Manfred Schmid, Börse München

Jahresendrallye auch für Nebenwerte?

Kaum ein Wort wird gegen Ende eines Jahres so oft in den Mund genommen, wenn es um das Thema Börse geht, wie „Jahresendrallye“. Jede noch so kleine Aufwärtstendenz wird so interpretiert, als ob die nächsten Allzeithochs vor der Türe stehen, die Rennwagen im übertragenen Sinne an der Startlinie aufgereiht stehen, jederzeit bereit, loszurasen

Manfred Schmid, Börse München

Jeder Rücksetzer wird hingegen als Ruhe vor dem Sturm, als kurzfristiger Boxenstopp kleingeredet. Und in den vergangenen Wochen “rücksetzte” es ja durchaus. Daraus ergeben sich zwei Fragen: Erstens, gibt es tatsächlich eine langfristige Tendenz, dass gegen Jahresende die Kurse nach oben gehen? Und zweitens, wie kann und soll man als Anleger am besten darauf reagieren? Und da wir an der Börse München mit m:access ein eigenes Börsensegment für Nebenwerte haben, gilt dies entsprechend auch für kleinere Titel, gibt es quasi eine Gokart-Rallye?

Jahresendrallye – Chimäre oder Tatsache?

Um der Frage nach der Wahrscheinlichkeit des Eintretens einer Jahresendrallye nachzugehen, wälzen wir heute keine Studien mehr, sondern fragen einfach die KI. Ihr Resümee: Dieser auch „Santa-Claus-Rallye“ genannte, positive Kursverlauf am Ende des Jahres sei einerseits typisch, andererseits nicht garantiert. So ähnlich hätte uns das auch unsere eigene menschliche Intuition nahegebracht und damit einigermaßen ratlos zurückgelassen.

Also doch ein Blick in die Statistik mit dem Disclaimer, dass Daten aus der Vergangenheit nicht einfach in die Zukunft extrapoliert werden dürfen. Beim S&P 500 verlief der Dezember seit 1950 zu 75 bis 80 Prozent positiv. Aber erstens bedeutet dies, dass mindestens 20 Prozent der Jahre eine Negativrendite einfuhren und zweitens, ist positiv das, was man sich unter eine Rallye vorstellt? Oder ist da auch Zuckeln auf der Landstraße mit dabei? Auch im Dax ist der Dezember statistisch einer der stärksten Monate, hier sind es aber sogar nur 70 Prozent der Jahre, in denen es aufwärts ging. 

Die Antreiber einer Rallye

Aber warum tendieren die Kurse gegen Jahresende eher zu positiven Kursverläufen? Gibt es Anzeichen, die die Richtung weisen? Eine gängige Erklärung ist das „Window Dressing“, mit dem Fondsmanager ihre Fonds zum Jahresende aufhübschen möchten, indem sie auf Gewinner-Aktien setzen und diese zusätzlich nach oben treiben. Schließlich hängen ihre Boni von der Performance ihrer Fonds ab, und wer will sich da schon lumpen lassen?

Außerdem sei die Stimmung zum Jahresende per se besser, vielleicht überträgt sich der vorweihnachtliche Kaufrausch auch auf Aktien? Gleichzeitig weilen aber viele Anleger schon im Jahresendurlaub, insofern bewegen sich die Kurse mangels Liquidität heftiger. Also wirklich verlässlich sind all diese Daten nicht und es kann jederzeit etwas dazwischenkommen, egal ob aus makro- oder mikroökonomischer Sicht.

Aufspringen, abwarten, verkaufen?

Nebenwerte profitieren statistisch gesehen sogar noch mehr als Blue Chips vom Jahresende, allerdings liegen auch sie nur zu 70 Prozent im positiven Bereich, der dafür statistisch gesehen heftiger ausfällt. Für Anleger gilt also: Es ist wahrscheinlicher, dass es am Jahresende bergauf als bergab geht, aber gewiss ist es nicht. Typisch Börse eben, könnte man daraus schließen. Was also tun? Soviel voraus, es mag kurzfristige Trading-Strategien geben, die eine Jahresendrallye ausnutzen, für Anleger mit langem Zeithorizont bieten sie sich jedoch nicht an. Vielmehr gilt es hier, zum Jahresende das Depot aufzuräumen und die höheren Kurse bestmöglich zu nutzen, um Ungleichgewichte auszutarieren, die sich im Laufe eines volatilen Börsenjahres zwangsläufig einstellen. Dann lassen sich die Märkte unaufgeregt beobachten und Rücksetzer für anderweitige Käufe nutzen – und die kommen spätestens im Februar. 

Dieser Artikel erschien zuerst im Nebenwerte Journal.

Manfred Schmid

Manfred Schmid ist Senior Speicalist Marktsteuerung und hat lange Zeit die Marktsteuerung an der Börse München geleitet, die er dort ab 2003 aufgebaut hat. Der gelernte Bankkaufmann und Sparkassenbetriebswirt begann als Wertpapierhändler der Bayerischen Landesbank und wechselte 1981 an die Frankfurter Börse. Von 1992 bis 2002 war er Börsenmakler an der Börse München. Manfred Schmid ist seit vierzig Jahren im Börsengeschäft an vorderster Front tätig und kam mit allen dort gehandelten Gattungen in Kontakt: Von der Aktie bis zum Terminkontrakt. Alle zwei Wochen ist er bei Börse am Donnerstag aktiv.