Jitania Kandhari, Morgan Stanley IM

Wie sich die weltweiten Handels- und Kapitalströme verschieben

Der Welthandel ist geprägt von Deglobalisierungstendenzen und einer Entkopplung der beiden Weltmächte USA und China. Peking erschließt in den Schwellenländern neue Märkte und Südostasien ist der große Gewinner der neuen Weltordnung. Bei den ausländischen Direktinvestitionen dominieren weiterhin die USA.

Jitania Kandhari, Morgan Stanley Investment Management

Seit der Eskalation der Handelsspannungen zwischen den USA und China in den Jahren 2016 bis 2018 hat sich die Dynamik des Welthandels verändert. Sie ist geprägt von einer Kombination aus Deglobalisierungstrends und Anpassungsstrategien der wichtigsten Akteure. Die beiden führenden Wirtschaftsmächte haben sich voneinander abgekoppelt: Der Anteil der chinesischen Lieferungen in die USA an den Gesamtexporten des Landes ist von 21 Prozent im Jahr 2000 auf 16 Prozent im Jahr 2023 gesunken. Peking hat seinen globalen Marktanteil aber weitgehend stabil gehalten, indem es seine Exporte nach Europa und in die Schwellenländer umgelenkt hat. Die chinesischen Ausfuhren in die aufstrebenden Volkswirtschaften sind von 16 Prozent der Gesamtexporte im Jahr 2000 auf 44 Prozent im Jahr 2023 gestiegen.

Die Lieferketten verschieben sich aber nicht nur, sie entwickeln sich auch weiter. Als Reaktion auf Zölle und zunehmenden Protektionismus verfolgt China einen doppelten Ansatz: Es verlagert Teile seiner Produktion in befreundete Regionen und baut gleichzeitig robuste inländische Lieferketten in wichtigen Branchen wie Halbleiter, Batterien für Elektrofahrzeuge und Solarpaneele auf. Auf diese Art und Weise sollen geopolitische Risiken abgesichert werden. Gleichzeitig möchte das Land die Vorherrschaft in zukunftsträchtigen Sektoren stärken.

Südostasien als großer Gewinner

Bei den neu gestalteten Handelsrouten hat sich Südostasien als der größte Gewinner erwiesen. Die Lieferungen in die USA boomen und der intraregionale Handel nimmt zu – gefördert durch Investitionen großer Unternehmen, die sich von China abwenden. Ein weiterer Nutznießer ist Mexiko, das als Brücke zu den US-Märkten für mit China verbundene Lieferketten dient. Andere schnell wachsende Handelsverbindungen bestehen zwischen China und Russland, China und Südostasien sowie zwischen China und dem globalen Süden, der Afrika und Südamerika umfasst.

Das verdeutlicht eine umfassendere Neukalibrierung der Strategie Pekings: Es geht nicht nur um die bloße Ausfuhr von Waren, es geht um den Export von Einfluss. Während die Regeln des Handels neu geschrieben werden, bleibt aber eine Konstante: Asien – angeführt von China – ist nach wie vor das Gravitationszentrum.

Aufschlussreiche Kapitalströme

Während die Handelsverschiebungen im Mittelpunkt des Interesses stehen, liegen die Kapitalströme weniger stark im Fokus. Dabei zeichnen sie ein stärkeres Bild der sich entwickelnden Allianzen und Schwachstellen. Nirgendwo wird dies deutlicher als bei den ausländischen Direktinvestitionen (ADI) und den Portfolioströmen.

Einst war China ein Magnet für strategische Industrien wie Halbleiter, Telekommunikation und Pharmazeutika. Nun aber erlebt das Land aufgrund zunehmender internationaler Spannungen und politischer Unsicherheiten eine Investitionsflucht: Seit 2022 sind die ausländischen Direktinvestitionen in China um 70 Prozent zurückgegangen – ein massiver Einbruch um 300 Milliarden US-Dollar.

Die chinesische Strategie für Direktinvestitionen im Ausland offenbart einen Plan zur Umgehung geopolitischer Beschränkungen: Peking zielt stark auf Mexiko und Vietnam ab und verdoppelt seine Kapitalzusagen für diese strategischen Gateways, die chinesischen Unternehmen die Nähe zu wichtigen entwickelten Märkten bieten. Das chinesische Kapital treibt einen stillen, aber bedeutsamen Wettlauf an, um weltweit Fuß zu fassen, Zölle abzuschwächen und Risiken zu diversifizieren.

Als Teil seines Instrumentariums hat Peking eine neue Form der wirtschaftlichen Staatskunst eingesetzt: Das Land hat US-Dollar-Anleihen in Saudi-Arabien emittiert und gleichzeitig die Kontrollen für den Export von Seltenen Erden verschärft, um eine mehrdimensionale Strategie zur Bewältigung geopolitischer Risiken in einer zunehmend fragmentierten Weltwirtschaft zu entwickeln.

USA ziehen weiterhin Investitionen an

Die USA sind der größte Nutznießer der weltweiten ADI-Ströme und dominieren mit einem Anteil von 27 Prozent gegenüber China mit 7 Prozent. Als zuverlässigstes Investitionsziel der Welt ziehen die Vereinigten Staaten auch in Zeiten des zunehmenden Protektionismus ausländisches Geld an.

Die Verfolgung der Migrationstrends von Millionären offenbart ebenfalls interessante Kapitalströme. Die Länder mit dem größten Zustrom sind die Vereinigten Arabischen Emirate, die USA, Singapur, Kanada und Australien. Die Länder mit den meisten Abwanderungen sind China, das Vereinigte Königreich, Indien, Südkorea und Russland. Millionärsbewegungen sind oft ein frühes Signal für künftige Wirtschaftstrends.

Die Zukunft gehört denjenigen, die diese Handels- und Kapitalströme lesen und interpretieren können.

Jitania Kandhari

Jitania Kandhari ist Deputy CIO, Solution & Multi Asset Group bei Morgan Stanley Investment Management. Morgan Stanley Investment Management beschäftigt zusammen mit den mit ihr verbundenen Anlageberatungsunternehmen weltweit mehr als 1400 Anlageexperten und verwaltet oder betreut Vermögenswerte in Höhe von USD 1,7 Billionen (Stand: 31. Dezember 2024).