Inflation und Gewinne: Kehrtwende eingeleitet

Dr. Klaus Bauknecht, IKB Deutsche Industriebank AG
Dr. Klaus Bauknecht / Bild: IKB Deutsche Industriebank AG
Fazit: Die Preise sind deutlich stärker angestiegen, als Rohstoffpreise und Lohnkosten erwarten ließen. Dies gilt allerdings nur für das Verarbeitende Gewerbe und nicht für die Wirtschaft insgesamt. Aktuell kommt es bereits zu deutlichen Korrekturen. Die Erzeugerpreise sinken, und zwar stärker, als Kostenrückgänge aufgrund geringerer Import- und Rohstoffpreise signalisieren. Somit ergibt sich aktuell bei den Unternehmen eher eine Gewinnbelastung als -ausweitung; eine Tendenz, die mit der zunehmend schwachen Nachfrage im Umfeld der geldpolitischen Straffung anhalten sollte.

Die Nahrungsmittelinflation im Verbraucherpreisindex ist dagegen weiterhin deutlich stärker ausgeprägt als der Verlauf der entsprechenden Erzeugerpreise. Da diese jedoch bereits nachgeben, ist in den kommenden Monaten auch von einer Korrektur der Verbraucherpreise für Nahrungsmittel auszugehen; dann sollte auch die „gefühlte“ Inflation spürbar nachlassen. Die IKB erwartet zum Jahresbeginn 2024 eine Inflationsrate von deutlich unter 3 Prozent.
EZB-Präsidentin Christine Lagarde betonte in der letzten EZB-Pressekonferenz, dass sich die Gewinnmargen von Unternehmen anpassen müssen, um die Inflation infolge des möglichen Lohndrucks abzumildern. Steigen also die Löhne und damit auch die Lohnstückkosten deutlich, bedarf es Druck auf die Unternehmen, damit diese die Kostensteigerung nur teilweise weitergeben. So lässt sich vermeiden, dass eskalierende Lohnerhöhungen und damit Zweitrundeneffekte zu weiteren Inflationsschüben führen. Natürlich entsteht dadurch Margendruck für die Unternehmen, weil sie die Kosten nicht vollständig weitergeben können. Zudem dürften die Unternehmen versuchen, aufgrund der Belastung ihrer Gewinne effektive Lohnerhöhungen zu verhindern. Entscheidend für diese Entwicklung ist sicherlich eine sich abschwächende Nachfrage, die den Preisbildungsprozess der Unternehmen unter Druck setzt.

Diese Nachfrageabkühlung wird zunehmend durch die aktuelle geldpolitische Straffung erreicht; damit dürfte es den Unternehmen nicht mehr gelingen, den Kostendruck unvermindert weiterzugeben. Diese Entwicklung wäre in der Tat eine Umkehr der Entwicklungen in den Jahren 2021 und 2022. Seinerzeit hatten Angebotsengpässe auf der einen und eine robuste Nachfrage auf der anderen Seite zu Preiserhöhungen geführt, die kräftiger ausfielen als es die Entwicklung von Lohnstückkosten und Importpreisen signalisierte, die auch Rohstoffpreise beinhalten. Dies gilt zumindest für die Erzeugerpreise und damit für Unternehmen des Verarbeitenden Gewerbes. Abb. 1 zeigt die tatsächliche Erzeugerpreisinflation und sowie die Modellschätzung, wenn der Kostendruck aufgrund steigender Lohnstückkosten und Importpreise eins zu eins weitergegeben würde.
Ob die Diskrepanz zwischen Modellschätzung und tatsächlichem Erzeugerpreisverlauf (Abb. 1) allein durch die Ausweitung von Gewinnmargen erklärt werden kann, ist sicherlich fraglich. Fakt ist jedoch, die Erzeugerpreisinflation fiel vor allem im Jahr 2022 deutlich höher aus, als der Kostendruck signalisiert. Stiegen Importpreise und Lohnstückosten um je 1 Prozent, erhöhten sich die Erzeugerpreise um deutlich mehr als 1 Prozent. Das Ausmaß des Unterschieds ist im historischen Vergleich einmalig. Was hat die Erzeugerpreise so ansteigen lassen? Wenn Preise auf Basis von Kosten modelliert werden, liegt die Interpretation einer Margenausweitung nahe. Diese Interpretation wurde durch Angebotsschocks in Verbindung mit der robusten Nachfrage gestützt.

