Ulrike Hock /Bild: SmartIC – Smart Investor Coaching
Manchmal kann einem als Zuhörer politischer Entscheidungen ein Zustand von Langeweile
überkommen, teilweise sind die Informationen auch umgarnt im Mantel des Unscheinbaren. Doch in den letzten Tagen ließen gleich zwei Ereignisse aufhorchen.
Die deutsche Bundesregierung manövrierte sich per Katapult ins Abseits
Seit dem 15. November 2023 stehen einige Nebenhaushalte der Bundesregierung auf dem Prüfstand, denn das Bundesverfassungsgericht hat die Haushalte für 2023 und 2024 kassiert. Insgesamt ist die Finanzierung von schätzungsweise über 40 Mrd. Euro offen, denn ab dem nächsten Jahr soll die Schuldenbremse wieder eingesetzt werden. Die Liste der Wünsche an Ausgaben ist in den letzten Jahren immer größer geworden und so schien der Weg der Umbuchung von Geldern eines Nebenhaushalts (Corona-Topf) auf neue Projekte als geeignet. Doch dem ist nun nicht so.
Die Richter stuften laut ARD vom 22.11.23 die Bundeshaushalte von 2023 und 2024 als äußerst problematisch ein. Im Bericht des Bundesrechnungshofes vom 25.8.23 steht, dass diese Sondervermögen inzwischen einen Umfang von insgesamt 869 Mrd. Euro einnehmen und von ihnen als eine „ausufernde Topfwirtschaft“ bezeichnet werden. Denn diese Ausgaben veranschlagen inzwischen wohl 36 Prozent des jährlichen Soll-Budgets und 90 Prozent aller Schulden (Kernhaushalt und Sondertöpfe) sind kreditfinanziert. Wenn die Quote der Schuldentilgung dabei nicht steigt, kann man sich gut vorstellen, wie stark der Haushalt in den nächsten Jahren, allein durch die Verlängerung von Anschlussfinanzierungen bei diesen Zinsniveaus, strapaziert wird.
Was heißt das nun für Anleger?
Mehr Schulden bedeuten, dass mehr Anleihen des Staates ausgegeben werden. Und wenn das Angebot steigt, sinken im Allgemeinen die Preise. Entscheidend wird jedoch sein, wie sich
a) die Wirtschaft im zukünftigen Umfeld entwickelt und
b) ob mehr Schulden in Zukunft zugelassen werden (z.B. doch keine Schuldenbremse).
Denn die Quote der Gesamtverschuldung zum Bruttoinlandsprodukt (jährliche Wirtschaftsleistung) ist auch maßgeblich für die relative Preisentwicklung von deutschen Staatsanleihen im Vergleich zu anderen europäischen Staatsanleihen und noch ist diese Quote für Deutschland als konservativ einzustufen. Wenn die Schuldenquote Deutschlands jedoch steigt, könnte das dazu führen, dass zum Beispiel die Preise 10jähriger deutscher Staatsanleihen im Vergleich zu 10jährigen französischen Staatsanleihen sich schwächer entwickeln, was einer Abwertung deutscher Staatsanleihen gegenüber französischen Staatsanleihen gleichkommt. Bisher galten deutsche Staatsanleihen immer als „sicherer Hafen“ in volatilen Zeiten, aber das ist kein Garant für die Zukunft. Seit dem Antritt Macron’s im Jahr 2017 versucht er das Land fit zu machen. Und tatsächlich zeigen sich die Erfolge bereits im Wirtschaftswachstum. Die EU-Kommission erwartet für 2023 ein Wachstum von 1Prozent für Frankreich und ein Rückgang der Wirtschaftsleistung in Deutschland um 0,3 Prozent.
Die Europäische Zentralbank redet Klartext!
Im Allgemeinen bewegen sich Notenbanken-Statements eher im Nebulösen, sie sind maximal richtungsweisend. Doch am 23.11.23 wurde Pierre Wunsch (Präsident der Zentralbank Belgiens und Mitglied der Europäischen Zentralbank) deutlich konkreter. Bisher war die Entscheidungsfreudigkeit der Europäischen Zentralbank von den Finanzmärkten eher als reagierend als agierend wahrgenommen worden. Insbesondere die lange Null-Zinsphase der letzten Jahre und die exzessiven Anleihe-Kaufprogramme stießen auf Kritik bei vielen Marktteilnehmern. Doch mit dem rasanten Anstieg der Inflation und der schnell einsetzenden Zinserhöhungen durch die amerikanische Notenbank in den USA, agierte auch die EZB in Europa bald mit ihrem Zinserhöhungszyklus. Nun setzte in diesem Jahr die erste Verschnaufpause diesseits und jenseits des Atlantiks ein. Finanzmarktteilnehmer adjustierten daraufhin ihre Erwartungen auf „das war’s an Zinserhöhungen“, was bedeutet, schnell wieder das Gegenteil als den nächsten großen Schritt einzupreisen, also Zinssenkungen in 2024.
Doch nun kommt die EZB mit Klartext. Wie die Börsenzeitung in ihrem Interview mit Herr Wunsch am 24.11.23 schrieb, schließt die EZB wohl einen schnellen Rückgang der Zinsen aus. Im Gegenteil, abhängig von der Inflationsentwicklung im nächsten Jahr, ist es eher wahrscheinlich, dass die Zinsen länger auf diesen Niveaus bleiben. Die EZB hat ein mittelfristiges Inflationsziel von 2 Prozent und eventuell könnte dies temporär auch mal höher liegen. Das würde definitiv Zinssenkungen für einen längeren Zeitraum ausschließen. Nun scheint aber auch allen klar zu sein, dass die Inflation, wenn sie einmal da ist, doch recht heimtückisch ist.
Was heißt das nun für Anleger?
Aktionäre feiern Zinssenkungen, doch diese Party wird wohl auf bis auf weiteres verschoben. Für Freunde festverzinslicher Anlagen bleiben die attraktiven hohen Zinsniveaus wohl länger erhalten. Doch gerade für Anleihen mit längeren Restlaufzeiten lohnt sich ein genauerer Blick hinter die Kulissen der einzelnen Verschuldungsquoten der Länder (siehe erster Punkt). Steigende Verschuldungsquoten und ein erneutes Ansteigen der Inflation bieten ein Fundament für steigende Renditen für Anleihen mit langen Restlaufzeiten. Die Fokussierung auf Qualität ist das „A und O“ in unsicheren Zeiten.
Ulrike Hock ist Gründerin von
SmartIC - SMart Investor Coaching. Sie weist 25 Jahre Berufserfahrungen als Portfoliomanagerin bei verschiedenen Fondsgesellschaften und als Trading Desk Analyst sowie Research Strategist im Investmentbanking in Deutschland, der Schweiz und Großbritannien, u.a. MEAG Asset Management (Münchener Rück) und UBS auf. Sie absolvierte ein Wirtschaftswissenschaftliches Studium (TU Dresden) mit Schwerpunkten Finanzmarkttheorie, Geld-Kredit-Währung sowie Unternehmensführung (Dipl.-Kff.) und eine FCA Prüfung der britischen Aufsichtsbehörde (Financial Conduct Authority) zum Thema Compliance & Regulierung.
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