Mögliche Konjunktureintrübung: Hat die EZB alles richtig gemacht?

Dr. Klaus Bauknecht, IKB Bank
Dr. Klaus Bauknecht /Bild: IKB Bank
Nach einem guten Jahr für die deutsche und die globale Wirtschaft scheint sich die Konjunktur perspektivisch wieder einzutrüben. Frühindikatoren wie die PMIs in der Euro-Zone und China oder der ifo Index in Deutschland signalisieren eine mögliche Wachstumsdelle vor allem im zweiten Quartal 2018. Noch deuten alle Indikatoren auf weiteres Wachstum hin. Doch geopolitische Risiken und ein möglicherweise eskalierender Handelsstreit belasten mehr und mehr den Ausblick und führen zu ersten Revisionen bei Wachstumsprognosen. Doch trotz der veränderten Indikatorwerte ist es deutlich verfrüht, von einer bedeutenden Verlangsamung insbesondere beim Wachstum der weiterhin gleichlaufenden Weltwirtschaft in diesem Jahr zu sprechen. Zwar erwartet die IKB für 2018 eine moderate Wachstumsverlangsamung in wichtigen Volkswirtschaften der EuroZone und in China. Dennoch ergibt sich dank der Bedeutung Chinas für die Weltwirtschaft und seines weiterhin deutlich höheren Wachstums ein weiterhin positiver Ausblick. In diesem Umfeld sollten bedeutende Notenbanken wie EZB und Fed grundsätzlich weiterhin den Raum für eine graduelle Wende in ihrer Geldpolitik bzw. weitere Zinsanhebungen finden. Eine Abkehr der EZB von negativen Zinsen im Jahr 2019 bleibt weiterhin plausibel.

Es kommt eine vorsichtige und anhaltende geldpolitische Wende

Jüngste Aussagen von EZB-Ratsmitgliedern bestätigen die Erwartung einer moderaten, vorsichtigen und anhaltenden Wende in der geldpolitischen Ausrichtung der EZB. Auch wenn diese Aussagen keine geldpolitische Entscheidung darstellen, so haben sie dennoch Relevanz – besonders vor EZB-Sitzungen; denn diese Kommentare sind Teil der EZB-Kommunikationsstrategie, um die Reaktion der Finanzmärkte auf geldpolitische Veränderungen zu testen und die Märkte entsprechend vorzubereiten. Aktuell betrifft das vor allem die Frage, ob das Aufkaufprogramm im September bzw. bis Ende 2018 auslaufen wird. Zwar wird eine offizielle Ankündigung erst Mitte 2018 erwartet, doch vor Juni gibt es nur noch die Sitzung in der nächsten Woche. So ist die EZB gut beraten, die Märkte im Vorfeld und in der April-Sitzung weiter auf die geldpolitische Wende vorzubereiten.

Hat die EZB den optimalen Zeitpunkt für eine geldpolitische Wende bereits überschritten?

Allerdings vermuten erste Kommentatoren bereits, dass die EZB wegen der Eintrübung der europäischen Konjunkturindikatoren die geldpolitische Wende verzögert. Einige Kritiker der EZB-Politik fühlen sich in ihrer Einschätzung bestätigt, die europäische Notenbank hätte ihre geldpolitische Wende schon längst umsetzen müssen. Denn der Raum für eine Normalisierung der Geldpolitik durch die EZB mag sich schon wieder einengen. Hat also die EZB den optimalen Zeitpunkt einer geldpolitischen Wende bereits überschritten, was ihren Einfluss auf die Konjunktur vor allem im Falle eines erneuten deutlichen Abschwungs in Frage stellen könnte? Anders gesagt: Ist die Chance vertan, die Zinsen ausreichend anzuheben, sodass die EZB bei einer möglichen Konjunkturabkühlung weiter handlungsfähig ist?
 
Diese Argumentation ist nicht schlüssig. Denn nimmt die Wahrscheinlichkeit einer perspektivischen Wachstumsverlangsamung zu, ist eine geldpolitische Straffung kontraproduktiv. Es mag argumentiert werden, rückblickend sei im Erfolgsjahr 2017 mehr Raum für eine geldpolitische Wende gewesen, als Anfang 2017 erwartet worden war; doch die Unsicherheit über den Konjunkturverlauf bzw. mögliche negative Konsequenzen einer Fehleinschätzung stehen in keinem Verhältnis zu möglichen negativen Folgen einer sich etwas länger hinziehenden geldpolitischen Wende.
 
