EZB: Konjunkturerwartungen bremsen Zinsanstieg

Dr. Klaus Bauknecht, IKB Deutsche Industriebank AG
Dr. Klaus Bauknecht / Bild: IKB Deutsche Industriebank AG
Fazit: Die EZB hat ihre geldpolitische Straffung verlangsamt und die Zinsen um 25 bp angehoben. Laut Christine Lagarde wird sich der Kostendruck – insbesondere durch höhere Löhne – negativ auf die Gewinnmargen auswirken müssen. Hierfür ist eine spürbare konjunkturelle Eintrübung notwendig. Weitere Zinsschritte werden voraussichtlich nötig sein.

Sorgen vor zu hohen Zinsen, die in den USA aufgrund der Probleme im Bankensystem zunehmen, sind für die Euro-Zone jedoch nicht angebracht. Der Spitzeneinlagenzinssatz sollte Mitte 2023 bei ca. 3,75 Prozent liegen, vorausgesetzt die geldpolitische Straffung zeigt in den kommenden Monaten zunehmend Wirkung in der Realwirtschaft. Hiervon ist auszugehen, unter anderem aufgrund des aktuell rückläufigen Geldmengenwachstums.

Anhaltende Turbulenzen im Bankensystem?

Sorgen vor einer Bankenkrise und einer daraus resultierenden eskalierenden geldpolitischen Straffung bleiben präsent und schüren Spekulationen, ob und in welcher Höhe die Notenbanken – insbesondere die Fed – weitere Zinsanhebungen vornehmen werden. Die Banken werden im aktuellen Umfeld volatiler Einlagenflüsse immer weniger bereit sein, Kredite zu vergeben. Neben einer schweren Rezession, die zu mehr Kreditausfällen führen und Zweifel an der Kapitalisierung von Banken mit sich bringen würde, sind es aber auch die Notenbanken, die eine Bankenkrise verursachen können. Denn wann immer die Fed oder andere Notenbanken in der Vergangenheit eine drastische geldpolitische Wende vollzogen haben, ergaben sich im Finanzsektor ungewollte Nebeneffekte – vor allem, wenn dieser Wende eine lange Phase einer außerordentlich expansiven Geldpolitik vorausgegangen war; Zuletzt war das Anfang der 1980er Jahre der Fall, als die Fed ihre letzte drastische Zinswende vollzog. Ursache der Verwerfungen auf den Finanzmärkten ist zum einen meist eine zu laxe Geldpolitik, die Spekulationen, Blasen und Erwartungen von anhaltend niedrigen Zinsen verursacht. Zum anderen ist es dann die geldpolitische Korrektur selbst, die Vermögensbewertungen zerstört und die Kosten für Liquidität in die Höhe treibt.

Notenbanken spielen also bei ihrem Versuch, die Wirtschaft zu steuern bzw. anhaltend zu unterstützen, eine bedeutende Rolle bei der Entwicklung von Bankenkrisen. Der Glaube, Notenbanken könnten Volkswirtschaften stabilisieren bzw. steuern, ist deshalb ein bedeutender Auslöser von Bankenkrisen. Denn es wird oft unterschätzt, dass der geldpolitische Transmissionsmechanismus einen langen Zeitraum benötigt und deshalb oftmals intransparent ist, was zu Überreaktionen führen kann, die erst spät sichtbar werden. So war es die zu expansive Geldpolitik der 70er Jahre, welche die Fed zu drastischen Schritten Anfang der 80er Jahre bewegt hatte. Zögern die Notenbanken hingegen zu lange und warten, bis die Folgen ihrer Straffung klar erkennbar sind, führt auch dies zu möglichen Übertreibungen und damit realwirtschaftlichen Turbulenzen. Durch die Dauer und Komplexität des Transmissionsmechanismus ist es einer Notenbank fast unmöglich, ein „soft landing“ zu erreichen.

Einschätzung: Die verschärfte Regulatorik infolge der Finanzkrise hat das Finanzsystem robuster gegen Krisen werden lassen. Dies gilt vor allem für die Euro-Zone. Die Gefahr einer möglichen Schieflage infolge der EZB-Politik hat dennoch zugenommen. In den USA könnten die Bankenprobleme anhalten. Die Abflüsse bei der First Republic Bank, die sich allein im ersten Quartal 2023 auf 100 Mrd. US-$ und damit fast 50 Prozent der Bilanzsumme von 2022 beliefen, zeigen eindrucksvoll, wie sensitiv Einlagen bzw. Bankkunden auf schlechte Nachrichten reagieren. So kann selbst eine banale Entwicklung oder Nachricht zu einem Bankenproblem führen. Aktuell ist das Thema in den USA noch nicht durch, und auch Banken in der Euro-Zone sind nicht sicher vor abrupten Liquiditätsabflüssen.

Wohin sollten die Leitzinsen gehen?

Die Geschichte zeigt, dass vor allem die US-Notenbank nie lange auf ihrem Zinsgipfel verweilt. Dies deutet daraufhin, dass sie in ihrem Prozess der geldpolitischen Straffung eher übertreibt. Geldpolitik ist bei der Fed kein Anker für Stabilität. Die IKB erwartet erste Fed-Zinssenkungen bereits Ende 2023/Anfang 2024. Es ist davon auszugehen, dass der Zinsanstieg von 0 auf aktuell 5,25 Prozent nicht nur ausreichen wird, um Wirtschaft und Inflation abzukühlen, sondern auch die Fed bewegen wird, erneut zügig gegenzusteuern, wenn die Folgen der Straffung in der Breite erkennbar sind. Somit hätte die Fed nunmehr ihre „terminale rate“ erreicht, auch wenn ein letzter weiterer Anstieg von 25 bp bei kurzfristig robusten Konjunkturdaten nicht auszuschließen ist; das Risiko einer Übertreibung würde sich dadurch jedoch erhöhen.

