Ulrich Kirstein / Bild: BBAG/Killius
Die Anzahl der börsennotierten Unternehmen in Deutschland nimmt stetig ab. Laut Statista von blieben von knapp 700 Gesellschaften 2010 zehn Jahre später nur etwa 440 übrig. Die Hürden, tatsächliche und eingebildete, sind hoch, um hierzulande an die Börse zu gehen, wie Unternehmen beweisen, die lieber an eine ausländische Börse gehen oder sich gleich auf Kapital von Private Equity-Seite verlassen. Haben sie dann Erfolg, machen die Geldgeber Kasse und Privatanleger schauen in die Röhre. Investoren im Ausland, insbesondere den USA oder Großbritannien, haben nicht nur tiefere Taschen, sie greifen auch lieber hinein. Hierzulande werden Start-ups, die sich früh an die Börse wagen, hingegen argwöhnisch beäugt. Viele Nebenwerte werden nicht im Regulierten Markt – Regulated Market im Sinne der EU-Gesetzgebung – gelistet, Voraussetzung um in die Dax-Familie aufgenommen und über XETRA international gehandelt zu werden, sondern werden im Freiverkehr – neudeutsch Multilateral Trading Facility – geführt. Mit SCALE hat die Deutsche Börse ein eigenes Segment für KMUs aus dem Freiverkehr geschaffen, genauso wie die Börse München mit m:access.

Keine Freikarte zum Erfolg

Wir können hier nicht näher auf die jeweiligen Anforderungen eingehen, insgesamt sollen sie für mehr Transparenz für Anleger sorgen und höhere Standards als der „normale“ Freiverkehr setzen. Dass die in diesen KMU-Segmenten gelisteten Unternehmen deshalb gegen Konkurs, Betrug oder Kurskapriolen gefeit sind, ist jedoch keinesfalls gegeben – man denke nur an die Pleite von Wirecard, davor hat der Regulierte Markt oder der Dax auch nicht geschützt. Einige der KMUs sind typische Start-ups, sie können auf keine längere Börsenhistorie zurückblicken und lassen zwangsläufig kommunikativ die nötige Erfahrung vermissen. Einerseits. Andererseits sind es genau diejenigen Unternehmen, von denen gefordert wird, dass sie früh an die Börse gehen sollten. Die sogar, beispielsweise durch den KMU-Wachstumsmarkt seitens der EU, ausdrücklich motiviert werden, einen Börsengang zu initiieren.

Informationen für Anleger

Aber welche Bedeutung hat es für Anleger, in welchem Segment ein Unternehmen gelistet wird? Für den Regulierten Markt entscheiden sich große Konzerne, die auf eine international aufgestellte Investorenschaft abzielen und bereit sind, dafür hohe Aufwendungen zu tätigen. Diese setzen sich nicht nur aus der Listinggebühr zusammen, sondern resultieren etwa aus der erforderlichen Rechnungslegung nach IFRS – im Freiverkehr reicht der Abschluss nach HGB –, und die Verpflichtung, Quartals- und Halbjahresberichte zu veröffentlichen. Allen gemeinsam, egal ob Regulierter Markt oder Freiverkehr, ist die Erfordernis zur Ad-hoc-Publizität, um alle Anlegerkreise zeitnah und ausreichend zu informieren. Zusätzlich erfordert m:access etwa von den Emittenten einen unterjährigen Bericht und die Teilnahme an einer Analystenkonferenz.

Risiko IPOs

Gerade bei Neuemission ist das Risiko zweifelsfrei höher als bei traditionsreichen Aktiengesellschaften, Vorsicht und eine möglichst breite Streuung sind angesagt. Das bezieht sich nicht nur auf Nebenwerte, wie ein Blick auf die jüngsten Börsengänge laut boerse.de beweist: Von den drei IPOs 2023 weisen zwei eine positive Performance auf, 2022 sind beide IPOs negativ und von 33 aus dem Jahr 2021 bis heute überhaupt nur vier. Aber, das ist die andere Seite der Medaille, die, die positiv sind, sind größtenteils zwei bis dreistellig positiv! Die alte Regel gilt: Keine Chance ohne Risiko.
Dieser Text erschien ursprünglich im Nebenwerte Journal.
Ulrich Kirstein ist Pressesprecher der Börse München und gemeinsam mit Christine Bortenlänger Autor von Börse für Dummies und Aktien für Dummies.