Das erwartete Unerwartete - Die Zinsentscheide der Notenbanken

Robert Halver, Jon Maier, Altaf Kassam, Karsten Junius und John Vail
Bilder: Fed und EZB
Es war wieder die Woche der Notenbanken, sowohl die Fed als auch die EZB - und oftmals vergessen - die Bank of Japan haben ihre Zinsentscheide verkündet. Wir haben dazu einige Stimme gesammelt:

Trotz allem: Den Falken bei Fed und EZB fallen immer mehr die Federn aus

Auf den hartnäckigen Preisdruck reagiert die EZB wie geplant mit einer weiteren Zinserhöhung um 0,25 Prozentpunkte und sendet Erhöhungssignale. Reden ist aber nicht handeln. Im Gegensatz dazu hat es die Fed nicht eilig mit weiteren Zinserhöhungen. Mit Blick auf allmählich nachgebende Inflationsraten und dunkle Konjunkturwolken werden sich die Finanzmärkte ab Herbst sogar immer mehr auf Zinssenkungsphantasie in den USA einstellen. Ab 2024 folgt die Eurozone.
US-Geldpolitik: Wie viel Beißen folgt noch nach dem Bellen?

Die US-Notenbank betreibt einen schwierigen Balanceakt zwischen konsequenter Inflationsbekämpfung und dem Erreichen einer sanften Konjunkturlandung. Erstmal seit März 2022 lässt die Fed ihren Leitzins unverändert bei aktuell 5,25 Prozent. Weitere Zinserhöhungen schließt sie jedoch nicht kategorisch aus. Angesichts einer immer noch hohen Kerninflation - 5,3 nach 5,5 Prozent - kann die Fed aus Glaubwürdigkeitsgründen nicht plötzlich ihre harte Rhetorik ablegen. Daher handelt es sich laut Fed-Chef Powell nicht um eine Pause oder das Ende der Zinserhöhungen, sondern um eine Tempoverzögerung. So plant die Fed laut ihren Leitzinsprojektionen („Dot Plot“) nun noch zwei weitere Zinserhöhungen für dieses Jahr ein. Hintergrund sind die kurzfristig angehobenen Wachstumsprojektionen (2023: 1,0 statt 0,4 Prozent; 2024: 1,1 statt 1,2 Prozent; 2025: 1,8 statt 1,9 Prozent). Allerdings fallen die anschließenden Zinssenkungsplanungen ebenfalls üppiger aus: Vier nach zuvor drei (2024) bzw. fünf (2025) Senkungen um jeweils 25 Basispunkte.

Insgesamt geht es der Fed um Zeitgewinn. Denn wenn die Fed mit zwei weiteren Anhebungen in diesem Jahr rechnet, wieso zieht sie dann das „Unvermeidliche“ nicht einfach zügig durch? Die Antwort: Die Fed weiß, dass die Zeit für eine laxere Zinspolitik spielt. Die Aussage, geldpolitische Entscheidungen jeweils von Sitzung zu Sitzung auf Grundlage vorliegender Daten zu treffen, gibt ihr Beinfreiheit.  

Denn die Preissteigerungsraten werden weiter nachgeben. So lässt der Kostendruck bei Dienstleistern gemäß dem vom Institute of Supply Management (ISM) ermittelten Subindex für Beschaffungspreise rapide nach. Die Inflationsprojektionen der Fed (2023: 3,2 statt 3,3 Prozent; 2024: 2,5 Prozent; 2025: 2,1 Prozent) bestätigen den intakten Desinflationstrend, auch wenn sie ihr Inflationsziel erst 2025 knapp erreicht.
 
Rober Halver ist Leiter der Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank AG

Ermutigende Wachstumsprognose

Die Entscheidung, eine Pause der Zinserhöhung einzulegen, entsprach zwar den Erwartungen des Marktes, die Endrate wurde jedoch auf 5,6 Prozent angehoben – was die vorherigen Prognosen übertrifft. Insgesamt handelt es sich um eine recht „gezwungene und hektische“ Zinspause. Für die Zukunft wurden die Prognosen für die Kerninflation und das Wirtschaftswachstum nach oben korrigiert - während die Wachstumsprognose ermutigend ist, werden sich die Märkte aufgrund dieser Korrekturen nun auf die Juli-Sitzung konzentrieren.
 
Jon Maier ist Chief Investment Officer bei Global X
Fed

EZB-Entscheidung - 25 Basispunkte sind beschlossene Sache, Ausblick weniger sicher

Die EZB hat heute eine Zinserhöhung um 25 Basispunkte vorgenommen, was allgemein erwartet und klar angekündigt wurde und somit genau der aktuellen Marktbewertung entspricht. Die "sanfte" Anhebung im Mai, berücksichtigte eindeutig die Auswirkungen der Bankenkrise, weshalb von 50 Basispunkten abgesehen wurde. Im Gegensatz hatte die heutige Entscheidung einen klar restriktiveren Charakter, wobei die EZB den Markt davon überzeugen wollte, dass ein Höchststand der Kerninflation nicht sofort eine Zinswende bedeuten würde. Dies war besonders wichtig, da die Kerninflation in den USA, im Vereinigten Königreich und in Kanada zu sinken begann und sich dieser Rückgang dann verlangsamte oder sogar umkehrte. Die EZB musste also deutlich machen, dass sie nicht vorhat ihre Geldpolitik zu entschärfen.
 
