Deutschland befindet sich vor einem konjunkturellen Turnaround
Politik überschattet Fundamentales
Wie interpretieren wir Daten, wenn Politik nicht mehr die vielzitierten kurzen Beine hat, sondern zur Monstranz heranwächst? Angesichts erratischer, teils disruptiver Entscheidungen der Trump-Administration stellt sich die Frage nach der Relevanz von Fundamentaldaten und den Konsequenzen für die Portfolioallokation mehr denn je. Die selbstbewusstere europäische Union rückt stärker in den Fokus – nicht zuletzt, weil seismische Verschiebungen in geostrategischen Fragen und in der Handelspolitik die Investitionsperspektive auf den Kontinent verändert haben. Die Kernfrage für die globalen Finanzmärkte wird sich aber nicht ohne die USA beantworten lassen: Wie verlässlich ist Politik und wie sehr untergräbt sie die fest verankerte DNA des globalen Freihandels?
Ich mach‘ mir die Welt
Zölle sollen das Land reich machen, ohne die eigene Bevölkerung zu belasten, und gleichzeitig als außenpolitisches Druckmittel dienen. Die Sehnsucht Donald Trumps nach einer aus US-Perspektive perfekten Welt, die nicht zufällig an den Merkantilismus des Sonnenkönigs Ludwigs XIV. erinnert, wird am Ende vielleicht in guten oder weniger guten ‚Deals‘ münden. Trump träumt von der Quadratur des Kreises – und strebt nach soliden, durch Zolleinnahmen finanzierte Staa-tsfinanzen, setzt gleichzeitig mit der ‚big beautiful bill‘ massive Steuersenkungen durch und hätte gerne noch sehr niedrige Zinsen. Die US-Verschuldung liegt bereits bei 36 Billionen US-Dollar und das geplante Steuerpaket wird weitere 3,3 Billionen Dollar an Verbindlichkeiten aufbauen. Die Zinslast wird dabei besonders prekär. Bis 2026 müssen 9 Billionen Dollar umgeschuldet werden – und das zu deutlich höheren Zinsen. Zölle werden aller Voraussicht nach nicht ansatzweise die Lücken schließen. Statt einst propagierter 400-600 Milliarden Euro Einnahmen gelten Werte um 100 Milliarden Euro als realistischer. Es müssen diverse Zweitrundeneffekte und Rückkopplungen berücksichtigt werden – eine komplizierte Rechnung.
Das ‚Mobile‘ hängt schief, aber es hängt
Ein Zoll-Durchmarsch nach dem merkantilistischen Vorbild des 17. Jahrhunderts ist unwahrscheinlich. Vielmehr ist ein Fortbestand des Freihandels mit insgesamt höheren Basiszöllen zu erwarten. Denn eins hat das ‚Schurkenstück‘ des US-Handelsministeriums gezeigt: Viel hilft nicht immer viel, sondern kann schnell Vertrauen zerstören und das für die Finanzmärkte so wichtige, sensible ‚Mobile‘, das bewegliche Kräftegleichgewicht der Wirtschaftsmächte, zum Einsturz bringen. Und ja, ein wichtiges Regulativ sind dabei die vielgepriesenen, aber zuletzt brüchigen ‚Checks and Balances‘ der US-Politik. Ein viel schärferes Schwert von zentraler Bedeutung sind aber die US-Staatsanleihen.
US-Staatsanleihen als entscheidendes Regulativ
Die amerikanischen Zinslasten sind mittlerweile so hoch, dass sie die Verteidigungsausgaben übersteigen – ein historischer Marker für die Verletzlichkeit eines Staates. Ein abrupter Vertrauensverlust bei US-Treasuries könnten fatale Folgen haben – nicht nur für die USA, sondern für das gesamte Finanzsystem. Donald Trump und der elitäre Teil seiner Anhängerschaft haben sicher andere Ziele. Zu viele Vermögen – und auch Pensionsvermögen – stehen auf dem Spiel. Japanische Anleger, lange Zeit bedeutende Käufer von US-Papieren, wenden sich aufgrund gestiegener heimischer Zinsen vermehrt ihrem Heimatmarkt zu. Ähnliches gilt für China, das bereits seit 2022 erheblich US-Treasuries abgebaut hat. Bislang gelang es den USA, Auktionslücken zu schließen, der Druck bleibt jedoch hoch. US-Staatsanleihen werden den Spielraum der US-Administration dauerhaft einhegen und regulieren.
