Ulrich Kirstein, Börse München

Hauptsache heiß

Das Damoklesschwert Zölle hängt über dem globalen Handel, denn der 9. Juli ist erneut Stichtag und die bange Frage treibt uns um, ob der Faden hält. Wobei, wer kann schon noch etwas mit Damokles und seinem Schwert anfangen, wenn ein weit verbreiteter Newsletter, ein Pionier der Nachrichtenübermittlung, diese Woche König Minos zum Vater von Ikarus erklärt?

Ulrich Kirstein / Bild: BBAG/Killius

Big and Beautiful

Kein Mythos ist, dass Donald Trump mit seinem OBBB-Steuer-Gesetz, dem „One Big Beautiful Bill Act“ ausreichend für Furore sorgt. Keinesfalls alle finden diese 900 Seiten (big) auch beautiful, so hat es (die) Bill nur knapp geschafft: „Repräsentantenhaus stimmt für Trumps Steuergesetz“, berichtet der Spiegel nüchtern. Ansonsten hat die Woche zumindest keine neuen Feuer geschürt, die Krisenherde köcheln weiter. Um nicht langweilig zu erscheinen, wettert der US-Präsident weiter gegen seinen Notenbankchef: „Trump lässt bei Powell nicht locker“, schreibt die Börsen-Zeitung. Gut, dass die Süddeutsche Zeitung alle Panikattacken herunterdimmt, die vor neuen Zöllen und den Folgen an den Märkten auftreten könnten: „Ein Crash 2.0 ist unwahrscheinlich“. Ein Crash 1.0 hätten wir aber auch nicht so gerne. 

Trotz Hitze – jetzt einsteigen

Quer über einen Haufen von 100-Euro-Scheinen motiviert uns Focus Money: „Wer jetzt kauft, macht alles richtig“. Die Redaktion erkennt „Kurschancen bis 40%“ und unterfüttert diese mit „Zinssenkungen, Zollhoffnung, Europa-Aufschwung“. Hier darf ein besonderer Hinweis nicht fehlen: Im Heft gibt es „Bayerische Spezialitäten“, nämlich das Mittelstandssegment m:access der Börse München, das 20 Jahre feiert. Da gibt es nicht Brezn und Weißwürste, sondern „verborgene Perlen“ für Anleger. Börse Online macht mit einer futuristischen Weltansicht auf, schließlich geht es im Heft um „5 Megatrends“, die, exakt berechnet, eine „Chance auf bis zu 46%“ gewähren. Außerdem rekurriert das Magazin auf den „Hitze-Sommer: Diese Aktien sind die Gewinner“. Da waren wir neugierig, uns schwebten Badeanzüge, Ventilatoren, Kühlschränke und Eisproduzenten vor. Tatsächlich ging es um den Kühlgeräte-Boom und viele weitere „heiße“ Chancen, die uns nicht kalt lassen sollten. Der Aktionär zeigt eine halbvolle Sanduhr und empfiehlt „Jetzt einsteigen“, was uns kurz irritierte, denn was wollen und sollen wir in einer Sanduhr? Es geht aber um die „Favoriten für das 2. Halbjahr“, denn „die Bullen rennen weiter – so sind 310 Prozent bis Jahresende drin“. Zuletzt macht uns die WirtschaftsWoche Mut, indem sie eine stark gebeutelte Branche puscht: „Das deutsche Autowunder“, titelt das aktuelle Heft und meint trotz des himmelblauen Hintergrundes kein blaues Wunder: Ein roter VW-Käfer schießt da nach oben, denn „Volkswagen, BMW und Mercedes heben beim autonomen Fahren endlich ab – technisch wie wirtschaftlich“. Wir hoffen aber nicht, dass sie auch tatsächlich abheben, was für die Fahrer eher unangenehme Folgen hätte.

Bei Hitze – jetzt aussteigen?

Ja, es ist heiß. Es ist Sommer. Die Sonne scheint. Schüler und Arbeitnehmer, Lehrer und Arbeitgeber schwitzen gleichermaßen. Aber was kann man dagegen tun, oder vielleicht besser gefragt, wie kann man der Hitze am besten begegnen? Der Schrei nach Hitzefrei wird laut, von der Tagesschau bis zum Bildungsportal NRW wird darüber fabuliert und informiert. Aber die Regeln sind in der Schule wie in Unternehmen streng – und das Home Office mit dem Badesee zu vertauschen, gilt nicht als statthaft. Die Welt macht „Deutschlands Inkompetenz bei Wetterrisiken“ aus, weil wir auf Vieles setzen, zum Beispiel ausreichend Trinken, aber nicht auf Klimaanlagen. Erst die Erfindung der Klimaanlage aber, so der Kommentar „Grüne gegen wirksamen Hitzeschutz“ von Axel Bojanowski, habe es möglich gemacht, dass Metropolen auf der Südhalbkugel entstanden. Laut WHO muss niemand wegen Hitze sterben, doch besonders gefährdet sind Arme und Menschen, die im Freien arbeiten müssen. Weshalb uns der Artikel mit dem schönen Satz konfrontiert, dass fehlender Hitzeschutz die Kälte einer Gesellschaft zeige. Im aktuellen „Hitzeschutzplan“ der Bundesregierung, noch von der alten erstellt, kommt das Wort Klimaanlage gar nicht vor – offensichtlich muss hier die Hitze geschützt werden. 

Ulrich Kirstein

Ulrich Kirstein ist Pressesprecher und Leiter Öffentlichkeitsarbeit der Börse München. Er ist seit 2010 bei der Börse beschäftigt, zuvor war der studierte Betriebswirt und Kunsthistoriker u.a. Redakteur und Chef vom Dienst einer überregionalen Wirtschaftszeitung sowie Ausstellungskurator in München. Er ist außerdem Co-Autor von Börse für Dummies, Aktien für Dummies und Börsenpsychologie simplified.