Anleger suchen nach Disruptoren

Caroline Gauthier, Edmond de Rothschild Asset Management
Caroline Gauthier / Bild: Edmond de Rothschild Asset Management
2021 kam es bei europäischen Aktien zu einer Rückkehr der Kapitalzuflüsse. Die Anleger wurden von der Stärke der Erholung und der berühmten TINA-Einstellung angezogen - There is No Alternative! Sie konzentrierten sich auf ESG-Fonds, deren Performance sich zuletzt als sehr vielversprechend gezeigt hatte.
  • Das Gewinnwachstum wird die Aktienmärkte erneut stützen
  • Die Polarisierung bei den Werten hat ein Rekordhoch erreicht, die Wiederannäherung ist jedoch noch ungewiss
  • Suchen Sie nach Nischenunternehmen unter den Small und Mid Caps
Die Anleger lagen richtig. Die europäischen Märkte erreichten im Jahr 2021 mit einem Plus von 16 Prozent gegenüber dem Niveau vor Covid zum Jahresende 2019 ein Allzeithoch. Die Performance folgte dem Anstieg der Unternehmensergebnisse um 16 Prozent im Vergleich zu 2019. 2022 wird das Gewinnwachstum die Aktienmärkte erneut unterstützen.
 
Europas Wirtschaft verfügt über die Mittel, um weiter zu wachsen: Der Konsum stützt sich auf eine Rekordsparquote, die Unternehmen müssen ihre Lagerbestände wieder auffüllen, die Konjunkturprogramme zeigen Wirkung und der Investitionszyklus beschleunigt sich. Allerdings wird die Stärke der Erholung weitgehend davon abhängen, wie sich die Epidemie jetzt entwickelt und wie gut die Wirtschaft inflationäre Spannungen aufnehmen kann.

Gamer Over oder nächste Runde?

Der Markt wechselte 2021 häufig zwischen dem Reflationshandel, der gut für mit Abschlägen gehandelte Aktien ist, und einem Szenario, in dem die Realzinsen auf dem Tiefststand bleiben, was für Wachstumsaktien günstig ist. Am Ende hat die Angst, etwas zu verpassen („Fear of missing out“, abgekürzt FOMO), die Anleger dazu gebracht, bei kleinsten Einbrüchen zu kaufen und die Wachstumstitel unter den Mega-Caps zu stärken. Wie in den USA, wo die Marktkapitalisierung von Tesla jetzt höher ist als die aller sechs globalen Automobilhersteller zusammen, haben zwei Aktien – die globale Luxusmarke LVMH und ASML, der führende Hersteller von Anlagen für die Halbleiterindustrie – Rekordhöhen erreicht. Sie machen fast ein Viertel des Anstiegs auf dem europäischen Markt aus.
 
Die „Winner-takes-all“-Theorie („Der Sieger bekommt alles“) führte zu einer beispiellosen Markt- und Sektorstreuung.
 
Es gibt Appelle, die KGV-Werte wieder zu normalisieren und die Extreme wieder zusammenlaufen zu lassen. Dies wäre sicherlich möglich, wenn die Zinsen stark steigen würden, aber wir sollten über die Debatte um Wachstums- gegen Substanzwerte hinausblicken und analysieren, warum es zu einer solchen Polarisierung gekommen ist.
 
Die Anleger suchen in der Tat nach „Disruptoren“, Unternehmen, die ihren Sektor auf den Kopf stellen können, oder zumindest das Wachstum und die Rentabilität ihres Sektors langfristig übertreffen können. Disruptoren haben durch ihre Preissetzungsmacht, ein entscheidender Faktor in einer Inflationsphase, weiter Marktanteile hinzugewonnen, so dass sie naturgemäß ein Premium-Rating als historisch bedeutsame Akteure erlangt haben. Die Prämie würde nur wegfallen, wenn ihr Wachstum durch neu in den Markt eintretende Unternehmen, ein anderes Wirtschaftsmodell oder regulatorische Maßnahmen gebremst würde.