Erzeugerpreise beinhalten Preise für die im Bergbau, im Verarbeitenden Gewerbe sowie in der Energie- und Wasserwirtschaft in Deutschland erzeugten und im Inland verkauften Produkte. Das sind Branchen, die zuerst von eskalierenden Rohstoff- und Energiepreisen betroffen sind. Die Preise erhöhten sich hier deutlich kräftiger als es die Kosten signalisierten. Für die Volkswirtschaft insgesamt gilt dies jedoch nicht so ausgeprägt. Denn wird anstatt der Erzeugerpreise der BIP-Deflator und damit die Preisentwicklung aller in Deutschland produzierten Güter und Dienstleistungen berücksichtigt, ergibt sich keine nennenswerte Diskrepanz zwischen Kosten und finalem Preis. Deshalb kann nicht pauschal argumentiert werden, die gesamte Volkswirtschaft habe die Inflation durch Margenausweitung über das Maß des Kostendrucks hinaus nach oben getrieben. Auch mag die Motivation der Unternehmen nicht unbedingt eine Margenausweitung gewesen sein, sondern eher eine Margenstabilisierung durch zügige Preisanpassungen angesichts der Rohstoffpreisanstiege. Ebenfalls ist aktuell bereits eine deutliche Konvergenz (Abb. 1) zu erkennen, Modellschätzung und tatsächlicher Verlauf nähern sich also wieder an. So sind die Erzeugerpreise im ersten Quartal nicht nur zurückgegangen, sie korrigieren um einiges schneller als der nachlassende Kostendruck suggerieren würde. Die Margenausweitung weicht also einem Margendruck. Eine Entwicklung, die im Umfeld einer schwachen Nachfrage und steigender Lohnstückkosten anhalten sollte.

Preise für landwirtschaftliche Produkte, die Teil des Erzeugerpreisindex sind, sind im ersten Quartal 2023 im Vergleich zum Vorquartal gesunken, was angesichts der globalen Nahrungsmittelpreise und des Devisenkurses nicht überrascht. Überraschend ist vielmehr, dass die Nahrungsmittelpreise im Verbraucherpreisindex, also die Lebensmittelpreise, die der Konsument an der Kasse bezahlt, deutlich stärker gestiegen sind, als es die Erzeugerpreise signalisiert haben. Am aktuellen Rand legen die Verbraucherpreise für Nahrungsmittel sogar weiter zu, obwohl die Erzeugerpreise bereits nachlassen. Abb. 2 zeigt die tatsächliche Verbraucherpreisinflation für Nahrungsmittel und die Modellschätzung auf Basis der Erzeugerpreise für landwirtschaftliche Produkte im Vorjahresvergleich. Hier ist noch keine Konvergenz zu erkennen, sodass von einer robusten, wenn nicht sogar anhaltenden Margenausweitung auszugehen ist. Allerdings ist auf Grundlage der Erzeugerpreise und eines realen Einkommensverlustes der Konsumenten von absoluten Rückgängen der Verbraucherpreise für Lebensmittel auszugehen, was den Inflationsdruck reduzieren sollte. Ob sich die Margenausweitung korrigiert, wird allerdings von den globalen Nahrungsmittelpreisen bzw. der Entwicklung der Erzeugerpreise abhängen. Sinken diese weiter deutlich, mag sich die Normalisierung der Margen im Lebensmitteleinzelhandel bzw. in der Nahrungsmittelindustrie durchaus hinziehen.
Doch grundsätzlich gilt: Die starken Preissteigerungen sind Vergangenheit. Denn die geldpolitische Straffung wird die Nachfrage dämpfen. Zusammen mit stärkerem Kostendruck infolge kräftiger Lohnforderungen ergibt sich ein zunehmender Margendruck, da Unternehmen die Kosten weniger deutlich weitergeben können. Die entstandene Diskrepanz in Abb. 1 engt sich seit dem vierten Quartal 2022 bereits wieder deutlich ein. Nachlassende Importpreis- und damit auch Rohstoffpreise sollten für weitere Entlastung beim Inflationsdruck sorgen und damit auch bei der Margenentwicklung.

