be- und Verarbeitung, die "hohe Schneiderkunst", wie Victor&Rolf es selbst beschreiben. Die nach langen Jahren in Paris wieder in der Heimat wirkenden Designer verwenden die unterschiedlichsten Materialien von Tüll über Leinwände oder Glocken. Ein Ärmel kann auch fast ausschließlich aus Knöpfen bestehen und - nicht zu vergessen - wären da noch Schleifen, Schleifen, Schleifen. Allein beim Hochzeitskleid für Prinzessin Mabel von Oranje-Nassau waren es 264! Zeitungsausschnitte über die beiden Modekünstler können sich auch einmal als Wandteppich wiederfinden. Kreativität und Perfektionismus schließen sich nicht aus, sondern bedingen einander. Auch interessant: Während sie in frühen Zeiten – und in permanenten Geldnöten – auf vorhandene Stoffe von Yves Saint Laurent und anderen bekannten Designern zurückgriffen, setzen sie jetzt bewusst auf Vintagestoffe ihrer eigenen älteren Kollektionen, aus Nachhaltigkeitsgründen.
Viktor und Rolf haben an der Kunstakademie in Arnheim studiert. Nach ihrem Abschluss nahmen sie 1993 am Modewettbewerb des Festival International de Mode et de Photographie in Hyères teil - und gewannen. Sie wurden als "Viktor und Rolf" auf die Bühne gebeten - ein Name, der ihnen seitdem geblieben ist. Nach fünf Jahren des Experimentierens, in denen sie vor allem in Museen und Ausstellungen ihre Kollektionen präsentierten, aber wenig finanziellen Erfolg hatten, zeigten sie ab 1998 Haute Couture und mischen seitdem die Branche auf.

Performance statt Défilés

Kunst und Kunstgeschichte inspirierten die beiden Außenseiter der Modeszene und bei manchen Kreationen scheinen uns Plastiken oder Gemälde von Max Ernst oder Paul Klee entgegenzutreten, oder sie bedienten sich der Farbe Blau von Yves Klein. 2015 brachten sie die Kollektion Van Gogh Girls heraus und 2016 Performance of Sculptures. Die Modeschauen von Viktor&Rolf haben sehr viel mehr mit Performance-Aktionen zu tun, als dass sie reine Défilés darstellen - oftmals treten die beiden selbst mit auf den Laufsteg, der für sie eher eine Bühne ist. So beispielsweise ihr „Zen-Garden“ 2013 oder die „Russian Dolls“ von 1999, wo sie das Modell Maggie Rizer auf einer Drehbühne in insgesamt neun Kreationen übereinander kleideten, bis sie an die 70 Kilo zu tragen hatte. Gezeigt wird dies in der Ausstellung mit Hilfe einer 3-D-Animation des Visual-Effects-Studio Rode FX, das auch etwa für Game of Thrones oder Indiana Jones tätig war. Madonna, Lady Gaga, Katy Perry oder Tilda Swinton sind nur einige der Künstlerinnen, die sich von Viktor&Roy kleiden ließen - wobei die Designer betonen, dass für sie die Arbeit beendet ist, wenn das Werk fertig ist - wer es trägt, spielt keine Rolle für sie.
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Nicht zuletzt wird eine Auswahl ihrer handgefertigten Porzellanpuppen präsentiert, die eine Art materielles Gedächtnis darstellen. Sie werden für jede Saison als verkleinerte Versionen ihres best of an Kreationen hergestellt – Haute Couture en miniature quasi.
 
Kurator Thierry-Maxime Loriot aus Montreal ist quasi für die Modeausstellungen in der Kunsthalle zuständig und hat dem Münchner Publikum bereits Jean Paul Gaultier, Thierry Mugler oder Peter Lindbergh nahegebracht und für ein volles Haus in der Kunsthalle gesorgt. Gemeinsam mit der Kuratorin der Kunsthalle Franziska Stöhr hat er jetzt nicht nur eine fulminante Ausstellung konzipiert, sondern auch einen üppig bebilderten und englisch-deutsch gehaltenen Katalog herausgebracht.
Viktor&Rolf. Fashion Statements wurde organisiert von der Kunsthalle München und kuratiert von Thierry-Maxime Loriot in Zusammenarbeit mit Maison Viktor&Rolf und L’Oréal Luxe.
ÖFFNUNGSZEITEN
täglich 10–20 Uhr
zur AfterworkKH am 20.3., 17.4., 15.5., 19.6., 17.7. und 18.9. : 10–22 Uhr |
Sonderöffnungszeiten für Schulklassen: jeden Mittwoch 9–10 Uhr, Anmeldung erforderlich: kontakt@kunsthalle-muc.de
BEGLEITPROGRAMM (AUSZUG)
Ein vielseitiges Programm erwartet das Publikum: Die Veranstaltungsreihe AfterworkKH sorgt jeden dritten Mittwoch im Monat für entspannten Kunstgenuss nach der Arbeit. Das Party-Format »Re-Act!« Harry Klein goes Kunsthalle verbindet Kunst mit Club. Vorträge und Talks mit interessanten Referierenden beleuchten unterschiedliche Aspekte rund um das Thema der Ausstellung. Auch Kuratorinnen- und Kinderführungen werden angeboten. Alle Infos zum Begleitprogramm: www.kunsthalle-muc.de
KATALOG
Zur Ausstellung erscheint im Hirmer Verlag ein umfangreicher Begleitband mit ca. 250 Farbabbildungen.
Hrsg. v. Thierry-Maxime Loriot, mit Beiträgen von Thierry-Maxime Loriot und Franziska Stöhr, sowie einem Interview mit Viktor&Rolf.