Die richtigen Schlüsse aus dem Erreichen des Zinsplateaus

Silvia Richter und Christian Nemeth, Zürcher Kantonalbank Österreich AG
Silvia Richter und Christian Nemeth / Bild: Zürcher Kantonalbank Österreich AG
Wir analysieren das Inflationsgeschehen, untersuchen, wieso die Konjunktur- und Arbeitsmarkt-Daten in den USA immer noch so stabil sind, und verraten, ob Investments in langfristige Anleihen trotz der weiterhin hohen Zinsen wieder sinnvoll sind.

Inflation auf dem richtigen Weg

Was die Inflation betrifft, sind wir auf einem sehr guten Weg. In der Eurozone liegt sie laut erster Hochrechnung von der Statistikbehörde bei 2,9 Prozent nach 4,3 im Vormonat. Vor rund einem Jahr lagen wir bei über zehn Prozent. Auch wenn wir nicht in allen Volkswirtschaften auf diesen 2,9 Prozent sind – in Österreich können wir ein Lied davon singen – geht es international gesehen in die richtige Richtung. Auch in den Vereinigten Staaten beruhigen sich die Inflationsraten.
 
Man muss sich auch die Wirkungszusammenhänge vor Augen führen. Notenbanken haben in einem sehr dramatischen Ausmaß die Zinsen angehoben, um der Inflation entgegenzuwirken, und es dauert, bis das auch wirkt. Die EZB, die FED und die Bank of England haben aber seither die Füße stillgehalten. Vielleicht kommt da oder dort nochmal ein finaler Schritt, aber im Moment bestätigen die Daten unsere Einschätzung, dass das Leitzinsniveau erreicht ist und eine Zeit auf diesem Niveau bleiben wird. Richtung 2024 wird es vielleicht erste Fantasien geben, dass die ein oder andere Notenbank beginnt zu senken. Denn die Wirtschaft leidet unter dem Zinsniveau – das werden wir auch zeitverzögert sehen.

US-Wirtschaft und US-Arbeitsmarkt robust

In den USA war das dritte Quartal sehr stark. Da ist vieles vom privaten Konsum gestützt, das wird auf Dauer nicht so gehen. Auch der Arbeitsmarkt ist ein Phänomen: Wir sehen, dass sich auch hier eine Trendwende abzeichnet, aber wesentlich langsamer, als vielleicht ursprünglich prognostiziert und erwartet. Der Arbeitsmarkt ist auch ein sehr stark zeitlich nachlaufender Indikator. Dazu kommt, dass wir im Moment strukturelle Veränderungen in Zusammenhang mit der zunehmenden Alterung der Bevölkerung sehen. Viele Unternehmen haben gerade in der Boom-Phase nach Wiedereröffnung nach der Pandemie gesehen, dass es schwierig ist, qualifiziertes Personal zu bekommen. Viele scheuen sich auch bei rückgängigem Auftragseingang davor, sich von großen Teilen der Belegschaft, die sie mühevoll wieder aufgebaut haben, rasch zu trennen. Auch wenn in USA ‚Hire and Fire‘ sehr weitverbreitet war, sehen wir auch hier einen Trend, Arbeitskräfte vielleicht länger zu halten – Stichwort ‚Hoarding‘. Auch wenn nicht alle Mitarbeiter voll eingesetzt werden können, fährt man lieber mit einem größeren Kostenblock durch, bevor man in einigen Monaten dasselbe Problem wie zuvor hat und die guten Arbeitskräfte vielleicht nicht mehr kriegt. Diesen kausalen Zusammenhang zwischen Wirtschaftswachstum und Arbeitsmarkt darf man nicht mehr eins zu eins ziehen.

Opportunitäten auf der Anleihen- und Aktienseite

Ich würde auf der Anleihenseite definitiv die längeren Laufzeiten mit ins Boot nehmen, wenn man noch keine hat. Das ist definitiv attraktiver geworden. Wenn man sich die Zinskurven anschaut, sind diese schon sehr stark verkrümmt. Am ganz kurzen Ende gibt es durch die Leitzinserhöhungen sehr, sehr hohe Niveaus, und dann geht es relativ rasch nach unten. In der Eurozone liegt der Tiefpunkt der Rendite-Kurve im Moment bei vier, fünf Jahren. Bei den US-Treasuries ist es ähnlich, und dann steigt es wieder an. Die durchaus legitime Frage ist: Warum soll man in eine längere Laufzeit gehen, wenn man im ultrakurzen Bereich, also praktisch täglich fällig oder mit ein bis drei Monaten Laufzeit, relativ hohe Zinsen kriegt? Wenn wir sagen, das Zinsniveau bleibt ‚higher for longer‘, sprechen wir nicht von Jahren, das darf man nicht unterschätzen. Investoren müssen sich diesen Wiederveranlagungsdruck, den man binnen kurzer Zeit hat, vor Augen führen. Die Frage ist: Zu welchen Konditionen kann ich dann zu dem Zeitpunkt wieder abschließen? Und das ist das Problem.
 
Die Kurve fällt dann nach einem Jahr relativ steil nach unten ab, weil jeder implizit davon ausgeht, dass dieses Niveau nicht auf fünf oder zehn Jahre gehalten werden kann. Das heißt, es macht durchaus Sinn, sich bei Anleihen zumindest teilweise längerfristig zu binden. Ich würde eher über den fünfjährigen Bereich hinausgehen. Hier hat man den größeren Hebel und kann auch irgendwann wieder von fallenden Renditen profitieren.
 
Wenn man auf Opportunitäten wartet, dann ist jetzt der Zeitpunkt, auch wieder über Aktieninvestments nachzudenken. Ich würde ein bisschen zukaufen, jedoch nicht aggressiv werden. Im Oktober ist der amerikanische Aktienmarkt um zehn Prozent gefallen, Europa und der MSCI World sind in einer ähnlichen Liga. Wir haben uns im Oktober etwas defensiver ausgerichtet und waren damit nicht schlecht positioniert. Anfang November haben wir die angewachsene Untergewichtung aufgrund der Kursentwicklung, wieder auf das ursprüngliche Maß reduziert. Das heißt, wir haben rund ein Prozent, manchmal eineinhalb Prozent, zugekauft, um wieder dieses Niveau zu halten. Wenn der Markt sich weiterhin so entwickelt, werden wir auf der Aktienseite auch eher wieder zukaufen als verkaufen.
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Silvia Richter ist Mitglied des Vorstandes und Christian Nemeth, Vorsitzender des Vorstandes der Zürcher Kantonalbank Österreich AG