Importpreise sorgen für Deflationsdruck

Die Euro-Aufwertung und stabile bzw. sinkende Rohstoffpreise im Umfeld der globalen Konjunktureintrübung verlangsamen nicht nur die Importpreisinflation, sondern führen auch zu absoluten Preisrückgängen. Dies ist aktuell bereits erkennbar. So ist die vierteljährliche Veränderung der deutschen Importpreise nach deutlichen Anstiegen in den Vorquartalen im vierten Quartal 2022 negativ. Eine Entwicklung, die sich im ersten Quartal fortgesetzt haben dürfte. Die Profitmargen der Unternehmen werden also zum einen durch steigenden Lohndruck belastet, gleichzeitig werden sie aber durch absolute Rückgänge der Importpreise entlastet. So ergibt sich ein differenziertes Bild in unterschiedlichen Branchen, und eine allgemeine Aussage über die Margenentwicklung in der gesamten Volkswirtschaft wäre pauschalisierend. Dienstleistungen, deren Kosten hauptsächlich durch Arbeitslöhne bestimmt werden, sollten von sinkenden Importpreisen weniger stark profitieren als rohstoffnahe Branchen wie Metall-, Chemie, Papier oder Glasindustrie. Auch ist im Umfeld der globalen Konjunktureintrübung in den kommenden Monaten von weiteren deflationären Impulsen durch Importpreise auszugehen. Dies gilt vor allem dann, wenn der Euro-Devisenkurs infolge einer frühen Fed-Zinssenkung weiteren Auftrieb erlangen sollte. Grundsätzlich sollten nachlassende Importpreise im Inflationskampf helfen und dem lokalen Lohnkostendruck entgegenwirken. Für Unternehmen mit hoher Exportquote bedeutet allerdings der aufwertende Euro einen Wettbewerbsnachteil, der sich wiederum in stärkerem Margendruck niederschlagen könnte.

Einschätzung und Ausblick

Inflation und ihre Reduzierung verursachen Verteilungskämpfe: Der Inflationsrückgang wird sich auf Löhne bzw. reales Einkommen und Profite auswirken und damit auf Arbeitgeber wie Arbeitnehmer. Eine Verschiebung der Anpassung auf das Ausland in Form einer Euro-Aufwertung oder sinkender Rohstoffpreise mag die Kosten des lokalen Anpassungsprozesses mildern. Denn Preise für landwirtschaftliche Produkte, Industrierohstoffe und fossile Energieträger haben inzwischen deutlich korrigiert. Dies wird zu weiteren Rückgängen der Importpreise führen und so den Margendruck im Verarbeitenden Gewerbe dämpfen. Hinzu kommt eine, wenn auch moderate, konjunkturelle Erholung im Jahr 2024, die etwas Raum für Produktivitätswachstum schaffen sollte, was die Lohnstückkostenentwicklung dämpfen wird. Das Dienstleistungsgewerbe wird von dieser Entwicklung weniger profitieren.

Die Inflation hat Gewinner und Verlierer hervorgebracht. Unternehmen, die Preissetzungsmacht haben, konnten ihre Gewinnmargen ausweiten bzw. behaupten. Bei anderen, die von eskalierenden Inputkosten belastet wurden, gerieten die Margen unter Druck. Nun kommen die Auswirkungen einer straffen Geldpolitik und damit eines allgemeinen Nachfragerückgangs hinzu. Da die Geldpolitik restriktiv ausgestaltet ist und die deutliche Abkühlung der Geldmengenausweitung die Folgen der Zinsanhebungen bereits spiegelt, ist allgemein mit einer deutlichen Abkühlung der Nachfrage zu rechnen. Dies wird die Margen grundsätzlich unter Druck setzen. Schließlich ist das von EZB-Präsidentin Lagarde formulierte Ziel, Teile des Lohnkostendrucks auf die Margen zu überwälzen, bzw. die Margen trotz historisch hoher Inflation geringer ausfallen zu lassen. Mit sinkender Inflation und schwächerem Wachstum wird sich das Wachstumspotenzial von Umsätzen und Gewinnen am Standort Deutschland eintrüben, zumindest im laufenden und im nächsten Jahr.
Dr. Klaus Bauknecht ist als Chefvolkswirt der IKB Deutsche Industriebank AG verantwortlich für die volkswirtschaftlichen Analysen, Prognosen und Einschätzungen der Bank und schreibt dort auch im eigenen IKB-Blog. Zudem lehrt der promovierte Volkswirtschaftler an der Nelson Mandela University in Südafrika. Zuvor arbeitete er in verschiedenen leitenden Positionen anderer Banken und im südafrikanischen Finanzministerium. Er schreibt zu aktuellen und übergeordneten Konjunktur-, Volkswirtschafts- und Marktthemen.
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