Wie hängen Inflation, Schulden und Zinsveränderungen miteinander zusammen?

Ulrike Hock, SmartIC – Smart Investor Coaching
Ulrike Hock / Bild: SmartIC – Smart Investor Coaching
Die EZB hat die Leitzinsen zum 10. Mal erhöht und diese liegen nun bei 4,5 Prozent. Die
amerikanische Notenbank FED hatte den Zinserhöhungszyklus etwas früher gestartet und etwas mehr Gas gegeben, sodass die US-Leitzinsen jetzt bei 5,5 Prozent liegen. Das sind Zinsniveaus, wie wir sie zuletzt 2007 gesehen haben
.
Normalerweise werden Leitzinsen von den Notenbanken erhöht, wenn die Wirtschaft sehr gut läuft und zu Überhitzungen neigt (also Inflation durch starkes Wirtschaftswachstum entstehen kann). Durch Zinserhöhungen kommt es zum Abklingen neuer Verschuldung (da diese teuer wird). Inflation benötigt aber kein starkes Wirtschaftswachstum, um zu entstehen. Der Nährboden von Inflation ist eine steigende Verschuldung!
 
Deshalb lohnt der Blick zurück. Der Ausbruch der Finanzmarktkrise von 2008 (ausgelöst durch die
Insolvenz der US-Investmentbank Lehman Brothers) führte dazu, dass die internationalen
Zentralbanken anfingen ihre Leitzinsen auf historisch niedrige Niveaus zu senken, um die Finanzmärkte zu stabilisieren. Gleichzeitig unterstützten die USA und Europa die Wirtschaft mit Mrd.-Programmen (die zusammen weit über 1 Billion Euro betrugen), um einen drohenden wirtschaftlichen Kollaps zu verhindern. Nach dieser ersten Phase niedriger Zinsen wurde dieser Trend in Europa ab 2016 nochmal verschärft, in dem die EZB die Leitzinsen sogar auf null Prozent senkte (Argument: Wirtschaft ankurbeln), während die amerikanische Notenbank die Leitzinsen richtigerweise wieder erhöhte (Argument: drohende Inflation verhindern). Doch der Verschuldungs-Boom hatte inzwischen weitreichende Auswirkungen. Zunehmend nutzten nun Unternehmen die günstigen Kredite, nicht nur um mehr zu investieren, sondern vor allem, um höhere Dividenden ausschütten zu können (weil Kredite „nichts“ kosteten). Und schließlich stieg die Verschuldung auch bei den Privathaushalten wieder. Dieser Schuldenwachstumsprozess wurde in Europa mit der Null-Zinspolitik signifikant angeheizt.

Ungutes immer zur Unzeit

Die Coronakrise brachte das Fass sozusagen zum Überlaufen. Die Welt sah sich neuen wirtschaftlichen Herausforderungen gegenübergestellt, aber die Ausgangsbedingungen, dem entgegenzustehen, waren sehr unterschiedlich. Während die USA Puffer hatten, die Zinsen wieder zu senken, konnte Europa nur zusehen. Gleichzeitig wuchsen geopolitische Spannungen und der Trend zur Deglobalisierung. Mit dem Ausbruch des Ukraine-Krieges 2022 wurde ein neues Level erreicht. Beides waren unerwartete Events (sog. „schwarze Schwäne“) und führen zu einem drastischen Rückgang des weltweiten Wirtschaftswachstums. Gleichzeitig forderte der Ukrainekrieg einen Anstieg der Staatsverschuldung, vor allem in Europa, da die betroffenen Länder ihre Verteidigungsausgaben deutlich erhöhten. Wie aus dem Nichts kommend stieg plötzlich die Inflation. Vordergründig durch die ausgelöste Energiekrise, als Russland Europa den Gashahn zudrehte. Der nachfolgende massive Inflationsanstieg wurde jedoch nicht allein durch den Ukraine-Krieg verursacht, sondern war eine Folge der vorangegangenen massiven Schuldenentwicklung seit der Finanzmarktkrise. Nun gießt die OPEC noch ein bisschen Öl ins Feuer und senkt die Fördermengen.
 
Führende Makroökonomen warnen seit langem, dass die Inflation, wenn sie einmal da ist, schwer zu
bändigen ist. Für alle die, die Schulden haben vielleicht komfortabel, denn so reduzieren sich ihre
Schulden, wie für die Sparer auf der anderen Seite ihr Geld entwertet wird (bei 6 Prozent Inflation erfolgt ein Wertverlust von knapp 50 Prozent nach ca. 10 Jahren). Allerdings setzt das voraus, dass man als Schuldner länger „überleben“ kann, also eher Staaten als Unternehmen. Dennoch erinnern wir uns ungern an den Schuldenschnitt Griechenlands im Jahr 2012 zurück!

Es werden Downgrades erfolgen

Die Notenbanken stehen nun vor einem Balanceakt, die anhaltende Inflation durch (noch) höhere Leitzinsen zu bekämpfen und die Wirtschaft damit in eine Deflation (neg. Wirtschaftswachstum) zu führen oder andererseits ein höheres Inflationsniveau zu akzeptieren und wirtschaftlich eine Stagflation (Deflation + Inflation) zu riskieren. Wieviel Wachstumsverlust muss dafür in Kauf genommen werden? Vielleicht sollte der Fokus generell stärker auf die Staatsverschuldung gelegt und ein Bürokratieabbau in Europa ernsthaft in Angriff genommen werden?
 
Eine erste Konsequenz der hohen Staatsverschuldung haben wir im August 2023 gesehen, als die
amerikanische Ratingagentur Fitch-Ratings das AAA-Rating der USA um eine Stufe gesenkt hat. Solch einem Schritt folgen anschließend automatisch Abstufungen von Unternehmen und beschleunigt sich, wenn auch deren Kreditqualität sinkt. Auch Europas Staaten und Unternehmen bleiben von diesen „Downgrades“ nicht verschont. Infolgedessen werden meines Erachtens, riskantere Anlagen (mit schwächerer Bonität) wieder deutlich teurer (noch teurer) werden müssen. D.h. die Aktienkurse dieser Titel werden eher sinken und Anleihen dieser Bonitätskategorie müssen mehr Verzinsung bieten.
 
Eine gute Diversifikation und gute Bonitäten helfen in solchen Zeiten weiter!
Ulrike Hock ist Gründerin von SmartIC - SMart Investor Coaching. Sie weist 25 Jahre Berufserfahrungen als Portfoliomanagerin bei verschiedenen Fondsgesellschaften und als Trading Desk Analyst sowie Research Strategist im Investmentbanking in Deutschland, der Schweiz und Großbritannien, u.a. MEAG Asset Management (Münchener Rück) und UBS auf. Sie absolvierte ein Wirtschaftswissenschaftliches Studium (TU Dresden) mit Schwerpunkten Finanzmarkttheorie, Geld-Kredit-Währung sowie Unternehmensführung (Dipl.-Kff.) und eine FCA Prüfung der britischen Aufsichtsbehörde (Financial Conduct Authority) zum Thema Compliance & Regulierung.