Euphorie ist auch nicht recht

Der Dax klettert unverdrossen Richtung 22.000 Punkte, obwohl die ökonomische und geopolitische Ausgangssituation keinesfalls so rosig erscheint. Was auch immer die Ursache für soviel Euphorie sein mag, sollte man ihr nicht blind vertrauen - genausowenig wie umgekehrt zu große Angst vor einer möglichen Gegenbewegung haben. Letzten Endes spielt sich Börse zwischen Gier und Panik ab.

Bild: Nvidia

Um nicht blind in eine Börsenfalle zu tappen, haben wir hier fünf Punkte zusammengestellt, die es in einer solchen Börsenstimmung zu beachten gilt. Um sie ein wenig merkfähiger zu gestalten, haben wir sie mit Zitaten aus der Literatur unterfüttert:

Trägt der Trend?

Gegen eine Dummheit, die gerade in Mode ist, kommt keine Klugheit auf - Theodor Fontane

Wird mit der KI oder AI (Artificial Intelligence) nur wieder eine neue, dafür selbstlaufende Sau durchs Dorf getrieben, nach Solarenergie, 3D-Druck, Cannabis etc.? Ebbt die Begeisterung bald wieder ab, ja verkehrt sich gar ins Gegenteil, zum Beispiel wenn ein chinesisches Start-Up die Laune verdirbt? Oder handelt es sich um einen nachhaltigen Trend, der wie das Internet oder das Smartphone, unser Arbeiten und (Sozial-)Verhalten dauerhaft ändert? Eines ist sicher, die Einsatzmöglichkeiten von KI reichen weit, es geht um sehr viel mehr als um autonomes Fahren, selbststeuernde Drohnen oder fertig komponierte Texte. Insofern werden mittel- und langfristig nicht nur Tech-Unternehmen, die sie direkt vorantreiben – Halbleiterproduzenten, Chiphersteller, Cloudanbieter, Softwareentwickler – davon profitieren, sondern auch jene, die sie zügig und vielschichtig anwenden. Überall dort, wo große Datenmengen schnell und intelligent verarbeitet werden müssen, von der Produktentwicklung über die Qualitätssicherung bis zu Marketing und Vertrieb, kann der Einsatz von KI die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen verbessern. Kein Wunder, dass viele Pharmaunternehmen auf der Suche nach neuen Wirkstoffen und Wirkstoffkombinationen längst und ganz unspektakulär auf KI zurückgreifen. Und, auch bei der KI scheint sich die Qualität der Anbieter doch erheblich zu unterscheiden…

Wer profitiert aktuell?

 Geld ist nichts. Aber viel Geld, das ist etwas anderes - George Bernard Shaw

Künstliche Intelligenz zu kreieren ist zeit- und kostenaufwändig, es muss mit riesigen Datenmengen in aufwendigen Rechenzentren mittels Hochleistungschips gearbeitet werden, insofern dominieren hier solvente Milliardenkonzerne und das zeigt sich auch in deren Aktienkursen. Bestes Beispiel ist der auf besonders leistungsfähige Halbleiter spezialisierte US-Konzern Nvidia, der Analysten immer von Neuem positiv überrascht. Der Börsenkurs kannte lange Zeit nur eine Richtung und die Marktkapitalisierung hat inzwischen die 3-Billionen-US-Dollarmarke überschritten. Eine kleine Anmerkung: Das ist mehr als das BIP des zweitgrößten EU-Landes Frankreich! Damit zählt das Unternehmen aus dem kalifornischen Santa Clara zum illustren Kreis der Tech-Riesen Apple, Microsoft, Alphabet, Amazon, Meta und Tesla. Und auch die kurzfristige Aufmerksamkeit, die DeepSeek gefunden hat, hat an dieser Konstellation nichts wesentlich geändert, nach dem kurzfristigen Einbruch zeigt der Kurs von Nvidia wieder nach oben.

Wachsam bleiben!