So mag die Anwendung der Taylor-Regel schon länger auf die Notwendigkeit eines höheren Zinsniveaus deuten. Doch würde die Euro-Zone heute besser dastehen, wenn die Zinsen deutlich höher (zwischen 1 Prozent und 2 Prozent) sein würden? Dies wäre nur dann der Fall, wenn die EZB-Geldpolitik bedeutende Wachstums- wie Inflationsrisiken verursacht hätte. Das ist jedoch nicht der Fall. Denn weder ist ein Investitionsboom auszumachen, noch eine überschüssige Geldmengenausweitung in der Realwirtschaft. Weiterhin und trotz einer konjunkturellen Erholung über mehrere Jahre gibt es immer noch kein Indiz für eine anziehende Inflationsdynamik bzw. eine zu expansive Geldpolitik.
              

Kein bedeutender Inflationsanstieg

Im Gegenteil, die Inflationszahlen für März haben wieder einmal enttäuscht. So verharrte die Kerninflationsrate in der EuroZone bei ca. 1 Prozent und die gesamte Inflationsrate betrug nach Schätzungen 1,4 Prozent Prognosen für das aktuelle Jahr, die eine durchschnittliche Inflationsrate von knapp unter 1,5 Prozent angedeutet haben, bleiben weiterhin plausibel. Aber mit Lohnkosten, die in der Euro-Zone weiterhin bei einem Zuwachs von nur um die 1 Prozent verharren, und einem Geldmengenwachstum, das kaum Raum für eine unkontrollierte Preiseskalation lässt, ist auch mittelfristig mit keinem bedeutenden Inflationsanstieg zu rechnen. Dies sieht der Kapitalmarkt ähnlich. Bundrenditen sind nach ihrem Hoch von über 0,7 Prozent im Februar auf inzwischen unter
0,5 Prozent gesunken.
 
 

EZB handelt richtig

Sollte sich die konjunkturelle Eintrübung bestätigen, so ist dies ein Argument für eine anhaltend unterstützende Geldpolitik und kein Indiz für eine verpasste Gelegenheit, die Zinsen anzuheben. Geldpolitik ist nicht dazu da, Zinsen auf einem „normalen“ Niveau zu halten oder anzuheben, sondern um Wachstum unter Berücksichtigung der Finanzstabilität zu garantieren. Auch passen sich die Prioritäten der Notenbanken richtigerweise verändernden Herausforderungen und Umständen an. So wurden Notenbanken in ersten Linie gegründet, um für eine ausreichende Liquidität zu sorgen – etwas, für das die EZB trotz hoher Schuldenquoten und anhaltend schwacher Binnennachfrage in der Euro-Zone immer wieder kritisiert wird. Die angekündigten Probleme der anhaltend expansiven Geldpolitik sind allerdings, wie oben beschrieben, bis dato ausgeblieben. Im Gegenteil: die EZB hat den Handlungsspielraum der Fiskalpolitik gestärkt, die Schuldentragfähigkeit der Staaten gesichert und somit die Euro-Zone für die Herausforderungen einer möglichen Konjunktureintrübung deutlich gestärkt.

Fazit: Die EZB ist noch nicht ganz am Ziel

Die aktuelle Eintrübung bei den Konjunkturindikatoren zeigt: die EZB ist mit ihrer expansiven Geldpolitik noch nicht am Ziel. Ähnliches deutet die aktuelle Inflationsdynamik in der Euro-Zone an.
Das sind aber keine Indizien dafür, dass die Notenbank kein nachhaltiges Wachstum schaffen kann oder ihre Einflussmöglichkeiten ausgereizt sind. Denn die EZB hat den Handlungsspielraum der Fiskalpolitik maßgeblich gestärkt, während oftmals prognostizierte Probleme wie starke Inflation, exzessive Geldmengenausweitung und Über- bzw. Fehlinvestitionen bis dato ausgeblieben sind.
Deshalb bestätigt eine möglicherweise nachlassende Konjunktur eher die graduelle Wende in der Geldpolitik, als dass sie für eine verpasste Chance auf dem Weg zu einer Normalisierung spricht. Raum für eine Beendung des Aufkaufprogramms in diesem Jahr sollte die EZB dennoch finden. Alles weitere muss bis mindestens 2019 warten.
 
Dr. Klaus Bauknecht ist als Chefvolkswirt der IKB Deutsche Industriebank AG verantwortlich für die volkswirtschaftlichen Analysen, Prognosen und Einschätzungen der Bank. Zudem lehrt der promovierte Volkswirtschaftler an der Nelson Mandela University in Südafrika. Zuvor arbeitete er in verschiedenen leitenden Positionen anderer Banken und im südafrikanischen Finanzministerium. Er schreibt zu aktuellen und übergeordneten Konjunktur-, Volkswirtschafts- und Marktthemen.