Andreas Kraft, First Private Investment Management

Die Renaissance europäischer Dividendenwerte ist keine zyklische Marktkorrektur

Donald Trumps zweite Amtszeit als US-Präsident wirkt sich spürbar auf die Märkte aus. Seine aggressive Handelspolitik und die zunehmende Isolation der USA haben Europa gestärkt. Länder wie China und Kanada suchen verstärkt neue Abkommen mit dem Kontinent, während der US-Dollar merklich an Stärke eingebüßt hat. Die Schwäche des Greenbacks verleiht europäischen Aktien und dem Euro Rückenwind.

Andreas Kraft, First Private

Gleichzeitig sehen wir in Europa massive staatliche Investitionsprogramme, die an den Marshall-Plan erinnern. Die Staatsausgaben liegen deutlich über dem Niveau der USA – ein entscheidender Faktor für die positive Entwicklung europäischer Aktien. Während die Vereinigten Staaten jahrzehntelang von höherer Staatsverschuldung profitiert haben, beginnt sich das Blatt nun zu wenden.

Neue Ära für Dividendenstrategien

Das sich wandelnde Marktumfeld erfordert eine Neubewertung traditioneller Dividendenstrategien. Anstatt blind auf die höchsten Ausschüttungsrenditen zu setzen, sollte zwischen zwei Segmenten unterschieden werden: dynamische Dividendenwachstumstitel und etablierte, stabile Dividendenzahler. Das erste Segment umfasst Titel mit noch geringen Dividendenrenditen, die aber sehr dynamisch gesteigert werden können. Solche Unternehmen befinden sich oft in der Wachstumsphase und reinvestieren einen Großteil ihrer Gewinne, können mittelfristig aber attraktive Dividendensteigerungen bieten. Der zweite Teilbereich sind Aktien mit bereits attraktiven Dividendenrenditen. Diese Unternehmen sind seit vielen Jahren mit stabilen Geschäftsmodellen etabliert und setzen ihre Dividendenzahlungen auch in Schwächephasen nicht aus.

Einen entscheidenden Faktor bei der Wahl liefert die Cashflow-Analyse: Dividenden sollten aus operativen Cashflows stammen und nicht aus der Substanz. Unternehmen mit optisch sehr hohen Dividendenrenditen von zehn Prozent oder mehr haben meist fundamentale Probleme. Der Markt antizipiert hier bereits Dividendenkürzungen oder -ausfälle. In der Regel haben diese Firmen längst jeden Spielraum in der Bilanz ausgenutzt – ein starkes Warnsignal.

Auch Aktienrückkäufe als alternative Ausschüttungsform sind von Investoren zu berücksichtigen. Letztendlich ist es dasselbe, ob eine Firma eine zu versteuernde Dividende zahlt oder die Zahl der Aktien reduziert und damit zu steuerlich günstigeren Bedingungen Mehrwert schafft. Gerade im Wachstumsbereich bieten Rückkäufe größere Flexibilität, da Unternehmen bei großen Investitionsprojekten Dividendenzahlungen nicht unterbrechen oder kürzen müssten.

Zinswende als Katalysator

Nach dem starken Inflationsanstieg und den massiven fiskalischen Maßnahmen der Pandemiejahre normalisiert sich das Marktumfeld allmählich. Dies kommt Dividendenstrategien in mehrfacher Hinsicht zugute. Erstens werden alternative Anlagen wie Festgeld oder Tagesgeld bei sinkenden Zinsen weniger attraktiv, sodass Kapital wieder in Aktien fließt. Zweitens profitieren viele dividendenstarke Unternehmen von der entspannteren Zinssituation, da ihre oft höheren Verschuldungsgrade eine geringere Belastung darstellen. Drittens steigen die Bewertungen von Dividendentiteln, da deren Ausschüttungen im Vergleich zu risikolosen Zinserträgen wieder attraktiver werden.

Dividendentitel weisen typischerweise ein geringeres Beta und in volatilen Marktphasen einen defensiveren Charakter auf. Dies ist besonders relevant, da die Märkte nach der extremen Liquiditätsschwemme der vergangenen Jahre eine Konsolidierungsphase durchlaufen. Die größte Herausforderung der letzten Dekade war das extreme Auseinanderdriften von Value- und Growth-Titeln. Dabei standen Dividendenwerte als Value-nahe-Aktien unter Druck. Diese Schere könnte sich nun schließen.

Historisch betrachtet zeigen sich die positiven Effekte von Zinssenkungszyklen auf Dividendenwerte oft mit zeitlicher Verzögerung. Während Wachstumstitel meist die unmittelbaren Gewinner sind, profitieren etablierte Dividendenzahler mittelfristig von der verbesserten Refinanzierungssituation. Die Sonderkonjunktur für Wachstumsaktien scheint nun abzuflachen, wodurch Dividendenstrategien wieder in den Fokus rücken könnten.

Welche Sektoren Chancen bieten

Für Dividendeninvestoren sind derzeit drei Sektoren besonders attraktiv: Banken, Versicherungen und Versorger. Im Finanzsektor profitieren Banken von der aktuellen Zinssituation – auch wenn die Zinsen fallen. Eine steile Zinskurve begünstigt das Bankgeschäft nachhaltig. Versicherungen gelten historisch als verlässliche Dividendenzahler und bieten aktuell attraktive Bewertungen. Versorger als klassische Dividendentitel mit stabilen und gut kalkulierbaren Geschäftsmodellen profitieren zusätzlich vom Trend zum Ausbau der Infrastruktur und der Energiewende. Diese Unternehmen eignen sich ideal für ein defensiv ausgerichtetes Portfolio und wirken in volatilen Marktphasen stabilisierend.

Rückenwind für europäische Dividendenwerte

Die Renaissance europäischer Dividendenwerte ist keine zyklische Marktkorrektur. Sie spiegelt fundamentale Verschiebungen im globalen Wirtschaftsgefüge wider: die relative Schwächung der USA, die neue Investitionsdynamik Europas und die Normalisierung der Zinspolitik. Ein bewusster Fokus auf die Eurozone bietet regionale Homogenität, die bei globalen Fonds oft fehlt. In Deutschland und Frankreich gibt es zahlreiche investierbare Titel mit attraktiven Dividendenaussichten.

Hier können Investoren von attraktiven Chancen profitieren – vorausgesetzt, sie verfolgen eine disziplinierte Strategie. Anstatt auf kurzfristige Renditeversprechen zu setzen, sollten sie nachhaltige Geschäftsmodelle mit stabilen Cashflows suchen. Der erfolgversprechendste Ansatz ist dabei eine Kombination aus quantitativen Analysen und bewährten fundamentalen Prinzipien.“

Andreas Kraft

Andreas Kraft ist Senior Portfolio Manager bei First Private. Als unabhängige, technologieaffine Investment-Boutique fokussiert sich First Private auf das regelbasierte, quantitative Management von Aktien und Liquid Alternatives auf Basis modernster Methoden wie etwa Künstlicher Intelligenz. Die FP Gruppe bietet unter den Marken First Private Investment Management und re:cap global investors ag spezialisierte Asset Management Leistungen in den Segmenten Aktien, Multi Asset & Alternatives. Die Gruppe verwaltet schwerpunktmäßig in der DACH-Region ein Volumen von 3,3 Milliarden Euro (Stand 30. Juni 2025) für institutionelle und private Anleger.