Dr. Klaus Bauknecht, IKB Deutsche Industriebank AG

EZB-Geldpolitik: Willkommene Zeit für Untätigkeit

Ein neutrales Zinsniveau erlaubt einer Notenbank eine gewisse Trägheit. Da die Geldpolitik weder restriktiv noch expansiv ausgerichtet ist, ergibt sich aktuell für die EZB nur bei unerwarteten und extremen Entwicklungen Handlungsbedarf. Die derzeitigen EZB-Inflationsprognosen – leicht unter dem Inflationsziel – rechtfertigen dies kaum. So sollte der Einlagenzins noch auf Sicht bei 2 Prozent verweilen; eine willkommene Entwicklung, um der europäischen Geldpolitik und damit der Zinskurve, etwas Stabilität zu verleihen. Die Unsicherheit bleibt aber hoch, und erste Zinserhöhungen Ende 2026 sind nicht völlig ausgeschlossen.

Dr. Klaus Bauknecht, IKB Deutsche Industriebank AG

Kein Handlungsdruck für die EZB

Seit der letzten Sitzung im September haben die Daten den geldpolitischen EZB-Kurs bestätigt. Die Realwirtschaft in der Euro-Zone zeigt sich robust, und Stimmungsindikatoren wie die PMI-Indizes verbessern sich stetig. Das Inflationsrisiko scheint ausgeglichen. Aufwärtsrisiken für Konjunktur und Inflation ergeben sich vor allem ab dem kommenden Jahr durch die Fiskalpolitik. Dem gegenüber stehen potenzielle Abwärtsrisiken – etwa durch eine mögliche Aufwertung des Euro oder eine Abkühlung der Weltwirtschaft. Vor diesem Hintergrund scheint sich die EZB bei einem neutralen Zinsniveau von 2 Prozent wohlzufühlen. Doch wie lange kann dies Bestand haben?

In der letzten Sitzung des Jahres im Dezember wird die EZB neue Prognosen vorstellen – erstmals mit einem Ausblick bis ins Jahr 2028. Wie gewohnt wird der Prognosepfad eine Konvergenz hin zum Inflationsziel signalisieren. Die Realität der letzten Jahre zeigte jedoch ein anderes Bild. Die tatsächliche Inflationsdynamik war durch teils deutliche Über- und Unterschreitungen geprägt, was wiederum einen volatilen Einlagenzins der EZB zur Folge hatte. Die EZB verweist in diesem Zusammenhang auf unvorhersehbare Krisen, die ihre Prognosegenauigkeit beeinträchtigen und ein Gegensteuern nötig macht. In Folge war jedoch beides volatil – Inflation und Zinsen.

Die September-Inflationsprognosen von 1,7 Prozent für 2026 und von 1,9 Prozent für 2027 haben hingegen keine geldpolitische Konsequenz. Nach den deutlichen Überschreitungen in den Jahren 2023 und 2024 wäre eine temporäre Unterschreitung des Inflationsziels sogar wünschenswert, um den Symmetriegedanken gerecht zu werden. Denn im Jahr 2025 wird die durchschnittliche Inflationsrate voraussichtlich bei 2,3 Prozent liegen – das fünfte Jahr in Folge über dem Zielwert.

Im Allgemeinen zu hohe Erwartungen an Notenbanken

Dass eine Notenbank in Krisenzeiten entscheidend handeln muss, ist unbestritten. Notenbanken wurden geschaffen, um in Krisenzeiten für Liquidität zu sorgen. Sie sollten jedoch nicht versuchen, die Wirtschaft feinzusteuern, denn der Transmissionsmechanismus der Geldpolitik wirkt mit Verzögerung und nur indirekt. So besteht die Gefahr einer pro-zyklischen Geldpolitik und somit einer Notenbank, die selbst zu einem destabilisierenden Faktor wird. Die Corona-Jahre lieferten hierfür ein Beispiel: Eine äußerst expansive Geldpolitik wirkte mit Verzögerung. Während das Euro-BIP entgegen den meisten Erwartungen bereits im Jahr 2021 das Vor-Corona-Niveau wieder erreichte, stieg die Inflation im Folgejahr auf 8,4 Prozent.

Der Gedanke einer Notenbank, die durch ihre Passivität einen Anker der Stabilität darstellt – wie es Milton Friedman propagierte –, ist jedoch in den letzten Jahrzehnten zunehmend in den Hintergrund gerückt. Stattdessen hat sich der Trend etabliert, Notenbanken immer mehr Macht zuzuschreiben, um Konjunktur sowie Finanzmärkte entscheidend zu beeinflussen bzw. zu stützen. Insbesondere unter Alan Greenspan veränderte sich die Rolle der Fed. So stützte diese unter seiner Führung regelmäßig Finanzmärkte. Auf die Fed war Verlass, die Zinsen bei Zweifel bzw. Verkaufsdruck auf den Börsen deutlich zu senken („Greenspan Put“). In der Folge ist es fast schon normal geworden, bei einer Konjunkturschwäche sofort an die Notenbank und Zinssenkungen zu denken. Eine Konjunkturabschwächungen wird als abnormal und als Folge einer passiven Geldpolitik angesehen. Von einer Notenbank wird also zunehmend etwas erwartet, was sie anhand ihres Mandats sowie des langen Transmissionsmechanismus nur schwer erreichen kann und was oftmals eher zu höherer als zu niedrigerer Volatilität führt. Schwierig wird es zudem – wie aktuell in den USA – wenn der Inflationsdruck steigt und sich gleichzeitig die Wirtschaft sich abkühlt.

Einschätzung und Ausblick – willkommene Stabilität in der Zinskurve

  • Eine Inflationsrate leicht über oder unter dem Ziel oder ein Wirtschaftswachstum mit geringer Abweichung zum Potenzialwachstum bieten bei einem neutralen Zinssatz von aktuell 2 Prozent kein Argument für geldpolitisches Handeln. Erst ein Schock wie z. B eine deutliche Aufwertung des Euro könnte eine weitere geldpolitische Lockerung rechtfertigen.
  • Auf Grundlage aktueller Inflations- und Wachstumsprognosen erwarten wir daher keine Zinsänderungen der EZB bis Mitte/Ende 2026. Dann könnte die Tendenz der EZB – auch infolge einer expansiven Fiskalpolitik – allerdings eher in Richtung höherer als niedrigerer Zinsen gehen.
  • Die erwartete Stabilität am kurzen Ende der Zinskurve sollte die Volatilität 10-jähriger Bundrenditen etwas reduzieren. Unsicherheit besteht allerdings über den weiteren Verlauf der US-Renditen bzw. der US-Geldpolitik.

Klaus Bauknecht

Dr. Klaus Bauknecht ist als Chefvolkswirt der IKB Deutsche Industriebank AG verantwortlich für die volkswirtschaftlichen Analysen, Prognosen und Einschätzungen der Bank. Er schreibt zu aktuellen und übergeordneten Konjunktur-, Volkswirtschafts- und Marktthemen. Zudem kommentiert er regelmäßig konjunkturelle Entwicklungen in renommierten Wirtschaftsmedien und ist mit seinen pointierten Präsentationen häufiger Gast bei Verbänden und Unternehmen.  Zuvor arbeitete Klaus Bauknecht in verschiedenen leitenden Positionen anderer Banken und im südafrikanischen Finanzministerium.

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