Michael Grady, Aviva Investors

US-Exzeptionalismus verliert seinen Glanz

Globale politische Nachbeben schaffen Herausforderungen und Chancen

Das globale Wachstum wird für 2025 und 2026 auf etwa 3 Prozent geschätzt, was eine leichte Aufwärtskorrektur gegenüber den früheren Prognosen des Investmentteams darstellt. Dies spiegelt vor allem die etwas weniger negativen Auswirkungen der Zölle auf das Wachstum in den USA und anderen Ländern wider, da die größten politischen Schocks nun hinter uns liegen. Das Wachstum ist zwar robust, wird aber weiterhin uneinheitlich verlaufen. Die USA verliert Fahrt, China stabilisiert sich, während Europa und Großbritannien eine moderate Erholung verzeichnen

 

Michael Grady, Aviva Investors

Wir sindt der Ansicht, dass die meisten größeren politischen Schocks nun hinter uns liegen und dass das letzte Quartal 2025 davon geprägt sein wird, wie die Welt darauf reagiert. Das neue Zollsystem der USA wurde zwar vom Rest der Welt weitgehend akzeptiert, doch sollte das Ausmaß der Veränderung nicht unterschätzt werden.

Das Investmentteam von Aviva Investors rechnet mit einem effektiven Zollsatz von rund 15 Prozent in den USA, was einer Versechsfachung entspricht. Dies entspricht einer Steuererhöhung von rund 1,5 Prozent des BIP, die sowohl von den Unternehmen in Form geringerer Gewinne als auch von den Haushalten in Form höherer Preise und geringerer realer Ausgaben aufgefangen werden muss. Ein Großteil der Auswirkungen steht noch aus, da sie durch den Anstieg der Importe vor Einführung der Zölle und die vorübergehend niedrigeren Zollsätze Mitte des Jahres verzögert wurden. Daher geht das Team davon aus, dass dies die Ausgaben in den USA zum Ende 2025 und noch Anfang 2026 belasten wird.

Moderate Aufwärtsprognose

Unsere zentrale Prognosefür das globale Wachstum liegt für den Rest des Jahres 2025 und für 2026 bei etwa 3 Prozent. Dies stellt eine moderate Aufwärtskorrektur gegenüber der früheren Prognose dar, die vor allem die etwas geringeren negativen Auswirkungen der Zölle auf das Wachstum in den USA und anderen Ländern widerspiegelt. Allerdings wird erwartet, dass das Wachstum in den USA deutlich schwächer ausfallen wird als 2024, und zwar um 1,8 Prozent für das gesamte Kalenderjahr und um 1,5 Prozent im vierten Quartal im Vergleich zum Vorjahr. Anschließend wird erwartet, dass das Wachstum wieder ungefähr auf das Trendniveau zurückkehrt.

Da sich die Auswirkungen der globalen Handelspolitik weltweit fortsetzen, werden die Zentralbanken sowohl die mit dem langsamen Wachstum und der Abschwächung der Arbeitsmärkte verbundenen Abwärtsrisiken als auch die in vielen Volkswirtschaften zu beobachtende unangenehm anhaltende Inflation aufmerksam beobachten. Dieser Zielkonflikt dürfte in den USA am deutlichsten zu spüren sein, wo die Federal Reserve nach einer neunmonatigen Pause im September den Zinssenkungszyklus wieder aufgenommen hat und die Finanzmärkte für die nächsten zwölf Monate weitere Zinssenkungen um 100 bis 150 Basispunkte einpreisen. Angesichts der erwarteten steigenden Inflation und der prognostizierten Abschwächung des Arbeitsmarktes wird jedoch das Gleichgewicht dieser beiden Kräfte darüber entscheiden, ob es zu weniger oder mehr Zinssenkungen als eingepreist kommen wird. Die Risiken scheinen eher nach unten zu tendieren.

