Übergewinnsteuer: Zeit, das „S“ in ESG zu betonen?

Dr. Klaus Bauknecht, IKB Deutsche Industriebank AG
Dr. Klaus Bauknecht / Bild: IKB Deutsche Industriebank AG
Fazit: Die Übergewinnsteuer ist in aller Munde. Für den Staat ist es eine neue Einnahmequelle, die er versucht, mit den Begriff der Fairness zu rechtfertigen. Doch wann sind Gewinne unfair? Hier sollte nicht die Höhe im Fokus stehen, sondern vielmehr der Prozess, durch den hohe Gewinne entstehen. Denn oft sind es Marktverzerrungen, die der Staat selbst mit Hilfe von Markteintrittsbarrieren geschaffen hat, die eine höhere langfristige Rendite für eine Branche ermöglichen. Doch weil der Staat in den letzten Jahren negative Folgen aus Krisen spürbar gedämpft hat, macht eine Diskussion über eine höhere Unternehmenssteuer durchaus Sinn – auch, um damit einer Subventionierung von Gewinnen und Kapitalrenditen entgegenzuwirken.

Doch der eigentliche Handlungsbedarf liegt nicht beim Staat, sondern bei den Unternehmen selbst. Es ist in ihrem eigenen Interesse, das „S“ in ESG für ein nachhaltiges Geschäftsmodell zu fördern. Schließlich spielt Fairness eine wichtige Rolle bei den Marktakteuren.
Politiker ziehen Übergewinne zunehmend als neue Steuereinnahmequelle in Betracht. So spricht EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen von zusätzlichem Einnahmepotenzial in Höhe von 140 Mrd. Euro. Der Gedanke ist nicht neu: Als unfair angesehene hohe Gewinne sollten zumindest teilweise an den Fiskus gehen – auch, weil diese Gewinne oftmals mit einer eher negativen sozialen Komponente einhergehen, die höhere Fiskalausgaben mit sich bringt. Mit der aktuellen Energiekrise hat der Gedanke von „unfairen“ Gewinnen an Aktualität gewonnen: Nicht nur Deutschland leidet unter explodierenden Strom- und Gaskosten, während einige Energieversorger satte Gewinne realisieren – so zumindest die Wahrnehmung. Dies empfinden viele Menschen als unfair und sorgen für Handlungsdruck beim Staat. Der Gedanke einer Übergewinnsteuer als neue Quelle der Besteuerung scheint sich zu festigen. Wie ist dies zu werten?

Investitionen – langfristige Renditenerwartung entscheidend

Ökonomen argumentieren immer wieder, Gewinne seien notwendig, damit Unternehmen investieren. Höhere Unternehmenssteuern führten dagegen zu niedrigeren privaten Investitionen. Steigende Gewinne ermöglichen tatsächlich mehr Investitionen und verbessern das Angebot – was wiederum Preise sinken lässt und die zwischenzeitlich höhere Rendite einer Branche durch mehr Wettbewerb wieder normalisiert. Die Voraussetzung für einen Investitionsschub ist allerdings, dass Gewinne als nachhaltig höher angesehen werden und es keine Markteintrittsbarrieren gibt. Nur temporär höhere Gewinne führen kaum zu nachhaltig höheren Investitionen, denn entscheidend ist die langfristige Rendite einer Investition. Schützt der Staat eine Branche durch Markteintrittsbarrieren, muss eine Besteuerung von Übergewinnen nicht pauschal als unfair angesehen werden, da sie eine Normalisierung der Rendite trotz fehlendem Wettbewerb sicherstellt. Damit jedoch im Energiesektor die Preise sinken, sind anhaltend höhere Renditen notwendig. Nur dann investieren die Unternehmen und weiten ihr Energieangebot aus. Dies wird durch die Besteuerung von Übergewinnen nicht unbedingt gefördert, vor allem, wenn sie als dauerhaftes Steuerinstrument eingesetzt werden.