Denn die einen sind im Dunkeln / Und die andern sind im Licht. Und man siehet die im Lichte / Die im Dunkeln sieht man nicht - Bert Brecht

Die Partystimmung an der Börse wird im Prinzip von relativ wenigen Unternehmen getragen, daran haben wir uns fast schon gewöhnt, egal ob in US-Indizes oder im Dax. Im Gegensatz zu früheren Hypes, man erinnere nur an den Neuen Markt, sind das jedoch keine Luftnummern oder wackelige Start-ups mit großmäuligen Versprechen in die Zukunft und wenig Umsatz in der Gegenwart, sondern Milliarden-, ja Billionenschwere Konzerne mit reellen Umsätzen und Gewinnen. Sie haben deshalb die Kapitalkraft, um in KI zu investieren, ob aus eigener Forschung oder durch Zukäufe. Aber trotz allem, das muss nicht heißen, dass sie sich alle gleichermaßen positiv weiterentwickeln – es sind schon viele Giganten in der Vergangenheit gestürzt, auch künstliche Intelligenz kann irren. Deshalb gilt es abzuwägen, sich breit(er) aufzustellen und auch jene Unternehmen in die Überlegungen einzubeziehen, die sich im Windschatten der (medialen) Aufmerksamkeit bewegen, weil sie in Branchen unterwegs sind, die gerade nicht en vogue sind – und nicht selten ihre Anleger mit großzügigen Dividenden bedienen.

Gewinneraktien wiegen leicht

Es gehört oft mehr Mut dazu, seine Meinung zu ändern, als ihr treu zu bleiben - Christian Morgenstern

Wer jedoch bereits in die Glorreichen Sieben, wie diese Tech-Aktien gerne tituliert werden, investiert hat, der kann auf satte Gewinne zurückblicken. Doch seltsam, hohe Gewinne sind kein sanftes Ruhekissen. (Börsen-)Psychologisch stehen wir unseren Gewinneraktien sehr viel distanzierter gegenüber als unseren Verlustbringern. Wir lieben schwarze Schafe mehr als weiße Lämmer. Heißt im Klartext: Angesichts der stark gestiegenen Kurse neigen wir dazu, uns von diesen Aktien zu trennen und die Gewinne mitzunehmen, weshalb ja immer wieder Korrekturphasen an den Märkten eingetreten sind. „An Gewinnmitnahmen ist noch niemand gestorben“, heißt die (un)passende Börsenregel dazu, die jedoch einigermaßen sinnfrei ist. Wenn wir davon ausgehen, dass KI ein anhaltender Trend ist, gibt es wenig Ursache, sich von diesen Gewinneraktien vorzeitig zu trennen, außer man benötigt dringend liquide Mittel. Viel wichtiger wäre es, Aktien zu verkaufen, die latent Verluste verzeichnen. Die gibt es, selbst in Zeiten des permanenten Aufschwungs an den Börsen. Sie belasten das Depot auf Sicht und führen zu einer Unwucht, vor allem, wenn man sich von zu vielen Gewinneraktien trennt und gar noch bei den Verlustbringern nachkauft, weil sie „günstig“ erscheinen.

Bleibt nur die triviale Weisheit: Halten Sie an Ihrer Strategie fest, wenn sie sich bewährt hat, und ändern Sie sie, wenn sie in die Sackgasse führt, seien sie mutig, aber nicht übermütig.

Manfred Schmid

Manfred Schmid ist Senior Speicalist Marktsteuerung und hat lange Zeit die Marktsteuerung an der Börse München geleitet, die er dort ab 2003 aufgebaut hat. Der gelernte Bankkaufmann und Sparkassenbetriebswirt begann als Wertpapierhändler der Bayerischen Landesbank und wechselte 1981 an die Frankfurter Börse. Von 1992 bis 2002 war er Börsenmakler an der Börse München. Manfred Schmid ist seit vierzig Jahren im Börsengeschäft an vorderster Front tätig und kam mit allen dort gehandelten Gattungen in Kontakt: Von der Aktie bis zum Terminkontrakt. Alle zwei Wochen ist er bei Börse am Donnerstag aktiv.