Rentensystem am Entgleisen – Deutschland muss die Zukunftsweichen stellen
Da in den kommenden Jahren verstärkt die geburtenstarken Jahrgänge der 60er Jahre in den Ruhestand treten, während die nachfolgenden Kohorten wesentlich dünner sind, gerät das System der gesetzlichen Rentenversicherung deutlich unter Druck.
In diesem Jahr werden die Rentenausgaben einschließlich der Krankenversicherung für Rentner voraussichtlich knapp 400 Milliarden Euro betragen. In vier Jahren werden diese Kosten voraussichtlich bereits auf etwa 475 Milliarden Euro steigen. Getragen werden diese Kosten zum einen durch den Beitragssatz zur gesetzlichen Rentenversicherung, der derzeit 18,6 Prozent des Bruttolohns beträgt und zur einen Hälfte vom Arbeitnehmer und zur anderen vom Arbeitgeber bezahlt wird. Dieser Beitragssatz reicht allerdings bei weitem nicht mehr aus, um die Kosten für die Renten zu decken. Eine Anhebung des Beitragssatzes zur Finanzierung der stetig steigenden Ausgaben würde die Lohnkosten in Deutschland erhöhen. Dies möchte die Bundesregierung verhindern, sodass die immer größer werdende Lücke zwischen Einnahmen und Ausgaben im Rentensystem durch Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt geschlossen werden muss. Die Zuschüsse an die Rentenversicherung sind mittlerweile mit Abstand der größte Einzelposten im Bundeshaushalt. Dieses Jahr werden sie sich auf etwa 123 Milliarden Euro belaufen. Das ist etwa doppelt so viel, wie für die Verteidigung ausgegeben wird, und entspricht etwa einem Viertel des Gesamthaushalts. In den kommenden Jahren und Jahrzehnten werden die Kosten weiter steigen.
Umfassende Reformen sind notwendig
Um den Kollaps des Rentensystems zu vermeiden, sind umfassende Reformen vonnöten. Anstrengungen wie die Frauenerwerbstätigkeit zu steigern oder die Migration in den deutschen Arbeitsmarkt zu erhöhen, sind hilfreich, die Effekte sind aber bei weitem nicht ausreichend. Notwendig wäre, dass die Bundesregierung zeitnah ein ganzes Bündel an Maßnahmen auf den Weg bringt, denn je länger gewartet wird, desto tiefgreifender und schmerzhafter werden die nötigen Veränderungen, um das Ruder noch herumzureißen. Ein fundamentaler Baustein für eine nachhaltige Rentenreform wäre es, die Lebensarbeitszeit an die Lebenserwartung zu koppeln. Die Anpassung wäre graduell: Alle zehn Jahre würde sich die Lebensarbeitszeit um etwa ein halbes Jahr erhöhen. Eine solche Maßnahme würde gleichzeitig die Einnahmeseite stärken als auch die Ausgaben verringern. Um eine Kostenexplosion zu vermeiden, wäre es zudem notwendig, die Rentensteigerungen in der Zukunft zu dämpfen. Derzeit orientieren sich die Rentenanpassungen fast vollständig an der Lohnentwicklung. Sinnvoller wäre eine Anpassung anhand der Inflationsentwicklung, die im Normalfall etwas unterhalb der Lohnentwicklung liegt. Die Renten würden weiterhin im Einklang mit der Preisentwicklung steigen und die Kaufkraft bliebe erhalten. Derzeit plant die Bundesregierung jedoch, das Rentenniveau bis 2031 bei 48 Prozent festzuschreiben. Das Rentenniveau ist eine hypothetische Größe, die angibt, welche Rente eine Person erhalten würde, wenn sie 45 Jahre lang das Durchschnittsgehalt verdient hätte. Ein Rentenniveau von 48 Prozent bedeutet, dass diese statistische Durchschnittsperson 48 Prozent des aktuellen Durchschnittslohns erhalten würde. Dies impliziert, dass die Rente in den kommenden Jahren nicht nur an die Inflation angepasst werden müsste, sondern im Einklang mit den Löhnen steigen muss, um das Rentenniveau beizubehalten. Dies bläht die Ausgabenseite auf, während die Regierung auf der anderen Seite zudem verspricht, dass der Beitragssatz zur Rentenversicherung in den kommenden Jahren nicht über 20 Prozent steigen darf. Stark steigende Ausgaben bei begrenzten zusätzlichen Einnahmen implizieren, dass zukünftig noch größere Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt nötig sein werden. Die sogenannte doppelte Haltelinie (Rentenniveau 48 Prozent und Beitragssatz maximal 20 Prozent) würde nach Schätzungen dazu führen, dass im Jahr 2050 knapp die Hälfte des Bundeshaushaltes für die Rente aufgewendet werden müsste.
Frühstart- und Aktiv-Rente
Zusätzlich kostensteigend wird sich die von der Regierung versprochene Ausweitung der Mütterrente auswirken, die mit jährlichen Mehrausgaben in Höhe von etwa fünf Milliarden Euro zu Buche schlagen wird. Auch den Nachhaltigkeitsfaktor auszusetzen, der ein zentraler Bestandteil der Rentenformel ist und eine gerechtere Verteilung der Belastung zwischen den Generationen sicherstellen soll, ist ein Schritt in die falsche Richtung. Positiver zu bewerten ist hingegen die Frühstart-Rente, welche ein erster Schritt ist, die Alterssicherung mit einer privaten Komponente auf eine breitere Basis zu stellen. Auch der Plan, dass Rentner zukünftig 2.000 Euro pro Monat steuerfrei dazuverdienen können, ist prinzipiell zu begrüßen. Die Idee ist, dass durch diese sogenannte „Aktiv-Rente“ mehr Personen nach Erreichen des Renteneintrittsalters weiterarbeiten, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Auch die Rentenkasse könnte eine leichte Entlastung erfahren, da der Arbeitgeber für diese Angestellten weiterhin Beiträge zur Rentenversicherung abführt. Zu beachten gilt hier aber auch, dass auch jetzt schon rund 230.000 Personen im Rentenalter sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind. Für diese Personen ist die Aktivrente ein Steuergeschenk. Ob sich diese Einnahmeausfälle des Bundes durch Personen, die durch die Aktivrente motiviert werden, eine Arbeit aufzunehmen, ausgleichen, wird sich erst mit der Zeit zeigen.
Zusammenfassend ist zu sagen, dass die Reform des Rentensystems aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht eine der dringendsten Baustellen in der Bundesrepublik ist. Es geht dabei nicht nur um Generationengerechtigkeit, sondern auch darum, dass steigende Lohnnebenkosten oder Steuern, die ohne Reformen unvermeidlich sind, das zukünftige Wirtschaftswachstum in Deutschland belasten werden. Eine Rentenreform ist also auch ein zentraler Aspekt, um den Wirtschaftsstandort Deutschland zu stärken. Es ist höchste Zeit, diese Reformen umzusetzen. Je länger das Handeln verschoben wird, desto drastischer und schmerzhafter werden die notwendigen Änderungen. Die Lösungsansätze liegen seitens der Wissenschaft schon lange auf dem Tisch, jetzt ist es an der Regierung, zu handeln.
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