Dr. Klaus Bauknecht, IKB Deutsche Industriebank AG

Stellenabbau im Verarbeitenden Gewerbe: Temporär oder permanent?

Der Stellenabbau im Verarbeitenden Gewerbe (VG) wird häufig als temporär eingestuft – bedingt durch Fachkräftemangel und die aktuelle Konjunkturflaute. Diese Einschätzung ist jedoch wenig überzeugend. Zum einen begegnen Unternehmen dem Fachkräftemangel nicht durch Überbesetzung, sondern durch Verlagerung ins Ausland. Entscheidend dabei sind weniger die Verfügbarkeit von Fachkräften, als vielmehr die Lohnkosten – und diese sinken auch bei höherer Zuwanderung nicht zwangsläufig. Zum anderen führt die anhaltende Konjunkturflaute zu einem permanenten Kapazitätsabbau. Ohne eine deutlich höhere Investitionsbereitschaft wird selbst eine Konjunkturerholung die abgebauten Stellen am Standort Deutschland nicht zurückbringen.

Dr. Klaus Bauknecht, IKB Deutsche Industriebank AG

Keine Anzeichen eines Aufschwungs

Ob Auftragseingänge oder Industrieproduktion: Alle jüngsten Konjunkturdaten zeigen in die falsche Richtung. Für das Verarbeitende Gewerbe (VG) kann bestenfalls von einer Stabilisierung ausgegangen werden. Das Bild der deutschen Industrie ist weiterhin geprägt von einer schwachen Nachfrage und fehlenden Angebotsimpulsen – und kurzfristig könnte sich die Lage eher verschlechtern als verbessern.

Zwar wurden mit dem verabschiedeten Investitionssofortprogramm (Degressive Abschreibung 2025-2027, Körperschaftsteuer-Senkung ab 2028, Förderung E-Mobilität durch Sonderabschreibung, Forschungsförderung) wichtige Maßnahmen beschlossen, doch deren positive Effekte werden sich erst mittelfristig zeigen. Gleichzeitig belasten die US-Handelspolitik und der zunehmende globale Wettbewerb die deutschen Exporte – wie auch die jüngsten Zahlen für August gezeigt haben.

Zudem bleibt es fraglich, ob das Investitionsprogramm einen ausreichend großen Effekt haben wird und Reformen insgesamt für zunehmende Aufbruchstimmung bei den Investitionen sorgen werden. Die Gefahr eines dauerhaften Kapazitätsabbaus besteht daher weiterhin.

Stellenabbau: Kein Widerspruch zum Fachkräftemangel

Das Verarbeitende Gewerbe baut bereits seit geraumer Zeit Arbeitsplätze ab – und das trotz der gängigen Argumentation, der Fachkräftemangel nötige Unternehmen dazu, trotz Überkapazitäten Personal zu halten. Diesen Mangel mag es in der Tat geben – allerdings primär für den Standort Deutschland, was das Potenzialwachstum belastet. Für Unternehmen des gehobenen Mittelstands spielt er jedoch eine immer geringere Rolle. Denn sie verlagern zunehmend nicht nur die niedrige, sondern auch höherwertige Wertschöpfung ins Ausland. Der Fachkräftemangel in der Industrie wird somit nicht durch Zuwanderung, sondern vermehrt durch Verlagerung adressiert.

Es ist allgemein bekannt, dass die Lohnkosten am Standort Deutschland – selbst für Fachkräfte – zu hoch sind. Dies ist jedoch weniger auf das Angebot, sondern vor allem auf die Lohnnebenkosten zurückzuführen. Selbst ein deutlicher Anstieg der Zuwanderung würde wenig daran ändern. Um für ausländische Fachkräfte attraktiv zu sein, müsste das verfügbare Einkommen voraussichtlich sogar weiter steigen. Die Lösung liegt daher vor allem in einem spürbaren Abbau der Lohnnebenkosten und nicht in der Hoffnung auf mehr Zuwanderung, was jedoch eine grundsätzliche Reform des Sozialsystems mit sich bringen müsste. Arbeit – insbesondere von ausländischen Fachkräften – könnte beispielsweise deutlich niedriger besteuert werden, um gezielt Anreize für Fachkräfte wie Unternehmen zu schaffen.

Da sich jedoch die Regierung schwertut, den Bundeshaushalt grundsätzlich wachstumsorientiert zu gestalten und Lohnkosten sowie Steuern zu senken, steht der aktuelle Stellenabbau nicht im Widerspruch zum bestehenden Fachkräftemangel am Standort. Die Folgen für das Wachstumspotenzial des Industriestandorts sind jedoch gravierend.

