Divergenz zwischen den Sektoren – Dienstleistungen im Hoch, Verarbeitendes Gewerbe im Tief

Tobias Friedrich, Santander Asset Management
Tobias Friedrich / Bild: Santander Asset Management
  • Weltkonjunktur wirkt angeschlagen, eine weiche Landung ist jedoch wahrscheinlich.
  • Der Dienstleistungssektor präsentiert sich weiter robust, der Abschwung im Verarbeitenden Gewerbe hingegen verschärft sich.
  • Deutschland befindet sich nun doch in einer technischen Rezession.
Das konjunkturelle Umfeld bleibt wenig dynamisch. Sowohl für die USA als auch die Eurozone und Deutschland stehen viele Konjunkturindikatoren auf Abkühlung. So hat sich die Divergenz zwischen der Stimmung in der Industrie und der im Dienstleistungssektor im Mai nochmals vergrößert. Der Einkaufsmanagerindex für das Verarbeitende Gewerbe sank weiter in den kontraktiven Bereich, der unterhalb von 50 Punkten liegt. Die Indizes für den Dienstleistungssektor halten sich hingegen noch weiter im expansiven Bereich. In der Eurozone notierte der Index der Dienstleistungen jüngst sogar auf dem höchsten Stand seit der Aufhebung der pandemiebedingten Lockdowns Ende 2021 bzw. Anfang 2022. In den USA hingegen ist nun auch die Stimmung im Servicesektor gesunken und kann sich mit 50,3 Punkten nur noch knapp über der Expansionsschwelle halten.

US-Wirtschaft ist robuster als bisher bekannt

Die US-Wirtschaft ist doch besser in das Jahr gestartet als bisher bekannt. Auf Basis einer zweiten Schätzung des US-Handelsministeriums stieg das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im ersten Quartal zum Vorquartal auf das Jahr hochgerechnet um 1,3 Prozent. Eine erste Erhebung hatte einen Zuwachs um 1,1 Prozent ergeben. Im vierten Quartal 2022 war die weltgrößte Volkswirtschaft noch um 2,6 Prozent annualisiert gewachsen. Daher halten sich Spekulationen am Markt, wonach die Fed die Leitzinsen im Sommer nochmals erhöhen könnte.

Deutsche Wirtschaft in technischer Rezession

Ging man in Deutschland nach der konjunkturellen Erstschätzung noch davon aus, dass man mit einem blauen Auge davongekommen sei, so ist die größte Volkswirtschaft Europas nun doch in eine technische Rezession (zwei Quartale in Folge abnehmendes BIP) gerutscht. Die Gründe dafür sind vor allem die Inflation und speziell die durch den Russland-Ukraine-Konflikt rasant gestiegenen Energiepreise, die bereits seit Längerem auf die Konjunktur drücken. Im ersten Quartal dieses Jahres schrumpfte das deutsche BIP um 0,3 Prozent, zuvor wurde von einer Stagnation ausgegangen. Selbst die Eurozone ist in der finalen Schätzung nun in eine milde Rezession gerutscht: Die Wirtschaft schrumpfte im ersten Quartal 2023 wie bereits im Schlussquartal 2022 um 0,1 Prozent.

Auftragseingänge lassen nach

Im gesamten Euroraum dürften Wirtschaftsaktivitäten im zweiten Halbjahr 2023 wieder stärker ausfallen und gegen Ende 2024 wieder in Richtung Trendwachstum aufschließen. Befürchtete Energieengpässe und Lieferkettenschwierigkeiten sind im Winter zwar ausgeblieben, allerdings sinken derzeit die Auftragseingänge in der deutschen Industrie, die aber noch von einem stabilen Auftragsbestand zehrt. Hierzulande ist beispielsweise das Neugeschäft im März mit 10,7 Prozent zum Vormonat so stark eingebrochen wie zu Beginn der Corona-Pandemie im April 2020. Zudem haben die europäischen Verbraucher deutliche Reallohnverluste verkraften müssen und der volle Bremseffekt aus der strafferen Geldpolitik steht erst noch bevor.

Nachlassende Wirtschaft = Nachlassende Inflation

Die insgesamt gedämpfte Wirtschaftsdynamik zeigt sich aber auch in rückläufigen Inflationsraten. In den USA dürfte der Hochpunkt lange überschritten sein. Anders sieht es in der Eurozone aus. Hier bleibt der Preisdruck insbesondere in der Kernrate weiter hartnäckig. Eine deutliche Entspannung wird wohl noch bis zum Spätsommer auf sich warten lassen.
Tobias Friedrich ist Senior Manager Markets and Clients bei Santander Asset Management