Unternehmen und Verbraucher – USA verlieren an relativer Stärke
Die Stimmung bei US-Verbrauchern und kleinen Unternehmen ist aufgrund von Zöllen, hohen Zinsen und des schwachen Dollars eingetrübt. Ersparnisse, die während der Pandemie aufgebaut wurden, sind weitgehend aufgebraucht, während die Unternehmensinvestitionen stagnieren und Frühindikatoren zunehmend Schwäche signalisieren. Der richtungsweisende US-Arbeitsmarkt sendet zunehmend schwächere Signale. Die als Rezessionsindikator meist verlässliche US-Zinskurve deutet auf eine milde, möglicherweise nur kurzzeitige Rezession in den USA hin. Milde, weil der Euro schwach bleibt, die Energiepreise sinken, die Fiskalpolitik expansiv bleibt und die Fed voraussichtlich im Spätsommer die Zinsen senken wird.
Europa profitiert von Geldpolitik
Europa kann auf etwas bauen, das widersprüchlich klingt: auf die ohnehin schon extrem schlechte Stimmung. Je niedriger die Basis, desto höher das Potenzial. Und: Die EZB liefert, was die USA derzeit nicht können – eine flankierende Geldpolitik mit sinkenden Zinsen. Geringes Lohnwachstum und Inflation, aber auch der restriktiv wirkende Euro-Anstieg geben der Notenbank Spielraum. Gleichzeitig zeigt sich das europäische Bankensystem robuster denn je. Deutschland als wirtschaftliches Schwergewicht der Eurozone befindet sich nach Jahren der Schwäche vor einem konjunkturellen Turnaround. Stimmungsindikatoren wie das Ifo-Geschäftsklima zeigen seit Monaten steigende Erwartungen. Infrastrukturprogramme, sinkende Zinsen und expansive Ausgaben geben weiteren Rückenwind.
Einbahnstraße europäische Aktien?
Die langjährige Outperformance von US-Aktien gegenüber europäischen Titeln wurde vor diesem Hintergrund auf die seit langem härteste Probe gestellt. Und es ist nicht unwahrscheinlich, dass neben den Makro-Aspekten auch das veränderte Konsumverhalten ‚buy local, buy European‘ zu einer Renaissance europäischer Märkte führt. Die lange Phase der US-Outperformance basierte allerdings wesentlich auf einem Produktivitätsvorsprung, gestützt durch jahrzehntelang hohe Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen, besserem Zugang zu Venture Capital und flexiblen Arbeitsmärkten. Höhere US-Zölle kosten das Land jetzt womöglich überproportional Effizienz und könnten einen strukturellen Wandel einleiten. Aber der langfristige Verlust des Produktivitätsvorteils ist längst nicht ausgemacht. Daher gilt: Mehr Fokus auf Europa, aber auf die richtigen Branchen und Titel. Simpel von einer Outperformance europäischer Indizes auszugehen, wäre zu schnell gesprungen. Auch weil die größten globalen Kapitalsammelstellen längst nicht die Entscheidung für eine strukturelle Reallokation getroffen haben.
Aktien und Anleihen hoch korreliert – klassische Mischfonds reichen nicht
Vieles spricht zyklisch und bewertungstechnisch für stagnierende oder nur leicht positive Erträge des S&P 500 auf die kommenden 12 Monate. Zwar kann der Bullenmarkt einfach weiterlaufen, weil er läuft. Die Volatilität wird aber tendenziell schlechter bezahlt. Gleichzeitig ist eine hohe Korrelation zwischen Aktien und Renten zu beobachten, was klassische Mischportfolios immer weniger attraktiv erscheinen lässt – US-Staatsanleihen sind ein unsicherer Kantonist für Gefahrenabsicherung geworden. Neben Staatsanleihen werden Liquid Alternatives als Satellitenbausteine dringend benötigt, um Portfolios wetterfest zu machen.