Übergewinnbesteuerung als Teil der Fiskalpolitik

Grundsätzlich hat der Staat in den letzten Krisen bzw. Konjunktureinbrüchen das Insolvenzrisiko von Unternehmen reduziert. Stützungsmaßnahmen, Liquiditätsbereitstellungen und allgemeine Konjunkturprogramme haben das Risiko für Aktionäre/Investoren spürbar verringert. Wenn also der Staat das Insolvenz- bzw. Rezessionsrisiko für die Wirtschaft deutlich reduziert, kann er durchaus im Gegenzug für höhere Profite eine Prämie verlangen. Die risikobereinigte Rendite würde sonst auf Kosten des Steuerzahlers subventioniert. Auch aus Makrosicht ist deshalb nachvollziehbar, wenn der Staat eine temporäre Übergewinnsteuer einführt. Dies entspräche einer Fiskalpolitik, die sich über den gesamten Konjunkturzyklus weitgehend neutral verhält. Beides, Stützungsmaßnahmen wie Steuererhebungen sind natürlich eine Staatseinmischung im Marktprozess. Doch gerade bei der Gefahr von Abwärtsspiralen in einer Krise ist dies im gemeinschaftlichen Interesse, kann also deshalb nicht nur als fair angesehen werden, sondern stellt auch eine stabilisierende Fiskalpolitik dar – vor allem wenn die Maßnahmen für alle Branchen gelten, also wenn es pauschal um eine Überbesteuerung in konjunkturellen Boomphasen geht.

Gedanken aus der Verhaltensökonomie – fair versus unfair

Die Haltung von Volkswirten zum Thema „Übergewinnsteuer“ ist oftmals kritisch. Neben der allgemeinen Sorge vor einer höheren Steuerlast ist es vor allem die Unsicherheit, wann Gewinne zu hoch sind und wo die Grenze zwischen fair und unfair genau liegt. Entscheidet der Staat, welcher Preis und welche Gewinne angebracht sind, läuft dies auf Willkür bzw. zentrale Steuerung hinaus. Nicht der Markt bestimmt dann Preise, Gewinne und damit die Allokation von Ressourcen, sondern der Staat. Bei den aktuellen Gaspreisen wird die Einmischung des Staats aktuell jedoch vielfach als vorteilhaft angesehen.

Staatliche Interventionen sind allerdings in der Steuerpolitik durchaus üblich: So wird auf Lebensmittel eine niedrigere Mehrwertsteuer erhoben, weil sie lebensnotwendig sind und keine Luxusgüter darstellen. Manche Länder haben zudem eine Luxus- bzw. Vermögenssteuer etabliert. Auch ist die Einkommensteuer progressiv gestaltet: Höheres Einkommen führt zu einem höheren Steuersatz auf Grundlage der Vorstellung, was als fair bzw. gerecht angesehen wird. Eine Übergewinnsteuer wäre im Prinzip nichts anderes, wobei die Grundlage weniger die Gewinnhöhe sein sollte, sondern die Art, wie Gewinne erwirtschaftet werden. Ist nur die Höhe entscheidend, degeneriert eine Übergewinnsteuer eher zu einer reinen Einnahmequelle und wäre kein Instrument der Förderung von Fairness. Laut Robert Nozick ist für Fairness nicht die Höhe oder Verteilung von Gewinnen entscheidend, sondern vor allem der Prozess, wie diese erwirtschaftet wurden. Gilt dieser als fair, hat die eigentliche Höhe der Gewinne bei der Beurteilung von Fairness nur wenig Bedeutung.

Verursacht der Staat die Übergewinne?

Markteintrittsbarrieren oder Marktversagen können zu überzogenen Renditen führen, was für eine Übergewinnsteuer spricht – auch ohne Fairness-Gedanken. Wie ist es möglich, dass eine Industrie nachhaltig höhere Renditen erwirtschaftet, und in welchem Maße wird dies durch den Staat oder Regulierung verursacht? Dies wäre die entscheidendere Frage als die Überlegung, wann Gewinne zu hoch sind. Aktuell sind es jedoch eher die unerwarteten hohen Gewinne als die langfristigen Renditen, die im Fokus zu stehen scheinen und auf denen das Argument von Fairness beruht. Deshalb ist der Begriff „Übergewinnsteuer“ auch unglücklich gewählt. Der Fokus sollte auf dem Prozess liegen, mit dem höhere Renditen erwirtschaftet werden und was die Kosten dieses Prozesses für die Gesellschaft sind.