Small und Mid Caps können Alpha schaffen

Das „Winner-takes-all“-Syndrom beschränkt sich nicht auf Mega Caps. In den letzten fünf Jahren haben wir auch Small und Mid Caps in die Höhe schießen sehen. Vier Small Caps (mit einer Marktkkapitalisierung unter 5 Mrd. Euro) und 13 Mid Caps (Marktkapitalisierung zwischen 5 und 10 Mrd. Euro) des Jahres 2016 zählen jetzt zu den 100 Unternehmen mit der höchsten Marktkapitalisierung der Eurozone. Sartorius Stedim, einer der weltweit führenden Anbieter von pharmazeutischen Geräten, hat seine Marktkapitalisierung dank des strukturellen Wachstums im biopharmazeutischen Sektor in fünf Jahren von 5,5 Mrd. Euro auf 47 Mrd. Euro gesteigert. Dasselbe gilt für Teleperformance, den weltweit führenden Anbieter im Bereich des Kundenservices, der 2021 in den CAC 40-Index aufgenommen wurde, nachdem er seine Ergebnisse in nur 5 Jahren ver-vierfacht hatte.
 
Europas Small- und Mid-Cap-Universum wurde in den letzten zwei Jahren durch rund 100 Börsengänge verstärkt. Es repräsentiert nun ein breites Spektrum innovativer Nischenunternehmen, die den Markt übertreffen könnten. Für den MSCI EMU Small Cap Index wird ein Gewinnwachstum von 24 Prozent im Jahr 2022 erwartet, also deutlich mehr als für Large Caps. Dennoch wurde er selten zu einem derart niedrigen Aufschlag gehandelt (5 Prozent im Vergleich zu einem historischen Durchschnitt von 23 Prozent).
Mehr als 90 Prozent der Fusionen und Übernahmen seit 1990 betrafen Unternehmen mit einer Marktkapitalisierung von weniger als 5 Mrd. Euro. Bei der gegenwärtigen Beschleunigung der Übernahmeangebote sind Small Caps die offensichtlichen Ziele.
 
Wir gehen davon aus, dass sich die starke Erholung europäischer M&A-Transaktionen im Jahr 2022 fortsetzt. Der Cashflow ist auf Rekordhöhe, die Finanzierung ist noch immer günstig und die Unternehmen wollen zusätzliche Wachstumshebel finden, bevor sich das wirtschaftliche Umfeld wieder normalisiert. Industrieunternehmen suchen auch nach externem Wachstum, um die Integration voranzutreiben, eine Möglichkeit, Versorgungsprobleme zu umgehen. Andere, wie IT-Unternehmen, sehen in Fusionen und Übernahmen eine Möglichkeit, den Personalbestand angesichts des Arbeitskräftemangels zu verstärken. Die Angebotsaufschläge von heute liegen bei mehr als 30 Prozent oder über dem Durchschnitt der letzten 10 Jahre. Ein Grund für diesen Anstieg ist die zunehmende Präsenz von Private-Equity-Fonds. Mit mehr als 2 Billionen US-Dollar an „trockenem Pulver" kaufen diese Fonds börsennotierte Unternehmen für weniger Geld als nicht börsennotierte Ziele.
 
All dies bedeutet, dass europäische Aktien immer noch viele Chancen beim Stockpicking bieten, aber nur so lange, wie wir uns auf strikte Auswahlverfahren stützen, die eine Analyse der Wachstumsaussichten mit angemessene Bewertungen verbindet.
Caroline Gauthier ist Co-Head of Equities bei Edmond de Rothschild Asset Management.

Im Artikel erwähnte Wertpapiere

Teleperformance 88,12 1,43%
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LVMH 636,80 -2,50%
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UC CAC 40 7.611,11 N.A.
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Sartorius Sted 187,60 1,63%
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ASML Holding 798,00 4,53%
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Tesla 200,40 -0,37%
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