Anders ist es in der Euro-Zone. Die EZB hat zwar nach Jahren außerordentlich expansiver Geldpolitik ebenfalls eine deutliche Kurswende eingeleitet. Doch das Zinsniveau bleibt niedrig – vor allem im Hinblick auf das Inflationsziel von 2 Prozent. Stoppt die EZB ihre geldpolitische Straffung bei einem Einlagenzinssatz von 3,5 Prozent oder 3,75 Prozent, hat dies im Umkehrschluss nicht notwendigerweise eine schnelle Zinswende zur Folge. Dafür wird die Inflationsrate womöglich etwas länger über dem Inflationsziel verweilen. Dies kann empirisch von der Schätzung eines fundamentalen Leitzinsniveaus nach der Taylor Regel abgeleitet werden. Demnach wird der durchschnittliche fundamentale Fed-Leitzins auf Basis der erwarteten Konjunkturabkühlung in den USA im Jahr 2024 bei rund 3,25 Prozent liegen und damit 2 Prozentpunkte niedriger als aktuell. In der Euro-Zone wird die Entwicklung eine andere sein. Das fundamentale Leitzinsniveau der EZB dürfte laut IKB-Schätzungen im Jahr 2024 immer noch leicht über dem aktuellen Niveau liegen. Die EZB ist also noch nicht am Ende ihrer restriktiven Politik angelangt, und Sorgen einer möglichen Übertreibung sind unangebracht. Allerdings signalisieren die Geldmengenentwicklung sowie das jüngste Bank Lending Survey der EZB, dass die effektive geldpolitische Straffung in der Euro-Zone durchaus voranschreitet. Die Geldpolitik beginnt zu wirken, allerdings ist das kein Grund, die Zinsen nicht weiter anzuheben oder sogar bald wieder zu senken. Schließlich ist diese Straffung für abnehmende Inflationserwartungen notwendig und darf nicht verwässert werden.

Einschätzung: Die geldpolitische Straffung der Fed ist um einiges stärker als die der EZB, was die Gefahr einer Übertreibung in den USA mit sich bringt – vor allem wenn die dortigen Bankerprobleme realwirtschaftliche Folgen mit sich bringen. Die Erwartung, die Fed werde die Zinsen Ende 2023/Anfang 2024 wieder senken, ist deshalb durchaus berechtigt. Das Ende der US-Geldstraffung scheint erreicht zu sein, auch wenn eine Konjunktureintrübung noch nicht in der Breite zu erkennen ist.

Die EZB muss hingegen noch mehr tun. Aus volkswirtschaftlicher Sicht wären sogar 50 bp angebracht gewesen, um zügig auf einen höheren Einlagenzinssatz von um die 3,75 Prozent zu kommen und so zukünftigen Handlungsdruck zu reduzieren.

Der Anstieg um 25 bp bestätigt den datengetriebenen Ansatz der EZB bzw. ihre eher aufholende und zögerliche Politik. Die EZB geht von einer baldigen Abkühlung der Wirtschaft aus. Eine Erwartung, die durch das aktuelle Geldmengenwachstum gestützt wird. Vorausgesetzt diese Abkühlung zeigt sich nun zunehmend in der Breite, ist höchstens von einem vielleicht zwei weiteren Zinserhöhungen um 25 bp im Juni und Juli auszugehen. Erweist sich die Konjunktur als überraschend robust, sind weitere Zinsanhebungen wahrscheinlich.

Geldpolitische Entscheidung der EZB und Pressekonferenz

Die EZB hat bekanntgegeben, ihre Leitzinsen um weitere 25 bp anzuheben. So ist der Einlagenzins – wie erwartet – nun bei 3,25 Prozent. Die EZB hat außerdem angekündigt, dass jegliche Tilgungsbeträge aus dem APP-Programm ab Juli 2023 nicht wieder angelegt werden. Präsidentin Lagarde betonte die Risiken eines anhaltenden Inflationsdrucks insbesondere durch den Arbeitsmarkt. Der Lohndruck müsse durch Anpassung der Gewinnmargen absorbiert werden, um einen finalen Preisdruck zu verhindern. Also: Die Wirtschaft muss sich abkühlen, um die Nachfrage ausreichend abzuschwächen, sodass Unternehmen immer weniger in der Lage sind, Preisdruck weiterzugeben. Laut Lagarde forcieren die vorigen Zinsanhebungen bereits diese Entwicklung. Dennoch betonte sie, dass die EZB weiteren Boden gutmachen muss, was mindestens eine weitere Zinsanhebung signalisiert.
Dr. Klaus Bauknecht ist als Chefvolkswirt der IKB Deutsche Industriebank AG verantwortlich für die volkswirtschaftlichen Analysen, Prognosen und Einschätzungen der Bank und schreibt dort auch im eigenen IKB-Blog. Zudem lehrt der promovierte Volkswirtschaftler an der Nelson Mandela University in Südafrika. Zuvor arbeitete er in verschiedenen leitenden Positionen anderer Banken und im südafrikanischen Finanzministerium. Er schreibt zu aktuellen und übergeordneten Konjunktur-, Volkswirtschafts- und Marktthemen.
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