Zwar wird der Begriff fair oft als nicht greifbar und das damit verbundene staatliche Handeln als diskretionär und somit auch marktverzerrend angesehen. Doch Fairness spielt im täglichen Leben eine bedeutende Rolle. Außer für den homo oeconomicus, der rein rational agiert und nur auf den Preis schaut, ist Fairness für die meisten Menschen doch von Bedeutung. Fairness ist kein abstraktes Konzept, sondern eine reale Wahrnehmung jedes volkswirtschaftlichen Akteurs. Nobelpreisträger Richard Thaler hat dies bereits vor Jahrzehnten nachgewiesen. Sein Beispiel: Ein Dorf ist eingeschneit, und es gibt zu wenig Schneeschippen. Der Markt würde diktieren, dass der Preis für Schneeschippen deutlich ansteigen muss, weil die Nachfrage spürbar zugenommen hat. Eine effiziente Allokation wäre ebenfalls mit einem Preisanstieg verbunden, schließlich hat sich der Mehrwert der Schippen spürbar erhöht, und das Angebot ist begrenzt. Und doch haben 70 Prozent der befragten Personen in seinem Experiment einen höheren Preis als unfair angesehen. Auch hier ist der Prozess und nicht die Höhe des Preises auschlaggebend für ein unfaires Verhalten.

Unternehmen sollten handeln und das „S“ in ESG betonen

Die Wahrnehmung von Fairness hat einen wichtigen Einfluss auf das Handeln wirtschaftlicher Akteure. So beeinflusst sie auch die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens und damit die langfristige Rendite von Investitionen. Wäre diese Erkenntnis bei allen Unternehmen angelangt, bräuchte es aktuell keinen Zwang durch den Staat. Unternehmen würden selbst für einen fairen Preis- und Profitprozess sorgen. Denn es würde sich nicht lohnen, das Geschäftsmodell durch kurzfristiges, als unfair wahrgenommene Handeln in Gefahr zu bringen. Verwunderlich ist deshalb weniger der Vorschlag einer Übergewinnabgabe, als vielmehr die Tatsache, dass Unternehmen durch Steuern dazu gezwungen werden müssen; auch wenn sicherlich viel diskutiert werden kann, was fair ist und was nicht. Die aktuelle Belastung für Haushalte infolge explodierender Energiekosten wird sicherlich von den wenigstens als fairer Prozess angesehen. Dies scheint sogar dann zu gelten, wenn angesichts von vorigen Verlusten Übergewinne nun eigentlich notwendig wären, um eine ausreichende langfristige Rendite sicherzustellen. Das soziale Bewusstsein der Unternehmen – das „S“ im ESG – muss deshalb in Deutschland grundsätzlich gestärkt werden. Dies gilt auch deshalb, weil die Krisenpolitik der Bundesregierung, wie bereits betont, das Risiko für die gesamte Wirtschaft in den letzten Jahren reduziert und damit erwartete Renditen verbessert hat. Faire Gewinnprozesse sind deshalb nicht nur ein Thema für Unternehmen im Energiesektor, sondern für die Wirtschaft insgesamt.

Wie bei jeder Steuer, so ist auch bei der Übergewinnsteuer zu erwarten, dass sie ausgeweitet bzw. zum permanenten Repertoire des Staates und seiner Einnahmen wird, wenn sie erst einmal eingeführt ist. Aus dieser Sicht wäre es wünschenswert, wenn Unternehmen selbstständig aktiv werden würden und nicht auf die Übergewinnsteuer warten. Dies würde auch homo oeconomicus zufriedenstellen, da eine Staatseinmischung dann nicht mehr erforderlich wäre. Es würde aber vor allem den Gewinn- bzw. Preisprozess fairer gestalten. Außerdem würden die Kostenvorteile bei den Menschen landen, die sie benötigen und nicht in den Staatskassen versickern. Hierfür ist aber keine Marketingstrategie oder Spende nötig, sondern ein effektiver Transfer der erhöhten Gewinne zu den Menschen, die diesen möglich gemacht haben bzw. die dadurch nun schlechter gestellt werden. Kommt die Übergewinnsteuer, so ist weniger der Staat dafür verantwortlich zu machen, sondern eher Unternehmen, welche die Bedeutung von Fairness für ihre Unternehmensstrategie nicht ausreichend würdigen.
Dr. Klaus Bauknecht ist als Chefvolkswirt der IKB Deutsche Industriebank AG verantwortlich für die volkswirtschaftlichen Analysen, Prognosen und Einschätzungen der Bank und schreibt dort auch im eigenen IKB-Blog. Zudem lehrt der promovierte Volkswirtschaftler an der Nelson Mandela University in Südafrika. Zuvor arbeitete er in verschiedenen leitenden Positionen anderer Banken und im südafrikanischen Finanzministerium. Er schreibt zu aktuellen und übergeordneten Konjunktur-, Volkswirtschafts- und Marktthemen.
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