Yeu Huan Lai, Nikko AM

ASEAN-Märkte mit Potenzial

Ein Großteil der Welt plagt sich mit den Auswirkungen der zweiten Amtszeit von Donald Trump. Die ASEAN-Länder können dagegen noch viel gewinnen, vor allem, wenn sie den Drahtseilakt zwischen den USA und China meistern. denn trotz der wachsenden Spannungen sind sie nicht gezwungen, sich für eine der beiden Seiten zu entscheiden.

Yeu Huan Lai, Nikko Asset Management

Neue Lieferketten führen durch ASEAN

Viele der Trends, die heute den Welthandel prägen, begannen während Trumps ersten Amtszeit. Das gilt insbesondere für die Verlagerung von Lieferketten. Der Handelskrieg mit China und die Corona-Pandemie haben die Risiken von „Just-in-Time“-Lieferketten deutlich gemacht. Seitdem diversifizieren Unternehmen ihre Produktion – und dürften das auch weiterhin tun. Daraus ergeben sich Chancen für die ASEAN-Länder.

Viele davon sind als Fertigungsstandorte längst glaubwürdige Alternativen zu China. Die Nähe Vietnams zu Shenzhen beispielsweise macht das Land zu einem geeigneten Produktionszentrum. Malaysia verfügt über langjährige Technologie-Ökosysteme, von denen einige sogar älter sind als Chinas Aufstieg zum Produktionsstandort. Und über die China-plus-eins-Strategie hinaus erwägen Unternehmen einen „Taiwan-plus-eins“-Ansatz, um weltpolitische Risiken breiter abzufedern.

Rückverlagerung von Fertigung in die USA? ASEAN wird profitieren!

Eine Rückverlagerung der Fertigung in die USA ist aufgrund von Infrastrukturengpässen und Kostenunterschieden nur in hochwertigen Sektoren wie Halbleiter oder Elektrofahrzeuge realistisch. Der Großteil der Produktion wird weiterhin nach den kostengünstigsten Standorten suchen. Wenn ASEAN einen Zollvorteil gegenüber China genießt, könnte es noch mehr Investitionen anziehen und seine Rolle als wichtiges Produktionszentrum stärken. Wird auch nur ein Bruchteil der chinesischen Produktion in die ASEAN-Region verlagert, sind die positiven Auswirkungen dort erheblich.

Inflation und Zinsen wirken uneinheitlich auf ASEAN

Trumps zweite Amtszeit bringt neben Zöllen und Handelskriegen auch neue Ungewissheit, was Inflation und Zinsen angeht. Seit Ende 2024 werden fürs laufende Jahr nicht mehr mit mehreren Zinssenkungen gerechnet. Ein „höher für länger“-Zinsumfeld wird sich positiv auf diejenigen ASEAN-Volkswirtschaften auswirken, die weniger auf externe Finanzierungen angewiesen sind. Ein Beispiel ist Singapur mit seinem gewichtigen Bankensektor. Indonesien, die Philippinen und Vietnam sind mit ihren hohen Dollar-Schulden dagegen anfälliger für höhere Zinsen.

Möglicherweise fällt jedoch ein restriktiveres Zinsumfeld weniger ins Gewicht als befürchtet. Nicht alle Maßnahmen der Trump-Regierung wirken inflationär – ein Ende des Kriegs in der Ukraine und drastische Kürzungen der Staatsausgaben könnten disinflationär wirken. Sollte der Zinsdruck nachlassen, könnte sich die Underperformance der extern finanzierten ASEAN-Volkswirtschaften umkehren, während Singapur underperformen würde. Die Lage ist unbeständig und kann sich sehr schnell verändern.

Balanceakt zwischen den USA und China

Sich in der komplexen Beziehung zwischen den USA und China zurechtzufinden, ist nichts Neues für die ASEAN-Staaten. Sie dürften trotz wachsender Spannungen nicht gezwungen sein, sich für eine Seite zu entscheiden. Stattdessen ist Pragmatismus und Abstimmung mit beiden Mächten gefragt. Beispiel Singapur: Das Land hat stärkere Produktions- und Handelsbeziehungen zu China; die Finanzdienstleistungs- und Technologiesektoren pflegen dagegen engere Verbindungen zu den USA. Für die ASEAN-Region ist das nicht untypisch. Vietnam hat eine lange Geschichte des geschickten Umgangs mit den Großmächten zum eigenen Vorteil. Malaysia, Indonesien und Thailand verfolgen ihre Interessen, ohne sich vollständig dem einen oder anderen Block zu verpflichten. Ausnahmen sind Laos und Kambodscha, die weitaus stärker von China abhängig sind. Für alle Länder der Region gilt: Wer den Drahtseilakt meistert, ist im Vorteil.

Yeu Huan Lai

Yeu Huan Lai ist Co- Joint Head Asian Equity bei Nikko Asset Management. Mit einem verwalteten Vermögen von 229,1 Milliarden US-Dollar (Stand 30. Juni 2024) ist Nikko Asset Management (Nikko AM) einer der größten Vermögensverwalter in Asien. Nikko AM ist seit 1959 in Asien ansässig. Mitsamt seiner Tochtergesellschaften beschäftigt das Unternehmen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit rund 30 Nationalitäten, darunter rund 200 Investmentexperten. Mit Tochtergesellschaften und angeschlossenen Unternehmen ist Nikko AM in 11 Ländern und Regionen präsent. Weltweit vertreiben mehr als 400 Banken, Broker, Vermögensberater und Lebensversicherer die Produkte von Nikko AM.