Shaan Raithatha, Vanguard

Künstliche Intelligenz: Überwiegen die Risiken das Gewinnpotenzial?

Nach Jahren vergleichsweise stabiler Marktphasen rücken strukturelle Veränderungen zunehmend in den Vordergrund: Handelskonflikte, hohe Staatsdefizite und der technologische Wandel verändern das wirtschaftliche Umfeld spürbar. Wir analysieren die drei zentralen Trends, die die zweite Jahreshälfte mitprägen dürften – und zeigen, wie Anlegerinnen und Anleger ihre Portfolios für ein robusteres Marktumfeld ausrichten können.

Shaan Raithatha, Vanguard

Seit einigen Jahren gelten US-Aktien als deutlich überbewertet. Trotzdem eilt der US-Aktienmarkt, vor allem dank der großen Technologiekonzerne, von Rekord zu Rekord. Anders als in der Dotcom-Ära vor mehr als 25 Jahren lässt sich am US-Aktienmarkt heute dennoch nicht zwingend von einer Blase sprechen. Die Technologieführer von heute erwirtschaften echte – und hohe – Gewinne, Faktoren wie Innovation, Produktivität, günstige Regulierung und solide Unternehmensbilanzen rechtfertigen die hohen Kurse zumindest teilweise. Doch der Markt übertreibt häufig. Wenn große Hoffnungen die Bewertungen ins Exzessive treiben, überwiegen die Risiken oft das Gewinnpotenzial.

Teure Märkte, dünne Luft

Wenn Konjunktur, Fed-Politik und KI-Investitionen zur Schlüsselfrage werden, Hohe Bewertungen allein lösen in der Regel keine Marktkorrekturen aus, machen den Markt jedoch anfälliger für Schocks, zum Beispiel Rezessionen oder geopolitische Ereignisse, die ihrerseits sehr wohl eine Korrektur auslösen können. Über längere Zeiträume von zehn oder mehr Jahren wirken Bewertungen, das zeigen unsere Untersuchungen, wie Schwerkraft, die die Renditen irgendwann wieder in Richtung ihrer historischen Durchschnittswerte drückt. Kurzfristig haben Konjunktur und Gewinnwachstum dagegen größeren Einfluss auf die Kursentwicklung am Aktienmarkt.

Im aktuellen Marktumfeld gilt es daher, diese beiden Faktoren genau zu beobachten. Trotz unserer eher schwachen langfristigen Renditeprognosen könnte eine Kombination aus anhaltendem Wirtschafts- und Gewinnwachstum und den erwarteten Zinssenkungen durch die US-Notenbank (Fed) Verlustrisiken begrenzen – was fast einem Goldlöckchen-Szenario entspräche – und US-Aktien weiteren Auftrieb verleihen. Sollten jedoch die Rezessionssorgen wieder aufflammen, das Gewinnwachstum enttäuschen oder die Fed die Zinsen weniger deutlich senken als erwartet, könnten vor dem Hintergrund der hohen Bewertungen dagegen Risiken entstehen. Eine ähnliche Wirkung würden sinkende Investitionen in KI entfalten, die das US-Wirtschaftswachstum in diesem Jahr offenbar gestützt haben.

Wachstumsimpulse jenseits von Künstlicher Intelligenz

Künstliche Intelligenz hat Hoffnungen geweckt und dem US-Markt deutlichen Auftrieb verliehen. Sollte KI ihr Potenzial voll entfalten, könnten die Gewinne von US-Unternehmen weiterhin deutlich steigen. Internationale Unternehmen – vor allem aus anderen Industrieländern – könnten jedoch sogar noch mehr profitieren, sobald KI in der gesamten Wirtschaft kommerzialisiert und integriert wird. Wo KI und Automatisierung zu erheblichen Produktivitäts- und Effizienzsteigerungen führen und Unternehmen zu ihren US-Konkurrenten aufschließen könnten, sehen wir daher außerhalb der USA Potenzial für schnelle Gewinne. Sollte Künstliche Intelligenz die Erwartungen dagegen enttäuschen, würden diese Märkte wahrscheinlich weniger stark nachgeben als der US-Markt.

Und nicht nur KI könnte das Wachstum in diesen Ländern ankurbeln. In Europa zum Beispiel könnten höhere Verteidigungsausgaben oder neue politische Wachstumsimpulse Produktivität und Erträge steigern. Während in Japan eine Normalisierung der Inflation, steigende Inlandsnachfrage und anhaltende Governance-Reformen denselben Effekt erzielen könnten. In den Schwellenländern, insbesondere in China, sehen wir Potenzial durch technologische Durchbrüche und positive politische Weichenstellungen, aber auch Risiken durch anhaltende strukturelle Schwächen und geopolitische Gefahren. In den vergangenen zehn Jahren hat zudem die Aufwertung des US-Dollars die Wertentwicklung von US-Aktien relativ zu anderen Märkten gestützt – wovon in Zukunft nicht auszugehen ist. Sollte der Kapitalabfluss aus den USA anhalten, könnte der Greenback sogar weiter abwerten; steigende Haushaltsdefizite könnten den Trend zusätzlich verstärken.

Globale Diversifizierung ist und bleibt wichtig

Prognosen legen den Schluss nahe, dass US-Aktien in den kommenden zehn Jahren hinter anderen Aktienmärkten zurückbleiben werden. Die Möglichkeit von Mehrrenditen in den USA ist jedoch weiterhin nicht zu vernachlässigen, Anlegerinnen und Anleger sollte sich daher nicht festlegen – weder auf die USA, noch auf andere Märkte. Vielmehr sollten sie ihr Portfolio diversifizieren und langfristig vielleicht etwas internationaler ausrichten. Bei Diversifizierung geht es natürlich um mehr als nur Rendite. In einer fragmentierten Welt streben einzelne Länder nach Autarkie, weshalb die Korrelation der Konjunkturzyklen abnimmt. Zur Risikosteuerung wird globale Diversifizierung dadurch noch wichtiger.

Shaan Raithatha

Shaan Raithatha, CFA, ist Senior Economist in der Investment Strategy Group von Vanguard und konzentriert sich auf makroökonomische, finanzmarkt- und klimabezogene Forschung in Europa. Bevor er zu Vanguard kam, arbeitete Shaan als globaler Wirtschaftswissenschaftler und Anlagestratege bei HSBC Global Asset Management. Shaan hat einen M.A. in Wirtschaftswissenschaften von der University of Cambridge und einen M.Sc. in Finanzen von der London Business School. Er ist ein CFA-Charterholder.

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