Der elfte Teil unseres Exkurses zur Börsenpsychologie behandelt ein Thema, das viele Anleger zu wenig hinterfragen: Das Nachkaufen. Fällt eine Aktie, verkaufen wir sie nicht, was oftmals angebracht wäre, sondern ganz im Gegenteil, wir schlagen zu und kaufen nach. Warum? Wir senken damit unseren Einstandspreis, jetzt muss die Aktie gar nicht mehr so hoch steigen, damit wir einigermaßen ungeschoren aus unserem Engagement herauskommen. Doch stimmt das überhaupt?
Ganz generell liegt es in unserer mit
Geld wenig kompatiblen Natur, dass wir viel lange an Verlustbringern
festhalten und uns viel zu schnell von Gewinneraktien trennen – statt
umgekehrt. Warum, wieso, weshalb zeigen Ihnen zum Beispiel die
Börsenfallen
Harmonie macht süchtig und
Mein Ego ist mir heilig.
Verluste werden als persönliches Scheitern empfunden und wir haben eine
ausgeprägte Disposition, dies verhindern zu wollen. Das Nachkaufen ist
eine gern gewählte Option, um mit einem blauen Auge aus einer Position
wieder heraus zu kommen.
Nachkaufen macht wenig Freude
Der typische Fall sieht so aus: Wir haben eine Aktie zu 100 Euro erworben, weil sie sich im Aufwind bewegte, weil viel darüber geschrieben und ein entsprechender Wirbel, gerne auch in den sozialen Medien, veranstaltet worden war. Doch kaum hatten wir unser Depot mit dem wertvollen Papier bestückt, begann die Reise nach unten. Wir mussten also schmerzliche Verluste hinnehmen und beschließen, dass unser Papier jetzt doch eigentlich zum Schnäppchenpreis von 70 Euro viel zu schnell gefallen ist und kaufen nach. Damit hat sich der Durchschnittspreis auf 85 Euro verringert. Der Antrieb für unser Nachkaufen ist meist nur noch das Verhindern des Scheiterns und nicht mehr die neutrale Beurteilung der unternehmerischen Entwicklung des betreffenden Unternehmens in der Zukunft. Wir haben jegliche Objektivität verloren und setzen nur noch auf das Prinzip Hoffnung. Verläuft die Kursentwicklung der Aktie weiter südwärts, hat diese Position aufgrund der höheren Gewichtung in unserem Depot nun die Kraft, die Gesamtperformance unseres Depots in Mitleidenschaft zu ziehen. Erholt sich das Wertpapier wieder in Richtung unseres durchschnittlichen Einstandskurses, wird in der Regel verkauft, denn die Möglichkeit, mit einer schwarzen/roten Null der zwischenzeitlichen, schmerzvollen Erfahrung eines Verlustes entfliehen zu können, wird als Sieg empfunden. Und wer verbucht Siege nicht gern auf dem Konto »Können«.
Nachkaufen raubt Ihnen den Schlaf
Dies ist der Grund, weshalb viele Anleger die »Kunst des Nachkaufens« sogar zur festen Regel machen. Man sollte jedoch niemals außer Acht lassen, dass die Zusammenstellung des Depots – neudeutsch die Depot-Allokation – in gefährlicher Weise verschoben wird. Geradezu existenzbedrohend für das Depot kann es werden, wenn der Kurs der Aktie weiter sinkt und wir das Nachkaufen nicht lassen können und auch zu Kursen bei 60 Euro und darunter weiter Pyramiden dieses Wertpapieres bauen. Häufig werden dann auch noch die Gewinneraktien verkauft, um wieder Munition für das »Nachkauf-Schlachtfeld« zu haben. Spätestens dann kommt die Sicherheit bringende Diversifikation auf die schiefe Bahn. Was wäre passiert, wenn sie mit der Methode des exzessiven Nachkaufens in der Telekom, in deutschen Solarwerten oder gar bei Wirecard aktiv gewesen wären? Vorsicht auch bei Meme-Aktien wie Gamestop, die immer wieder nach oben gepusht werden.
- Bei Aktien gilt konsequent die Regel: Würde ich die Aktie zu diesem Preis auch kaufen, wenn ich sie nicht schon im Depot hätte?
- Und für das Depot insgesamt gilt konsequent das Mantra: Halten Sie diszipliniert an der breiten Streuung/Diversifikation in Ihrem Depot fest. Übergewichtungen eines Wertes/einer Branche gefährden die Gesamtrendite und rauben Ihnen den gesunden Schlaf.
Norbert Betz, Leiter der Handelsüberwachung an der Börse München, setzt sich seit Jahren mit den Psychofallen an der Börse auseinander: als leidenschaftlicher Trader wie als distanzierter Marktbeobachter, als Referent (online und offline) und Autor.
Gemeinsam mit Ulrich Kirstein hat er
Börsenpsychologie simplified, 2. Auflage 2015, erschienen im FinanzBuchVerlag, geschrieben. Für die Börse München außderdem das Booklet Psychofallen an der Börse. Wie wir sie erkennen und vermeiden. (2. Auflage 2021)