In Europa mehr Wachstum 2026

In der Eurozone wird für dieses Jahr ein Wachstum von 1,2 Prozent erwartet, was leicht über dem Konsens liegt, da sich die Binnennachfrage dank steigender Konsumausgaben belebt. Die fiskalischen Impulse dürften 2026 zunehmen und für ein etwas besseres Wachstum im nächsten Jahr sorgen. Während das Vereinigte Königreich Anfang dieses Jahres ein überraschend starkes Wachstum verzeichnete, bleibt die Nachfrage der privaten Haushalte weiterhin schwach und die Investitionen gering. Für dieses Jahr wird ein Wachstum von 1,2 Prozent erwartet, während es im nächsten Jahr weiterhin schleppend verlaufen dürfte. Der Haushalt im November wird wahrscheinlich weitere Steuererhöhungen mit sich bringen, was das Wachstum zusätzlich belasten wird.

Die Auswirkungen der Nachbeben verdauen

Was die Ansichten des Investmentteams zur Vermögensallokation angeht, so muss der Markt nun, da die wichtigsten politischen Ereignisse wohl hinter uns liegen, die Auswirkungen der Nachbeben verdauen. Für die globalen Aktienmärkte geht das Team davon aus, dass das zentrale Szenario eines langsameren Wachstums – aber keiner Rezession – zusammen mit einer lockeren Geldpolitik und einer Reihe thematischer Treiber weiterhin die Renditen stützen dürfte. Das Thema KI bleibt weiterhin dominant und ist insbesondere für US-Aktien ein wichtiger Treiber. Mit der Ausweitung des Themas können auch andere Sektoren und Regionen davon profitieren. Daher bevorzugt das Team eine Übergewichtung von Aktien mit einer relativ breiten geografischen Streuung. Das gesagt, sind sie sich der Wachstums- und Inflationsrisiken bewusst, von denen jedes die Renditen beeinträchtigen kann, wenn es groß genug wird.

Anleihen: Neutrale Position

Im Bereich Fixed Income hält das Team die Front-End-Preise für das zentrale Szenario für weitgehend fair. Wir gehen davon aus, dass die Laufzeitprämien aufgrund steigender globaler Emissionen und der Wahrnehmung von Risiken für die Unabhängigkeit der Fed weiter zunehmen könnten. Wir glauben jedoch, dass das Abwärtswachstumsrisiko ausreicht, um eine kleine Übergewichtung in der Duration zu rechtfertigen. Bei den Unternehmensanleihen geht das zentrale Szenario weiter davon aus, dass die bereits engen Spreads sich wohl nicht wesentlich ausweiten werden, auch wenn die Ex-ante-Renditen zunehmend mager erscheinen. Angesichts des begrenzten Aufwärtspotenzials bevorzugt das Team jedoch eine neutrale Position. Bei den Währungen wird schließlich erwartet, dass der US-Dollar weiter an Wert verlieren wird, wobei Hedging-Ströme ein wichtiger Faktor sind, unterstützt durch sich verringernde Zinsdifferenzen.

Starke Unsicherheit an den Märkten

Politische Umbrüche standen 2025 im Mittelpunkt des Interesses der Finanzmärkte. Die zweite Amtszeit von US-Präsident Trump brachte eine Reihe politischer Veränderungen mit sich, die Jahrzehnte des Freihandels, des ungehinderten globalen Kapital- und Personenverkehrs und einer moderaten Fiskalpolitik auf den Kopf stellten. Die Veränderungen waren so umfassend, die letztendlichen Motive so unklar und die Auswirkungen so schwer einzuschätzen, dass die Unsicherheit stark zunahm und die Finanzmärkte zumindest für eine gewisse Zeit ins Wanken gerieten.

Die größten politischen Erschütterungen scheinen nun jedoch hinter uns zu liegen und der Fokus der Finanzmärkte wird sich auf die längerfristigen Auswirkungen verlagern. Die Zentralbanken müssen angesichts des langsamen Wachstums und der anhaltenden Inflation in vielen wichtigen Volkswirtschaften aufmerksam auf die Risiken achten.

Michael Grady

Michael Grady ist Leiter der Anlagestrategie und Chefvolkswirt bei Aviva Investors. Aviva Investors ist die globale Asset-Management-Einheit von Aviva PLC. Das Unternehmen bietet seinen Kunden weltweit Anlagelösungen, Finanzdienstleistungen und eine kundenorientierte Wertentwicklung. Aviva Investors ist in 9 Ländern in Europa, Nordamerika, im asiatisch-pazifischen Raum und im Vereinigten Königreich tätig und verwaltete zum 31. Dezember 2024 ein Vermögen von 238 Milliarden britischen Pfund.

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