Stellenabbau eher permanent als zyklisch

Ob Kapitalstock oder Arbeitsplätze – beides wird in Folge der schwachen Konjunktur und fehlender Standortperspektive aktuell abgebaut bzw. ins Ausland verlagert. Der Industriestandort Deutschland reagiert dadurch immer weniger auf Nachfrageimpulse, insbesondere aus dem Ausland (s. Deutsche Industrie braucht eher höhere Investitionen als niedrigere Zölle). Zwar mag der aktuelle Stellenabbau auch konjunkturell getrieben sein. Es sind jedoch vor allem die Rahmenbedingungen und die hohen Lohnkosten, die ihn zu einem dauerhaften Phänomen machen – weit über einen zyklischen Abschwung hinaus.

Das Argument, dass Innovation im Verarbeitenden Gewerbe (VG) neue Stellen schafft und den Abbau kompensiert, ist nur bedingt überzeugend. Der Gedanke der „Schöpferischen Zerstörung“ greift hier zu kurz. Zwar verweisen Volkswirte darauf, dass durch strukturelle Veränderungen Arbeitsplätze wegfallen und woanders neue entstehen werden. Doch es ist die Schöpfung, die die Zerstörung vorantreibt: Neue technologische Errungenschaften machen bestehende Prozesse obsolet, indem sie neue Wirtschaftsfelder schaffen.

Im deutschen Verarbeitenden Gewerbe werden Arbeitsplätze infolge von Innovationen (z. B. Automobilindustrie) oder veränderter Rahmenbedingungen (Energiekosten) abgebaut. Es sind die Wettbewerbsnachteile, die Unternehmer ins Ausland treiben – wo dann sehr wohl Wertschöpfung und neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Ohne eine hohe Investitionsbereitschaft und die dafür notwendigen Rahmenbedingungen wird jeglicher strukturelle Wandel oder Transformation eher zu einem Nettoabbau bzw. zu Zerstörung führen.

Schumpeters Konzept der „schöpferischen Zerstörung“ besagt, dass der Fokus weniger auf den wegfallenden als auf den neu entstehenden Arbeitsplätzen liegen sollte. Ein Stellenabbau infolge technologischen Wandels kann und sollte daher nicht verhindert werden. Entscheidend ist vielmehr, wie stark die Angebotsseite auf technologische Erneuerungen regieren kann.

Für eine erfolgreiche Transformation der Angebotsseite braucht es jedoch einen spürbaren Investitionsboom und das damit verbundene Vertrauen in den Standort. Ohne diese Voraussetzungen wird z. B. der prognostizierte Stellenabbau in der Automobilindustrie von bis zu 190.0000 Arbeitsplätzen eine dauerhaft negative Wirkung haben (Prognos-Studie zur Beschäftigung in der Automobilindustrie | VDA).

Sinkendes Produktivitätswachstum belastet

Der Zuwachs in der Wertschöpfung je Erwerbstätiger im Verarbeitenden Gewerbe nimmt seit Jahren kontinuierlich ab. Ein nachlassendes – teils sogar negatives – Produktivitätswachstum wirkt sich unmittelbar auf die Nachfrage nach Arbeitskräften aus, insbesondere, wenn die Lohnkostensteigerungen nicht darauf reagieren.

Nur eine steigende Investitionsquote und die damit verbundene Produktionssteigerung am Standort Deutschland würde diesem Trend gegenwirken.

Die Lage des Industriestandorts Deutschlands ist ernst. Angesichts der aktuellen Rahmenbedingungen bedeutet jeder weitere Monat konjunktureller Schwäche einen teils dauerhaften Abbau von Produktionspotenzial und Arbeitsplätzen.

Kernaussagen:

  • Der Stellenabbau im Verarbeitenden Gewerbe dürfte auch bei einer leichten Konjunkturerholung anhalten.
  • Das Thema ist nicht der Fachkräftemangel, sondern die hohen Lohnkosten – mehr Zuwanderung allein löst das Problem nicht. Besonders kleinere Unternehmen ohne globale Ausrichtung sind durch Lohnkosten belastet – mit erhöhtem Risko eines Kapazitätsabbaus.
  • Der angekündigte „Herbst der Reformen“ muss zu spürbaren Veränderungen führen. Andernfalls droht weiterhin die Gefahr der De-Industrialisierung – sowohl in der Produktion als auch auf dem Arbeitsmarkt.

Klaus Bauknecht

Dr. Klaus Bauknecht ist als Chefvolkswirt der IKB Deutsche Industriebank AG verantwortlich für die volkswirtschaftlichen Analysen, Prognosen und Einschätzungen der Bank. Er schreibt zu aktuellen und übergeordneten Konjunktur-, Volkswirtschafts- und Marktthemen. Zudem kommentiert er regelmäßig konjunkturelle Entwicklungen in renommierten Wirtschaftsmedien und ist mit seinen pointierten Präsentationen häufiger Gast bei Verbänden und Unternehmen.  Zuvor arbeitete Klaus Bauknecht in verschiedenen leitenden Positionen anderer Banken und im südafrikanischen Finanzministerium.

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