Trotz der Anzeichen von Fortschritten bei der Kerninflation und Anzeichen, dass die straffere Geldpolitik Wirkung zeigt, wies die Meldung auf eine wahrscheinliche Anhebung der Zinssätze um 25 Basispunkte auf der Juli-Sitzung darauf hin, dass die Politik für lange Zeit straff bleiben werde (ohne einen bestimmten Zeitrahmen oder bestimmte Bedingungen zu nennen). Die Risiken für die geldpolitischen Aussichten der EZB sind also nach wie vor vorhanden, allerdings mit zunehmender Ungewissheit. Das Fehlen eines klaren Hinweises auf ein Ende des Zinserhöhungszyklus im Juli könnte den Markt dazu veranlassen, einige der für 2024 angedeuteten Zinssenkungen auszupreisen.

Altaf Kassam ist Leiter des Investment Stragegy & Research EMEA bei State Street Global Advisors

Die Zentralbanken signalisieren, dass sie noch nicht fertig sind

Die EZB hat die Leitzinsen um 25 Basispunkte angehoben, während die Fed auf eine Anhebung ihres Leitzinses verzichtet hat. Die Botschaft beider Institutionen war jedoch eindeutig: Es ist zu früh, um den Sieg über die Inflation zu verkünden. Folglich hat die EZB deutliche Anzeichen dafür gegeben, dass im Juli mindestens eine weitere Zinserhöhung erfolgen wird, während die Fed ihre Botschaft bekräftigt hat, indem sie im Median des Dot Plots zwei weitere Erhöhungen einzeichnete.

Noch deutlicher sind die Argumente im Vereinigten Königreich, wo ein angespannter Arbeitsmarkt und hartnäckig hohe Inflationsraten die Bank of England (BoE) zwingen werden, die Leitzinsen weiter anzuheben, auch wenn sich die Wirtschaft stark verlangsamt. Wir rechnen mit zwei weiteren Zinserhöhungen durch die BoE. Allerdings preisen die Märkte derzeit zusätzliche Zinserhöhungen in Höhe von 125 Basispunkten in die Zinsstruktur des Pfund Sterling ein, weshalb wir empfehlen, von den stark gestiegenen Renditen zu profitieren. Wir halten den 5-Jahres-Teil der Kurve für einen guten Einstiegspunkt, um von den überhöhten Preisen auf der Vorderseite zu profitieren und gleichzeitig eine sinnvolle Duration zu erwerben.

Abschließend werfen wir einen Blick auf den Krypto-Bereich. Wir stellen fest, dass der US-Dollar für Bitcoin nach wie vor am wichtigsten ist, während Tech-Aktien, die Risikobereitschaft und die Breakeven-Inflation eher eine Nebenrolle spielen. Wichtig ist, dass wir glauben, dass die jüngsten Vorstöße der US-Regulierungsbehörden im Mittelpunkt stehen und wahrscheinlich zu einer weiteren Konsolidierung im Kryptobereich führen werden.
 
Karsten Junius ist Chief Economist bei der Bank J. Safra Sarasin Ltd

Geldpolitik in Japan: BOJ-Chef Ueda zähmt die Falken

Mich hat in den vergangenen Monaten der Chor einiger Volkswirte frustriert: BOJ-Chef Ueda sei trügerisch, wenn er verspricht, alle Änderungen sehr bewusst vorzunehmen. Stattdessen könnten wir eine Änderung der Zinskurvenmanagement (YCC) umso eher erwarten, je mehr er darauf beharrt.
 
Das heutige Ergebnis, zumindest vor der Pressekonferenz, dürfte diese eingefleischten Falken weiter besänftigen, und die Mehrheit wird ihre Forderung nach einer Änderung des YCC im Juli auf den Herbst verschieben müssen. Während die Sitzung nur für die hartgesottenen Falken eine Überraschung war, könnte diese Verschiebung über den Juli hinaus den Yen etwas unter Druck setzen. Allerdings sollte jeder wissen, der den Yen shortet, dass die japanische Regierung bei einer starken Abschwächung wahrscheinlich schnell und ohne Vorwarnung eingreifen wird.“
Am Aktienmarkt wird die Geldpolitik weiterhin für Rückenwind sorgen, aber das ist kein Grund für übermäßigen Enthusiasmus.
 
John Vail ist Chief Global Strategist bei Nikko AM